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  • Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt
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  • 20.08.2014

Augenblicke der Diagnose - Blickdiagnostik

Je öfter man Krankheiten sieht, desto besser. Dann kann man Patienten mit einer ganzen Datenbank voller Bilder im Kopf vergleichen. Die Augenheilkunde ist für diagnostische Blicke wunderbar geeignet.

 

„Schau dem Patienten in die Augen, und du erkennst seine Blinddarmentzündung in der rechten Iris bei sieben Uhr ...“ So oder so ähnlich funktioniert die Irisdiagnostik, die leider jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Ein langer Blick in die Patientenaugen lohnt sich trotzdem, denn manche Veränderungen geben eben doch aufschlussreiche diagnostische Hinweise.

 

Um nichts zu übersehen, sollte man bei der Inspektion entsprechend dem anatomischen Aufbau von außen nach innen vorgehen. Wir betrachten also nacheinander die Lider, Bindehaut, Hornhaut und Iris. Die tiefer liegenden Bestandteile des Auges wie Linse, Glaskörper und Netzhaut lassen sich ohne Hilfsmittel kaum beurteilen und bleiben hier deshalb ausgeklammert.

 

Läsionen am Lid

Fehlstellungen der Lidkante kann man wahrscheinlich schon beobachten, wenn im Verwandtenkreis der nächste 80. Geburtstag ansteht: Eine nach innen gedrehte Lidkante wird als Entropium (Abb. 1), eine nach außen gekehrte als Ektropium (Abb. 2) bezeichnet. Meist sind die Unterlider betroffen. Sowohl En- als auch Ektropium entstehen vor allem im Alter, wenn die Lidstrukturen schlaff werden. Ein Entropium kann auch durch eine Vernarbung der Lidkonjunktiva auftreten, ein Ektropium dagegen durch Narben an der äußeren Lidhaut.

 

Entropium - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 1: Durch das Entropium wird das Auge gereizt, weil die Wimpern auf der Hornhaut reiben (Trichiasis). Eine chirurgische Korrektur kann helfen.

 

Ektropium - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 2: Beim Ektropium kann es zum Austrocknen der Hornhaut kommen. Eine mögliche Ursache für diese Fehlstellung ist die Fazialisparese.

Gerstenkorn - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

Abb. 3: Die Verursacher des Gerstenkorns (Hordeulum) sind meist Staphylokokken, die eine Lidranddrüse (Zeiss- oder Moll-Drüse) infiziert haben.

 

Ebenfalls vorwiegend bei älteren Patienten kommen im Lidbereich sogenannte Xanthelasmen vor (Abb. 6). Diese gelblichen, flächig-erhabenen Einlagerungen treten oft beidseitig auf und entstehen durch Cholesterin- und Lipidablagerungen. Bei alten Menschen handelt es sich meist um eine Erscheinung ohne Krankheitswert. Bei jüngeren Patienten bis zum 30. Lebensjahr können sie jedoch auf eine Hyperlipoproteinämie hinweisen, die abgeklärt werden muss!

 

Klagt ein Patient über eine Schwellung am Lid, kommen hauptsächlich zwei – „körnige“ – Differenzialdiagnosen in Betracht: ein Gerstenkorn (Hordeolum, Abb. 3) oder ein Hagelkorn (Chalazion, Abb. 4). Beim Hordeolum ist das Lid entzündlich gerötet, besonders an der Lidkante. Später kann hier eine Pustel entstehen. Bei einem Chalazion sieht man eine umschriebene, rundliche Vorwölbung des Lides, das weniger stark gerötet ist als beim Hordeolum. Noch ein Tipp zur Unterscheidung: Im Gegensatz zu einem Hordeolum ist ein Chalazion nicht schmerzhaft!

 

Eine ganz und gar nicht harmlose Veränderung der Lider ist das Basaliom (Abb. 7). Da die unteren Augenlider eine der sogenannten „Lichtterrassen“ sind, bildet sich dieser semimaligne Tumore an dieser Stelle gar nicht so selten. Bei der häufigsten Form, dem noduloulzerativen Basaliom, sieht man ein perlmuttfarbenes Knötchen mit erweiterten Blutgefäßen, das zentral eine Ulzeration aufweisen kann. Bei der Palpation ist das Knötchen fest.

 

Hagelkorn - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 4: Beim Hagelkorn (Chalazion) ist der Ausführungsgang einer Meibom-Drüse verstopft. Es kommt zu einer sterilen, chronisch-granulomatösen Entzündung.

 

Pterygium - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 5: Ein Pterygium (Flügelfell) kann durch eine chronische Reizung der Bindehaut bei Trockenheit und durch ultraviolettes Licht hervorgerufen werden.

 

Xanthelasmen - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt  

 

Abb. 6: Harmlose Cholesterin- und Lipideinlagerungen (Xanthelasmen) eines älteren Patienten. Man entfernt sie nur, wenn sie kosmetisch stören.

 

Horn- und Bindehaut

Besonders eine Veränderung der Bindehaut beunruhigt Patienten oft, obwohl sie keine Beschwerden verursacht: das Hyposphagma (Abb. 8). Man sieht einen scharf begrenzten, intensiv rot gefärbten Bereich über der sonst weißen Lederhaut (Sklera). Das Hyposphagma ist eine meist harmlose Blutung. Sie entsteht zum Beispiel durch Valsalva-Manöver (Husten, Pressen), bei Hypertonie oder nach einem Trauma des Augapfels.

