Zurück zu Notfallmedizin
  • Fachartikel
  • |
  • Julia Hecht
  • |
  • 15.03.2017

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! – Externe ECMO-Anlage im Intensivtransport

Die externe ECMO-Kanülierung eines Patienten ist immer eine Herausforderung – besonders bei einem anschließenden Intensivtransport per Rettungshubschrauber.

 

Hubschrauber - Foto: Regina Friedle, Thieme Verlagsgruppe

 

 

„Der Patient hat sich extrem verschlechtert!“ Mit dieser Begrüßung hat Dr. Gregor Lichy, Notarzt der DRF Luftrettung, nicht gerechnet. Keine 20 min zuvor hatte er noch mit dem Arzt der abgebenden Klinik gesprochen, auf dessen Landeplatz er gerade im rot-weißen Hubschrauber Christoph 51 mit seinem Team angekommen ist. Alarmiert wurden sie an diesem Vormittag durch die Zentrale Koordinierungsstelle für Intensivtransporte Baden-Württemberg (ZKS). Ein dringlicher Patiententransport steht an: Aufgrund einer Legionellenpneumonie muss ein 42-Jähriger mit beginnendem Lungenversagen (ARDS) von einem Schwerpunktversorger in ein Maximalversorgungszentrum mit der Möglichkeit einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO). „Es war klar, dass es sich um einen schwerkranken Patienten handelt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in der aufnehmenden Klinik ein Lungenersatzverfahren bekommt. Dass die Blutgaswerte so schnell schlechter wurden, hat uns jedoch überrascht“, erinnert sich Lichy, Leitender Arzt der Stuttgarter Station der DRF Luftrettung am Flugplatz Pattonville.

 

In 10 min abflugbereit

Nach einer Alarmierung durch die ZKS führt der diensthabende Notarzt immer ein Arzt-Arzt-Gespräch mit der abgebenden Klinik, um herauszufinden, auf welche Probleme sich das Team einstellen muss. „In diesem Fall sprachen Beatmungsparameter, Gasaustausch und Kreislaufverhältnisse in der Gesamtschau nicht gegen einen Transport. Es hörte sich eigentlich nach einem Standardfall an“, sagt Lichy. Er brieft also seine Kollegen: den Piloten und den sog. HEMS-TC – einen Rettungs- bzw. Notfallsanitäter, der als Helicopter Emergency Medical Services Technical Crew Member ausgebildet ist. Der Pilot prüft noch die Wetterlage und die Meldungen der Deutschen Flugsicherung. 10 min nach der Einsatzmeldung sind sie in der Luft, 7 min später an der abgebenden Klinik.

 

Transport: ausgeschlossen

Als erstes schaut sich Lichy die Ergebnisse der letzten Blutgasanalyse an: „Man konnte an der Kurve deutlich nachvollziehen, wie es dem Patienten innerhalb der letzten halben Stunde peu à peu schlechter ging.“ Probeweise versuchen die Ärzte, den Patienten an das transportable Beatmungsgerät der Luftrettung anzuschließen, denn Lichy weiß, dass es sich damit häufig besser beatmen lässt als mit den Intensivbeatmungsgeräten in manchen Kliniken. Doch es nützt nichts: Sie können den Patienten nicht mehr ventilieren, trotz hoher Beatmungsdrücke nehmen Oxygenierung und Decarboxylierung immer weiter ab. Grund dafür ist die komplette Infiltration des Lungengewebes, es findet kein Gasaustausch mehr statt. Infolge der Hyperkapnie entsteht eine schwere respiratorische Azidose. Entsprechend hoch ist der Arterenolbedarf. Ein Transport kommt unter diesen Umständen nicht infrage. „Es war eine absolut dramatische Situation mit der Gefahr, dass der Patient ein Multiorgan- und Kreislaufversagen entwickelt!“ Was tun?


Entschluss zur externen ECMO-Kanülierung

Als erstes hängen die Ärzte den Patienten wieder an das Beatmungsgerät der Klinik. Dann schlägt Lichy vor: „Wir bauen die ECMO hier vor Ort ein!“ Dank der guten Vernetzung innerhalb der DRF Luftrettung weiß er von Kollegen an anderen Standorten, die bereits sehr erfolgreich Patienten extern kanüliert haben. Es selbst hat als Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Klinikums Ludwigsburg regelmäßig innerklinisch mit dem Thema ECMO zu tun. Lichy bespricht die Möglichkeit mit dem abgebenden Arzt, der sofort einverstanden ist. „Es war klar: Wenn wir es nicht tun, stirbt der Patient.“

 

