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  • 05.12.2014

Fastenkuren - Alles muss raus!

Gläubige Muslime schwören auf die reinigende Wirkung ganztägiger Essenspausen im Fastenmonat Ramadan. Auch viele Rheuma-Patienten oder Hypertoniker versprechen sich vom Fasten Erleichterung – allerdings eher handfester gesundheitlicher Natur. Was spricht für, was gegen den befristeten Nahrungsverzicht? Hier eine Abwägung der Argumente.

 

 

Säftekur, Foto: Kirsten Oborny

 

Es ist glühend heiß an diesem Nachmittag im August. Nurten Celik (59) eilt emsig durch die Küche, kocht, backt und schwitzt ... In diesem Jahr liegt der Fastenmonat Ramadan im Hochsommer. Dabei fühlt sich die türkische Lehrerin trotz der Hitze beschwingt. Niemand würde ihr anmerken, dass sie den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken hat. Trotz aller Integration hat die dreifache Mutter an einigen islamischen Traditionen festgehalten. Das Fasten im Ramadan gehört dazu. Dieser Monat gilt unter Muslimen als Zeit der Barmherzigkeit.

 

Der Verzicht auf Essen und Trinken soll die Menschen lehren, die alltäglichen Dinge des Lebens wieder wertzuschätzen. Andere Religionen haben ganz ähnliche Bräuche: Christen fasten in den 40 Tagen vor Ostern – aus Solidarität mit Jesus, der laut Bibel dieselbe Zeitspanne in der Wüste ohne Essen ausharrte. Buddhistische Mönche verzichten fast täglich ab 12 Uhr mittags komplett auf Nahrung. Doch neben Religiosität und Spiritualität gibt es noch einen weiteren Grund, der Menschen befristet auf Nahrung verzichten lässt: Sie hoffen, dass es ihrer Gesundheit guttut.

 

Mit Gemüsebrühe gegen Rheuma?

Ein Pionier dieser Idee war der hessische Militärarzt Dr. Otto Buchinger (1878–1966). Er litt nach dem 1. Weltkrieg an einer heftigen Arthritis, deren Symptome sich dramatisch besserten, als er eine dreiwöchige Fastenkur durchführte. Nach dieser Erfahrung sah es Buchinger als seine Berufung an, daraus eine Heilkunde zu entwickeln. Er gründete eine Fasten­klinik und prägte in den 1930er Jahren den Begriff des „Heilfastens“. Die Buchinger-Kur beginnt mit zwei Tagen leichter Kost, gefolgt von einer Darmreinigung mit Bittersalz. Danach gibt es nur noch Tee, Wasser und gelegentlich Saft oder Gemüsebrühe, dazu viel Bewegung an der frischen Luft. Fastenärzte glauben, dass solche Fastenkuren bei Rheuma helfen.

 

Bei Diabetikern soll sich die Insulinsensitivität erhöhen. Zudem soll Fasten den Blutdruck senken und chronische Schmerzen lindern [1, 2, 3]. Eine besonders radikale Methode ist das reine Tee- oder Wasserfasten. Da dem Körper dadurch wichtige essenzielle Nahrungsstoffe wie Vitamine und Spurenelemente vorenthalten werden, ist diese Kur durchaus umstritten. Ebenso wie die etwas altertümlich anmutende Schroth-Kur: Sie wurde von dem ehemaligen Fuhrmann und späteren Naturheilkundler Johann Schroth entwickelt und besteht aus einer fettfreien, salz- und eiweißarmen Diät, sogenannten Trink- und Trockentagen sowie abendlichen Ganzkörper­wickeln, die den Stoffwechsel ankurbeln sollen.

 

Ist Hungern gut für den modernen Mensch?

Als Ziel dieser Maßnahmen wird oft formuliert, man wolle den Körper „entschlacken“. Auch dieser Begriff wurde von Otto Buchinger in den 1930er Jahren eingeführt – in Anlehnung an die unverbrannten Rückstände in Kohleöfen. Bis heute ist allerdings völlig unklar, ob dieser Gedanke tatsächlich ein physiologisches Korrelat hat. „Man hat sogar Koloskopien bei Fastenden durchgeführt, um herauszufinden, welcher Art denn die Schlacke sein könnte, die man aus dem Darm zu entfernen gedenkt“, erklärt Prof. Michalsen, Chefarzt der Abteilung für Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus in Berlin. Gefunden hat man dabei nichts.