 

Ebenfalls meist ungefährlich ist der Lidspaltenfleck (Pingueculum, Abb. 9): Man sieht ein gelblichweißes Bindehautknötchen im Bereich der Lidspalte. Die Veränderung findet man bei älteren Menschen, die jahrelang starkem Sonnenlicht ausgesetzt waren, zum Beispiel bei Fischern.

 

Wie ein „Flügelfell“ (Pterygium, Abb. 5) sieht es aus, wenn die vaskularisierte Bindehaut auf die normalerweise avaskuläre Hornhaut vorwächst. Meist ist es nasal lokalisiert und hat eine dreieckige Form. Ein Pterygium kann das Auge reizen und das Sehen beeinträchtigen – etwa, wenn ein Astigmatismus entsteht oder wenn es die optische Achse verdeckt.

 

Beim Arcus lipoides oder Arcus senilis sieht man eine ringförmige milchig-weiße Trübung der peripheren Hornhaut (Abb. 10). Sie ist durch eine klare Zone vom Limbus – dem Übergang von Hornhaut zur Bindehaut – getrennt. Die Begrenzung dieses weißlichen Bandes ist zentral diffus und unscharf, peripher jedoch scharf. Tritt ein Arcus lipoides vor dem fünfzigsten Lebensjahr auf, muss eine Fettstoffwechselstörung ausgeschlossen werden, ähnlich wie bei Xantelasmen.

 

Basaliom - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

Abb. 7: Gar nicht so selten entsteht ein Basaliom im Unterlidbereich. Das fehlende Wimpernwachstum (Madarosis) zeigt die Malignität des Tumors an.

 

Hyposphagma - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 8: Einblutung in den Raum zwischen Sklera und Bindehaut (Hyposphagma). Eine Behandlung ist unnötig, nach etwa zwei Wochen ist sie resorbiert.

 

Lidspaltenfleck - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt  

 

Abb. 9: Ein Lidspaltenfleck (Pinguecula), der sich selten einmal entzünden kann und dann mit einem topischen Steroid behandelt wird.

 

Leiden, die mehr als eine Struktur betreffen

Auf Abb. 11 sind gleich mehrere Veränderungen zu erkennen: Das Auge ist gerötet – Grund dafür ist eine vermehrte Blutfülle der Bindehaut- und der Skleragefäße. Man spricht von einer „gemischten Injektion“. Die Hornhaut ist durch ein Ödem getrübt. Zuletzt fällt auf, dass die Pupille entrundet ist. Beim Testen der Pupillenreaktion mit der Diagnostikleuchte reagiert sie nicht auf Licht. Diese Befunde sprechen sehr für einen Glaukomanfall. Schnellwird aus der Verdachtsdiagnose eine gesicherte Diagnose, wenn man den betroffenen Bulbus im Vergleich zur Gegenseite oder dem eigenen Augapfel palpiert: Er ist steinhart. Wenn man Abb. 12 aufmerksam betrachtet, sieht man, dass die Pupille des rechten Auges enger ist als die des linken. Der rechte Augapfel ist etwas in die Orbita zurückgesunken (Enophthalmus). Außerdem erkennt man bei genauem Hinsehen rechts auch eine Ptosis, also ein Herabhängen des Oberlides und eine leichte Hebung des Unterlides. Die verengte Pupille reagiert auf Licht, erweitert sich aber nach Wegnehmen des Lichtes verlangsamt – der Patient hat ein Horner-Syndrom. Dieses Syndrom wird durch eine Störung der sympathischen Pupilleninnervation verursacht und muss neurologisch abgeklärt werden.        

 

Der Befund von Abb. 13 kann auf eine Störung der Schilddrüsenfunktion hinweisen – muss aber nicht: Die endokrine Orbitopathie tritt auch ohne Schilddrüsenerkrankung auf. Man beobachtet bei ihr oft einen beidseitigen Exophthalmus und eine periorbitale Schwellung. In Folge eines erschwerten Lidschlusses können die Augen gerötet sein. Eine Lidretraktion (Verkürzung) ist für die endokrine Orbitopathie pathognomonisch – oder mit anderen Worten: Ein aufmerksamer Arzt ist hier nur einen Wimpernschlag von der richtigen Diagnose entfernt!

 

Arcus lipoides - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 10: Ein Arcus lipoides oder Arcus senilis entsteht durch Lipideinlagerung in das Hornhautstroma. Im Alter hat diese Veränderung keinen Krankheitswert. Bei jungen Menschen kann eine Fettstoffwechselstörung die Ursache sein.

 

Glaukomanfall - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

Abb. 11: Der Glaukomanfall (akutes Winkelblockglaukom) ist ein Notfall, bei dem das Auge zu erblinden droht! Durch den erhöhten Augeninnendruck ist die Hornhaut ödematös angeschwollen.

 

Horner-Syndrom - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 12: Horner-Syndrom rechts. Die Störung liegt im Sympathikusverlauf. Bei einem Drittel der Patienten findet man keine Ursache

 

Orbithopathie - Foto: Prof. Dr. med. Gerd Geerling und Johannes Patzelt

 

Abb. 13: Bei der endokrinen Orbitopathie sind die Oberlider, z. B. durch eine narbige Verkürzung des M. levator palpebrae, retardiert.

 

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