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  • Dr. S. Bauer, Prof. G. Gross
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  • 08.10.2014

Der Venus kleine Teufel - Blickdiagnostik Geschlechtskrankheiten

Lange schien HIV der letzte relevante Vertreter der sexuell übertragbaren Erreger. Doch seit einigen Jahren erleben auch die „Klassiker“ wie Syphilis und Gonorrhö ein Revival. Wir erklären, wie du diese sicher erkennst und behandelst.

 

Das Buffet nach dem Pressetermin war reichhaltig und mit exotischen Köstlichkeiten gespickt. Klarer Fall, dass sich Herr H. kräftig bediente. Doch als der Geschäftsmann am nächsten Morgen in den Spiegel guckte, bereute er sofort, dass er so zugelangt hatte: Sein Körper war mit rosa Flecken bedeckt. Das war sicher wieder eine allergische Reaktion gegen eine dieser südländischen Gewürzmischungen. Vor ein paar Wochen hatte er auf einer Geschäftsreise einen Hummer verzehrt – und einen ähnlichen Ausschlag bekommen. Dieser hatte damals allerdings stark gejuckt. Die aktuellen Flecken juckten gar nicht. Zudem fühlte er sich kränklich. Deshalb ging er sicherheitshalber zum Hausarzt. Diesem fielen neben einem makulo-papulösen Exanthem eine leicht vergrößerte, druckdolente Leber, subfebrile Temperaturen und vergrößerte Lymphknoten inguinal auf. Ein Infekt mit Hepatitis A schien aufgrund eines Türkeiaufenthaltes möglich, sodass er Labortests anordnete. Die Ergebnisse überraschten nicht nur Herrn H. Auch der Arzt rechnete mit diesem eher seltenen Befund nicht: Der nur routinemäßig veranlasste TPHA-Test war positiv! Die vermeintliche Virushepatitis entpuppte sich als eine Syphilis im Sekundärstadium. Als der Arzt fragte, ob er in letzter Zeit ungeschützten Sex gehabt habe, errötete Herr H. merklich.

 

Globales Comeback

Eigentlich sind sie ein alter Hut. Doch derzeit sind sie weltweit wieder auf dem Vormarsch: sexuell übertragbare Krankheiten (STD*). Grund dafür ist eine neue Sorglosigkeit und „Kondommüdigkeit“, nachdem gerade HIV aufgrund neuer Therapiemöglichkeiten seinen Schrecken verloren hat. Gemäß neuer Zahlen des Robert-Koch-Instituts hat sich z. B. die Zahl der Neuinfektionen mit Syphilis von Beginn der Meldepflicht 2001 binnen drei Jahren knapp verdoppelt (2004: 3.352). Die Inzidenz steigt vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben. Die Ausbreitung der Syphilis geht zudem mit einem Anstieg an HIV-Neuinfektionen einher. Der Zusammenhang ist einleuchtend: Eine STD erleichtert die Übertragung von HIV, da sie die Barrierefunktion der Schleimhaut schwächt. Die HIV-bedingte Immundefizienz behindert wiederum die Ausheilung einer STD. In den letzten Jahren gewinnen deshalb auch andere „klassische“ Geschlechtskrankheiten wie Gonorrhö, Ulcus molle, Lymphogranuloma venereum und virale Infektionen mit Hepatitis-, Papilloma- oder Herpesviren wieder an Bedeutung.

 

„Syphilus packt sie als Ersten ...!“

Die Lues („ansteckende Krankheit“) ist das wohl historisch bedeutendste venerische** Leiden. Ihr fielen so prominente Persönlichkeiten wie der Philosoph Friedrich Nietzsche und der Dichter Heinrich Heine zum Opfer. Der Begriff „Syphilis“ entstammt einem Gedicht aus dem 16. Jahrhundert in dem ein Hirte namens Syphilus als Strafe für sein lasterhaftes Leben von der Lues heimgesucht wird. Die Herkunft der Krankheit ist unklar. Eine Theorie geht davon aus, dass die „Lustseuche“ durch Kolumbus’ Männer von Süd­amerika nach Europa eingeschleppt wurde. Andere Experten glauben aufgrund von Knochenfunden, dass sie schon vor dem 15. Jahrhundert in Europa grassierte. Im Volksmund hieß das Leiden lange Franzosenkrankheit, weil französische Soldaten bei der Belagerung Neapels 1495 zu Hunderten an Syphilis starben. Im französischen Volksmund wurde selbstredend ein anderes Volk – die Neapolitaner – für das Unheil verantwortlich gemacht („Mal de Naples“).