Die Zielklinik macht mit

Jetzt kommt Lichy zugute, dass die aufnehmende Klinik sein „Heimathaus“ in Ludwigsburg ist. Gemeinsam mit dem Kollegen, der schon auf den schwerkranken Patienten wartet, hat er bereits unzählige ECMO-Kanülierungen vorgenommen und darüber hinaus ist dieser ebenfalls Hubschraubernotarzt. Ein kurzes Telefonat und Lichy hat die Zusage: Der Kollege kommt mit der ECMO-Konsole und hilft bei der Kanülierung. Als wären das nicht alles schon beste Voraussetzungen, hat Lichy noch ein weiteres Ass im Ärmel: „Aus der Überlegung heraus, dass auf uns irgendwann eine externe ECMO-Kanülierung zukommen könnte, haben wir gut ein Jahr vorher eine transportable ECMO-Konsole beschafft, inklusive einer für die Luftfahrt zugelassenen Halterung.“ Einen Einbautest haben sie ebenfalls gemacht. Schließlich ist es im Hubschrauber eng und so laut, dass die Besatzung auf visuelle Signale angewiesen ist. Deshalb müssen sie sich genau überlegen, wie sie das Gerät positionieren und im Notfall auch bedienen können. Eine Pflegekraft ist speziell für solch einen Fall eingewiesen. „Wir wussten also, wir können alles sicher transportieren und waren relativ entspannt.“

 

Protagonisten und Material vor Ort bringen

Wie kommt jetzt das Equipment an den richtigen Ort? Lichy schickt als erstes den Piloten gemeinsam mit dem HEMS-TC zurück zur Station am Flugplatz Pattonville. Dort räumen sie den Hubschrauber aus, um Platz für den Einbau der ECMO zu schaffen. Auf dem Rückweg nehmen sie Arzt und Pflegekraft aus Ludwigsburg samt der Konsole mit. In der Zwischenzeit bereitet Lichy auf der Intensivstation alles für die Kanülierung vor: Er lagert den Patienten richtig, stellt per Ultraschall die Gefäße dar und organisiert sterile Tische für das Material.


Anlage der ECMO

Ziel einer veno-venösen ECMO ist es, den Gasaustasch zu sichern. Dafür wird venöses Blut über eine großlumige Kanüle mit einer Pumpe aus der Vena cava des Patienten gesaugt und über einen Oxygenator mit Sauerstoff angereichert sowie decarboxyliert. Über eine Rückgabekanüle gelangt das Blut zurück in die Nähe des rechten Vorhofs. Während Lichy mit seinem Ludwigsburger Kollegen die Kanülen anlegt, kümmert sich die Pflegekraft um den Aufbau des ECMO-Systems. Die 3 sind ein eingespieltes Team, alles funktioniert reibungslos. Sobald die ECMO läuft, stabilisiert sich der Patient zusehends: „Das war sehr spektakulär, innerhalb weniger Minuten stieg die Sauerstoffsättigung von 72 auf 100 %.“ Nach kurzer Zeit greift auch die Decarboxylierung, und die Katecholamingabe lässt sich fast vollkommen einstellen. Auch die Beatmung fahren die Ärzte auf ein ganz niedriges Niveau herunter. Sie ist nun ultra-lungenprotektiv eingestellt.

 

Gefahr des Verblutens

Noch können Lichy und seine Kollegen sich jedoch nicht entspannen. Für den Transport müssen sie den Patienten jetzt vom Bett auf die Trage umlagern. Dabei dürfen die Kanülen und Schläuche auf keinen Fall dislozieren oder -konnektieren: Das wäre bei einem Blutfluss von bis zu 7 l/min höchstwahrscheinlich letal. Doch es geht alles gut und eineinhalb Stunden nachdem die Ludwigsburger Kollegen eingetroffen sind, ist die Übernahme gelungen, der Patient sicher in den Hubschrauber eingeladen, alle Komponenten der EMCO-Konsole fixiert. Warum das so kritisch ist? „Während des Flugs ist es im Hubschrauber relativ ruhig, aber vor allem bei der Landung vibriert es. Deswegen verwenden wir extra zugelassene Halterungssysteme!“


Überführung in die aufnehmende Klinik

Das Team hat sich durch die externe Kanülierung um 2 Personen vergrößert, dazu kommen die ECMO-Konsole und der Patient – haben überhaupt noch alle Platz an Bord? „Die Regelbesatzung plus eine Person können wir unterbringen“, erläutert Lichy. Da die Pflegekraft als Operator während des Flugs die ECMO-Konsole bedient, nimmt der ärztliche Kollege ein Taxi zurück nach Ludwigsburg. Der Rettungshubschrauber ist natürlich deutlich schneller und in wenigen Minuten dort. Als der Arzt ankommt, hat die Patientenübergabe schon stattgefunden. „Wir begleiten die Patienten immer bis zur Intensivstation, Bed-to-Bed. Der Clou dabei ist, dass wir das ECMO-Gerät nur aus der Transporthalterung nehmen und in die stationäre klicken müssen.“ Die Ludwigsburger Kollegen wollen natürlich noch ganz genau wissen, was passiert ist. Schließlich heißt es für Lichy und sein Team aber: zurück nach Pattonville und zum nächsten Einsatz – 4 Stunden nachdem Christoph 51 an diesem Morgen gestartet ist.


