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  • 03.03.2015

Blickdiagnostik: Veränderungen an der Zunge

Veränderungen an der Zunge machen Patienten Angst – kein Wunder, denn als Werkzeug zum Sprechen und Kauen ist sie uns lieb und teuer. Zudem spiegelt die Zunge oft wider, was sonst im Körper passiert. Prof. Gerhard Grevers, Spezialist für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Herausgeber ­mehrerer HNO-Bücher, hat für uns die wichtigsten Befunde zusammengetragen.

Auch an der Zunge geht der Zeitgeist nicht spurlos vorbei. Abb. 1 und 2 zeigen, wie sich das morphologische Bild einer Krankheit ändern kann: Links sehen wir das Beispiel eines zwar seltenen, aber „normalen“ Zungenabszesses. Auslöser war, dass sich der Patient auf die Zunge gebissen hatte. Rechts dagegen die „zeitgemäße“ Form: ein Abszess nach einem Zungenpiercing. Rund um das Schmuck­element hat sich bereits eine Nekrose gebildet. Sich einen Ring durch die Zunge zu stecken, ist eben ungleich gefährlicher, als sich Ohrlöcher stechen zu ­lassen und auch gefährlicher als ein Lippenring. Wie du ein frisches Piercing am besten pflegst, damit die Wundheilung schnell voranschreitet, erklärt der Artikel hier.

 

Blickdiagnostik Zunge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 1 (links): Dieser Abszess hat sich nach einem Zungenbiss entwickelt. Er muss operativ entlastet werden.

Abb. 2 (rechts): Die „Zeitgeist-Variante“: Abszess nach Zungen- piercing mit nekrotischen Einschmelzungen. Beide Fotos: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Die Schleimhautoberfläche der Zunge unterscheidet sich von der übrigen Mundhöhlenschleimhaut durch eine Vielzahl von Papillen (Abb. 3). Sie verleihen ihr eine raue Oberfläche und dienen im Wesentlichen der Geschmackswahrnehmung. Auch der Zungenkörper ist komplex, er setzt sich aus verschiedenen Muskelsystemen zusammen. Diese versorgt der Nervus hypoglossus, der XII. Hirnnerv. Fällt er aus, kommt es zum typischen Bild einer Hypo­glossusparese (Abb. 4): Streckt der Patient die Zunge heraus, weicht sie zur gelähmten Seite ab.

Zunge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 3: Verschiedene Papillen-Arten sorgen dafür, dass wir schmecken können. Papillae filiformes dienen auch der Tastwahrnehmung. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Zunge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 4: Die Motorik der Zunge regelt der N. hypoglossus. Hier ist er einseitig, links, gelähmt. Die Sprache beeinträchtigt das kaum. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Varianten: nicht schön und auch nicht selten

Mit einem Blick auf die Zunge lassen sich nicht selten wichtige Rückschlüsse auf den allgemeinen Zustand des Patienten ziehen. Denn oft spiegeln sich dort sys­temische Erkrankungen wider. Neben harmlosen morphologischen Varianten, lokal begrenzten Entzündungen und tumorösen Veränderungen solltest du deshalb ­immer auch internistische Krankheiten in deine Differenzialdiagnosen einbeziehen, wenn du bei einem Patienten eine Zungenveränderung feststellst.

Ein Befund, der zwar gefährlich aussieht, aber eher zu den harmlosen Veränderungen zählt, ist die Haarzunge (Abb. 5a). Sie kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein, manchmal ist die Zungenoberfläche dabei fast schwarz gefärbt. Dahinter steckt eine fadenförmige Hyperkeratose der Papillae filiformes. Dem Patienten erscheint es, als wüchsen Haare auf seiner Zunge. Als Ursache für die Hyperkeratose kommen zum Beispiel Antibiotika, Steroide, Nikotinabusus und Mundhy­gienemittel in Frage. Aber auch bei Stoff­wechsel­störungen wie Diabetes oder einem Vitaminmangel können „Haare“ auf der Zunge „wachsen“.

 

Zunge - Foto: Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 5: Haarzunge (a) und Faltenzunge (b) – Befunde, bei denen sich der Patient meist keine Sorgen machen muss. Hinter a steckt eine ­Hyperkeratose der Papillen, b ist in der Regel vererbt. Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Die Lingua plicata mit tiefen Furchen (Abb. 5b) besitzt in den meisten Fällen ebenso wenig einen Krankheitswert. In der Regel erbt man sie. Etwa zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung haben eine solche „Faltenzunge“ . Allerdings kann sie auch als Glossitis interstitialis bei tertiärer Lues auftreten oder das Symptom eines seltenen Melkersson-Rosenthal-Syndroms sein. Bei letzterem leiden die Patienten zusätzlich noch unter einer peripheren ­Fazialisparese und rezidivierenden Gesichts- und Wangenschwellungen.

 

Oft verändert: die Zungen von HIV-Patienten

Weniger harmlos sind Veränderungen an der Zunge meist, wenn sie bei symptomatisch HIV-infizierten Patienten auftreten. Hier gehören sie zu den charakteristischen Erscheinungen. Sie sind nicht durch das HIV selbst bedingt, sondern treten sekundär im Rahmen der Immunsuppression auf. Abb. 6a zeigt das typische Bild einer Candidamykose der Zunge.