Die Erkrankung ist tückisch: Sie verläuft in vier Stadien über mehrere Jahrzehnte und bleibt zunächst oft unbemerkt. Drei Wochen nach Infektion mit dem Bakterium Treponema pallidum bildet sich im Bereich der Eintrittspforte eine hart­randige Papel aus, die sich zu einem Geschwür umwandelt (Ulcus durum, Abb. 1a). Hinzu tritt eine meist einseitige Lymphknotenschwellung (syphilitischer Primäraffekt).

Ein Primäraffekt an der Lippe kann eine Aphthe imitieren (Abb. 1b), am Finger eine chronische Parony­chie. Da der schmerzlose Primäraffekt nach vier bis sechs Wochen auch ohne Therapie abheilt, bleibt die Syphilis im Frühstadium oft unbehandelt, und es kommt zur Dissemination des Erregers. Die sekundäre Syphilis ist durch ein symmetrisches makulo-papulöses Exanthem (Syphilide) gekennzeichnet (Abb. 1c). Die Hauterscheinungen jucken nicht und heilen meist ohne Narben ab, wobei aber Depigmentierungen zurückbleiben können („Halsband der Venus“). Weitere Manifestationen sind intertriginöse, nässende Papeln (Condylomata lata), die anders als Genitalwarzen breitbasig aufsitzen und am After gelegentlich für Hämorrhoiden gehalten werden. An der Mundschleimhaut können rote infiltrierte Flecken (Plaques muqueuses) mit Fibrinbelag (Plaques opalines) vorkommen. Differenzialdiagnostisch muss man an habituelle (schmerzhafte!) Aphthen, Herpes simplex und den Lichen ruber denken. Zusätzlich zu einer Lymphadenopathie kann es zum Befall innerer Organe kommen. Aber auch die Manifestationen des Sekundärstadiums heilen spontan ab. Es folgt eine symp­tom­freie Erregerpersistenz (Lues latens seropositiva). Nach drei bis fünf Jahren können im Tertiärstadium dann granulo­matöse Entzündungen (Gummen) der Haut und inneren Organe auftreten. Die Prognose bei kardio­vaskulärer Beteili­gung ist meist infaust. Eine Entzündung des ZNS führt als Metasyphilis nach 20 bis 25 Jahren zur Degene­ra­tion der Hinterstränge des Rückenmarks (Tabes dorsalis).

Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Syphilis mit hochgiftigem Quecksilber behandelt. Um 1900 fand man heraus, dass das Bakterium Temperaturen von über 41°C nicht überlebt. Daraufhin infizierte man Erkrankte mit Malaria. Erst als Paul Ehrlich 1909 das Salvarsan entwickelte, war eine echte, erträgliche Therapie der Syphilis möglich. Heute ist Penicillin Mittel der Wahl.

 

Bonjour Gonorrhö

Auch die Gonorrhö konnte zunächst gut mit Penicillin behandelt werden. Aufgrund der Entwicklung von Resistenzen muss man heute aber auf Cephalosporine und Gyrasehemmer zurückgreifen. Mit etwa 25.000 Neuerkrankungen pro Jahr ist sie eine der häufigsten STDs in Deutschland. Das wichtigste Symptom ist der eitrige Ausfluss mit Dysurie („Bonjourtropfen“, Abb. 2) als Ausdruck einer Urethritis bzw. Zervizitis. Gerade bei Frauen kann die Gonorrhö aber auch asymptomatisch verlaufen. Durch lokale Ausbreitung kann der Erreger Neisseria gonorrhoeae auch Prostata, ­Nebenhoden, Eileiter und Bauchfell infizieren. Infertilität ist eine gefürchtete Komplikation. Selten komm es zu einer hämato­genen Streuung mit Fieber und Arthralgien. Diagnostisch wegweisend sind die gramnegativen Diplokokken im Abstrichpräparat. Zur Diagnosesicherung solltest du eine PCR anschließen und für die Resis­tenzbestimmung eine Kultur anlegen. In etwa 25 Prozent der Fälle ist der „Tripper“ mit einer Chlamydieninfektion assoziiert.