Outcome

Nach 14 Tagen auf der Ludwigsburger Intensivstation geht es dem Patienten wieder so gut, dass er zurück in die ursprüngliche Klinik verlegt wird – dieses Mal bodengebunden. Er ist wach und atmet mit Sauerstoffunterstützung über ein Tracheostoma. „Das konnten die Kollegen aber relativ schnell entfernen. Es war wirklich schön, wie sehr der Patient von der externen Kanülierung profitiert hat – ohne die hätte er sicher nicht überlebt!“ Lichy weist aber auch darauf hin, dass das gute Outcome nicht nur seinem beherzten Handeln zu verdanken ist. „Als der Patient am Vorabend in die Klinik kam und nachts intubiert wurde, haben die Kollegen der Frühschicht sofort erkannt, in welche Richtung das geht, und gehandelt. Es war einfach ein fulminanter Verlauf!“


Externe Kanülierung – 5 Jahre später

Lichys Ludwigsburger Kollegen begegnen dieser Premiere zunächst mit zurückhaltendem Respekt, aber schnell erkennen sie das Potenzial. Sie bauen das Verfahren weiter aus, legen Standards fest und informieren die ZKS darüber: „Die wissen, was wir machen und was nicht, das hat vor allem mit den technischen Gegebenheiten im Hubschrauber zu tun.“ Inzwischen läuft es so: Das externe Kanülierungsteam packt nach der Alarmierung ein fertiges Set ein und fährt damit zur Einsatzstelle. Sobald der Einbau beginnt, geht eine Info an das Team der DRF Luftrettung über die ZKS. Der Hubschrauber trifft zur Übernahme des Patienten samt Operator ein und bringt diese zur aufnehmenden Klinik. „Jetzt ist es eine deutschlandweit in die Breite gestreute Geschichte, fast schon Routine!“ Trotzdem dürfe man nicht vergessen, dass damit nach wie vor ein Risiko verbunden ist. Voraussetzung ist zwar jahrelange innerklinische Erfahrung mit ECMO. Doch nicht bei allen Patienten eignen sich beispielsweise die Gefäße zur Punktion und Kanülierung. Außerdem muss man mit unterschiedlichsten Kreislaufreaktionen nach dem Anfahren der ECMO rechnen.“ Am wichtigsten ist Lichy deshalb: „Es gilt ,safe before fast', und das Ganze besteht aus Teamplay! Wir haben hier ein tolles Team und können uns aufeinander verlassen. Nur deshalb haben wir erreicht, was wir mussten: den Patienten retten.“

 


 

Der Weg zur DRF Luftrettung – am Beispiel des Stuttgarter Standorts

•In der Regel sind Notärzte in der Luftrettung an einer Klinik angestellt. Diese entsenden ihre Mitarbeiter per Gestellungsvertrag an die DRF Luftrettung. Es gibt keine Möglichkeit sich direkt bei der DRF Luftrettung zu bewerben.


•Um am Standort Stuttgart arbeiten zu können, müssen Sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

•Facharzt für Anästhesie mit den Zusatzbezeichnungen Spezielle anästhesiologische Intensivmedizin und Notfallmedizin


•mind. 3 Jahre Erfahrung als bodengebundener Notarzt

•Das Ausbildungskonzept für neue Kollegen sieht 1 Woche Unterweisung vor, davon 1 Tag Theorie und 4 Tage Flugtraining. In dieser Zeit muss der Bewerber 5 Einsätze unter Supervision zweier ärztlicher Kollegen selbst abwickeln. Laufen diese aus Sicht der Ärzte, des leitenden Piloten sowie des leitenden HEMS-TC gut, hat die Station für die nächsten 3 Jahre einen weiteren Rotationskollegen.

Mehr zum Thema

Übersicht: Aktuelle Richtlinien zur Reanimation

Kurs: Online-Kurs Notfallmedizin

Artikel: Rettungsdienst: Der schönste und manchmal furchtbarste Job der Welt

Schlagworte