 

Zunge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 6: Bei symptomatischen HIV-Patienten spielen sich oft krankhafte Prozesse an der Zunge ab:
a zeigt die häufigste Infektion der Infizierten, eine Candidamykose. b lässt eine weitere Entzündung erkennen,
die orale Haarleukoplakie. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Zunge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb 6 c: Hier wächst auf der Zunge des Patienten ein Kaposisarkom, ein für HIV typischer Tumor. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Sie ist die häufigste Entzündung, unter der HIV-Infizierte leiden. Eine weitere entzündliche Erkrankung bei HIV-Infektion ist die orale Haarleukoplakie (Abb. 6b), die durch das Epstein-Barr-Virus bedingt sein soll: Vor allem am Zungenrand sieht man weißliche, leicht erhabene Streifen, die sich nicht abwischen lassen. Über Schmerzen klagen die Patienten normalerweise nicht, lediglich bei Superinfektionen mit Candida können Dysphagiebeschwerden auftreten. Schließlich kommt es aufgrund der speziellen Immunitätslage bei HIV-Infizierten überproportional häufig zu bösartigen Tumoren, die sich an der Zunge bevorzugt als Kaposisarkome (Abb. 6c) manifestieren. Ihre ­Pathogenese ist noch nicht abschließend geklärt – ­Herpesviren sollen beteiligt sein.

 

Pathognomonisches Himbeermuster

Auch bei kranken Kindern sollte man sich die Zunge stets genau angucken. Es gibt eine Infektionskrankheit, die hier einen besonders typischen Befund auslöst: die „Himbeerzunge“ (Abb. 7). Das klingt für die Kleinen zwar sicher lecker, ist aber pathognomonisch für Scharlach. Der Zungenkörper ist dabei charakte­ristisch rot gefärbt mit einer Papillenhyperplasie, die an Himbeeren erinnert. Tritt daneben eine Tonsillitis auf und kommt noch ein am Oberkörper beginnendes Exanthem hinzu, liegt die Diagnose nahe. Verursacher sind Streptokokken der Gruppe A.

 

Zunge - Foto: Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 7: Die Zunge eines Kindes mit Scharlach: Die Hyperplasie der Papillen lässt sie „himbeerartig“ erscheinen. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Zungen für die Internisten

Aber auch ohne dass eine Infektion vorliegt, zeigt die Zunge eines Patienten bisweilen an, dass dieser an einer internistischen Erkrankung leidet: Bei verschiedenen Krankheitsbildern der Inneren Medizin tritt etwa eine „Lackzunge“ (Abb. 8a) auf. Sie sieht gerötet, glänzend und wie „lackiert“ aus. Typische Beispiele dafür sind Patienten mit Leberzirrhose oder einer perniziösen Anämie bei Vitamin-B12-Mangel.

 

Znge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 8: Zungenbefunde bei internistischen Erkrankungen: Eine „Lackzunge“ (a) findet man zum Beispiel bei Patienten mit Leberzirrhose. b zeigt die Zunge einer Patientin mit Sjögren-Syndrom. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Beim Sjögren-Syndrom, einer Autoimmunkrankheit, sind die Speicheldrüsen chronisch entzündet. Als Ausdruck der „Sicca-Symptomatik“ trocknet bei diesen Patienten unter anderem die Mund- und ­Zungenschleimhaut aus (Abb. 8b). Ein ähnliches Bild lässt sich auch nach Bestrahlungen bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich beobachten, wenn die Speicheldrüsen im Bestrahlungsgebiet liegen. Bei Dosen über 15–20 Gy kommt es zu irreversiblen Schäden der Drüsenazini. Die Speichelproduktion sinkt, und nachfolgend entsteht eine Xerostomie, die von einer Mukositis der Mundschleimhaut begleitet wird. Typisch für den autosomal-dominant vererbten Morbus ­Osler (Abb. 8c) sind dagegen die Teleangiektasien an Haut und Schleimhaut, die auch an der Zungenoberfläche ein pathognomonisches Bild zeigen.

 

Zunge -  Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 8 c: Die roten Punkte, die man in c auf der Zunge sieht, sind Teleangiektasien – der Patient leidet an einem Morbus Osler. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Feinde der Zunge: Alkohol und Nikotin

Mit gutartigen Tumoren der Zunge kommen manche Menschen schon auf die Welt. Dazu zählen zum Beispiel Hämangiome (Abb. 9a) und Lymphangiome. In den ersten Lebensjahren haben sie eine hohe Spontanremissionsrate. Deshalb sollte eine konventionell- oder laserchirurgische Behandlung erst erwogen werden, wenn der Tumor über diesen Zeitraum ­hinaus persistiert – es sei denn, schwerwiegende Symptome wie Dyspnoe oder Dysphagie machen eine frühere operative Intervention erforderlich. Eine Strahlenbehandlung wird bei diesen Tumoren heute nicht mehr durchgeführt. Wegen potenzieller Folgeschäden, insbesondere der Gefahr einer späteren malignen Entartung aber auch wegen der Wachstumsbeeinträchtigung, wäre das zu riskant.

 

Zunge - Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

Abb. 9: In a sieht man ein gutartiges Hämangiom. b zeigt keine Candida-Infektion,
sondern die asymptomatische Leukoplakie, eine Präkanzerose. c und d sind verschiedene Erscheinungs­formen des Plattenepithelkarzinoms an der Zunge. Foto: Probst R., Grevers G., HNO, Thieme

 

Die häufigste Präkanzerose an der Zunge ist die Leukoplakie (Abb. 9b). Da sie keine Beschwerden verursacht, entdeckt man sie oft nur zufällig. Ätiologisch werden hier vor allem exogene Reizfaktoren angeschuldigt, wie Prothesendruck oder Alkohol- und Nikotinabusus. Bösartige Tumoren der Zunge sind fast ausschließlich Plattenepithelkarzinome. Ihr Erscheinungsbild kann sich erheblich unterscheiden (Abb. 9c und d). Mit der einfachen Regel: „Nicht ­rauchen, nicht trinken!“ ließen sich die meisten ­dieser Karzinome verhindern – anamnestisch liegt bei 90 Prozent der Betroffenen ein langjähriger Ni­kotin- und Alkoholabusus vor.

 


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