 

Spitz und viral: Feigwarzen

Anders als die bakteriellen Infekte Syphilis und Gonorrhö werden Feigwarzen (Condyloma acuminata, Abb. 3) durch Viren verursacht. Etwa ein Prozent der Deutschen leiden daran. Ungefähr 10 Prozent haben subklinische Infekte. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. Gelegentlich findet sich ein extragenitaler Befall (z. B. Mamille, Larynx). Der wichtigste Risikofaktor ist der häufige Wechsel der Sexualpartner. Aber auch die Rasur des betroffenen Hautareals und Zigarettenrauchen scheinen Genitalwarzen zu begünstigen.

Hervorgerufen werden „spitze Kondylome“ durch Humane Papillomviren (v. a. HPV 6 und HPV 11). Die Diagnose wird primär durch Inspektion gestellt. Nach Applikation von Essigsäure verfärben sich die Feigwarzen weißlich. Um sie von benignen Hauttumoren (z. B. Fibroma pendulans, seborrhoische Warzen) zu unterscheiden, sollten sie histologisch untersucht werden. Auch ektopische Talgdrüsen können mit ihnen verwechselt werden. Neben den Condylomata lata der Syphilis sind Mollusca contagiosa, prämaligne Veränderungen (z. B. M. Bowen, Erythroplasia Queyrat) sowie maligne Neoplasien von Genitalwarzen abzugrenzen. Bei Kindern können Feigwarzen auch Zeichen sexuellen Missbrauchs sein. Doch Vorsicht: Häufiger stecken einfache Schmierinfektionen hinter einem solchen Befund.

Die Warzen lassen sich per Kryotherapie, Laserablation oder OP entfernen. Selbst behandeln können sich Patien­ten mit Keratolytika und zytostatisch bzw. immunologisch wirksamen Substanzen. Bei perianalen Warzen sollten nach Therapie per Anoskopie anale Kondylome ausgeschlossen werden. Wie bei allen STDs darf man die Therapie des Sexualpartners nicht vergessen. Kondome haben keinen verlässlichen präventiven Effekt. Dennoch ist Kondomschutz noch bis etwa vier Monate nach Therapie indiziert. Die seit 2006 zuge­lassene pro­phylaktische quadrivalente HPV-Vakzine (Gardasil®) bietet mittlerweile auch einen Schutz vor HPV 6 und 11 und damit vor mehr als 90 % der genitoanalen Warzen.

 

Auch das noch: verdächtige Schwellungen

Neben den bereits erwähnten STDs spielen mindestens drei weitere eine bedeutende Rolle: Eine vor allem bei Tropentouristen häufige STD ist das Ulcus molle („weicher Schanker“, Abb. 4). Diese Infektion mit Hämophilus ducreyi findet sich vor allem bei Männern. Sie äußert sich mit geröteten Papeln an den Geschlechtsorganen, die innerhalb weniger Tage in bis zu zwei Zentimeter große schmerzhafte Ulzera über­gehen. In etwa 50 Prozent der Fälle gehen die Ulzerationen mit einer einseitigen schmerzhaften Lymphknotenschwellung einher. Die Krankheit verläuft meist selbstlimitierend.

Eine weitere STD, die ebenfalls eher in den Tropen vorkommt und zu einer Lymphknotenschwellung führt, ist das Lymphogranuloma inguinale. Es betrifft vor allem Männer und wird durch Chlamydia trachomatis Serovar L 1–3 hervorgerufen. An der Kontaktstelle entsteht eine Papel, die flach ulzeriert und spontan abheilt. Nach etwa vier Wochen kommt es zur Ausbildung einer inguinalen Lymphknotenschwellung, dem „Bubo“ (Abb. 5). Diese Erkrankung verläuft chronisch und mündet nach Jahren in ein Endstadium mit Strikturen, Fibrosen und Geschwüren. Die Zerstörung der Lymphbahnen kann ein Lymphödem mit elephantiasisartiger Schwellung verursachen.

Auch in der westlichen Welt stark verbreitet ist dagegen der Herpes genitalis, der überwiegend durch HSV Typ 2 – seltener Typ 1 – hervorgerufen wird. Nach einer kurzen Inkubationszeit tritt eine schmerzhafte Rötung und Schwellung der Genitalregion unter Ausbildung von gruppiert stehenden Bläschen auf (Abb. 6). Diese gehen rasch in schmerzhafte Erosionen und oberflächliche Ulzera über. Meist kommt es zu einer regionalen Lymphknotenschwellung mit Allgemeinsymptomen. Durch die Persistenz des Virus in den Ganglien re­zidiviert die Krankheit häufig. Nicht nur bei schweren Verläufen werden systemisch Virustatika wie Aciclovir verabreicht. Differenzialdiagnostisch musst du zum einen an eine Candidainfektion denken. Zum anderen solltest du – und das gilt für alle STDs – nie die „Regel von den Läusen und Flöhen“ vergessen, die man laut einer alten Weisheit durchaus auch mal beide haben kann. Bei STDs kommen aufgrund der Risikostruktur der Betroffenen nicht selten Doppel- oder sogar Vielfach­infektio­nen vor. Schaue also lieber zweimal hin.

 


Kleine "Kulturgeschichte" der Syphilis

Das Gedicht „Syphilis, sive Morbus Gallicus“ („Syphilis, oder die französische Krankheit“) des italienischen Arztes Girolamo Fracastoro (1483–1553) diente in der Renaissance der medizinischen Aufklärung und war so ein früher Beitrag zur Prävention der Syphilis – obwohl der Wortlaut heutigen Präventionsbemühungen wohl nicht gerecht würde: „Syphilus packt es als Ersten. Schlimm wird ihm der Leib zerfressen (...) Es empfängt von ihm die Krankheit nun den Namen: Syphilis.“ Einer der berühmtesten Patienten, die sich von diesem Gedicht nicht beeindrucken ließen, war Friedrich Nietzsche, dessen Krankenakte als Ursache für seinen zunehmenden „Wahnsinn“ eine Progressive Paralyse bescheinigte – die wohl auf einer Neurosyphilis beruhte. Auch bei Robert Schumann (1810–1856), dem Komponisten und Ehemann von Clara Schumann, wurde die Diagnose eines Nerven­leidens gestellt. Seine Psychose führte man in Unwissenheit des syphilitischen Krankheitsverlaufes auf eine bipolare affektive Störung zurück. Ein Blick in seine Krankenakte lässt auch eine Lues vermuten. Andere Kulturschaffende des 19. Jhs., wie Heinrich Heine und Franz Schubert, waren ebenso „Leidensgenossen des Syphilus“. 

 


Dr. med. Susanne Bauer war Assistenzärztin an der Klinik für Dermatologie und Venerologie der Universität Rostock bis 2011. Der Artikel entstand mit fachlicher Unterstützung von Univ. Prof. Dr. med. G. Gross, Professor Emeritus seit 01.10.2013

 


Abbildungshinweise: 

Abbildungen 1 a-c, 2, 3 und 6 stammen von Univ. Prof. Dr. med. G. Gross, Univ. Hautklinik Rostock

Abbildungen 4 und 5 stammen aus der Dualen Reihe Medizinische Mikrobiologie, Thieme Verlag 

 


Literatur:

Die Deutsche STI-Gesellschaft (Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit) hat eine tolle Leitlinie für die Kitteltasche herausgebracht:

Die Leitlinie kostenlos downloaden

 

Prof. G. Gross et al.: S3-Leitlinie zur Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien, 12/2013

Kostenlos downloaden: S3-Leitlinie zur Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien (pdf)

 

Gross, Gerd, Tyring, Stephen K.: Sexually Transmitted Infections and Sexually Transmitted Diseases Springer Verlag 2011

 

 

 

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