 

Nach heutigem medizinisch-wissenschaftlichen Wissensstand ist die Vorstellung, man könne seinen Körper durch Entzug von Nährstoffen und dem „Spülen“ mit reichlich Flüssigkeit von Giftstoffen befreien, nicht mehr haltbar. Funktionieren Leber und Niere normal, scheiden sie ständig Giftstoffe und Stoffwechselabfälle aus. Die Darmmukosa erneuert sich regelmäßig selbst, und eine „Reinigung“ – gar mit Einläufen – kann das Gleichgewicht der enteralen Flora empfindlich stören. Eine moderne Erklärung für das Phänomen des „Entschlackens“ könnte der Abbau von sogenannten „Advanced Glycation Endproducts“ (AGEs) sein. Diese stehen im Verdacht, an der Entstehung der diabetischen Mikro-angiopathie und Neuro-pathie beteiligt zu sein.

 

Ob sich daraus aber tatsächlich ein gesundheitsfördernder Effekt ergibt, muss erst noch untersucht werden. Viele Ernährungsexperten halten längere Phasen der Nahrungskarenz sogar für schädlich: „Unser Körper ist heutzutage nicht mehr auf Hungerperioden eingestellt“, erklärt Prof. Dr. Mössner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Gastro­enterologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. „Die Gallenblase diente unseren Vorfahren dazu, nur gelegentlich verfügbare, fettreiche Nahrung durch die maxi­male Ausschüttung von Gallensalzen und fettspaltenden Enzymen optimal verdauen zu können.

 

Heute sind wir jedoch an eine regelmäßige Ernährung gewöhnt, und über mehrere Tage mit dem Essen aufzuhören, erhöht deshalb das Risiko, Gallensteine zu bekommen.“ Zumindest sei belegt, dass bei pa­renteraler Ernährung das Risiko für Gallensteine erhöht ist, betont Prof. Mössner. Prof. Michalsen hält da­gegen, dass es bisher keine Berichte darüber gibt, dass Menschen durch das Fasten tatsächlich Gallensteine oder Koliken bekommen haben. Seiner Meinung nach kann unser Stoffwechsel aufgrund der Evolutionsgeschichte sogar besser mit Fastenzeiten umgehen als mit regelmäßigem Essen.

 

Einleuchtend ist, dass sich durch Fasten die Blutfette erniedrigen, der HbA1c verbessert wird oder sich die Hormonlage verändert. Dies ist jedoch nach Meinung von Prof. Mössner physiologischer durch eine ausgewogene Ernährung und viel Bewegung zu erreichen. Außerdem sei die Wirkung des Fastens nicht von Dauer, denn einige Wochen „Kur“ führen nur selten zu einer Lebensstiländerung.

 

Prof. Michalsen sieht das ein bisschen anders. Zudem weist er darauf hin, dass die durch das Fasten erhöhte Sensibilität für Insulin Monate bis Jahre anhalten kann. Deswegen hält er es beim metabolischen Syndrom für eine sinnvolle Therapieergänzung. Das Fasten zur Behandlung einer Adipositas per magna würde aber keinen Sinn ergeben: „Fettsucht ist eine Essstörung, und Fasten als Heilmethode wäre damit auf jeden Fall kontraindiziert.“

 

 

Das Beste kommt am Schluss

Unterm Strich gibt es nur sehr wenige evidenzbasierte ­Hin­weise darauf, dass eine Fastenkur direkte „gesund­machende“ Wirkungen hat (Kasten). Vielleicht geht es aber auch gar nicht um physiologische Effekte: „Den Begriff des Entschlackens kann man auch als eine Metapher für eine innere Reinigung sehen“, erklärt Prof. Michalsen. „Das ist weniger ein physiolo­gischer Vorgang als ein subjektives Empfinden.“

 

Fastende Menschen tun dies, weil sie wissen, dass es ihr persönliches Wohlbefinden steigert. Manche ­sagen dem Fasten sogar eine bewusstseinserweiternde Wirkung nach. Prof. Mössner möchte diese Effekte nicht bewerten. Doch er sagt: „Ich rate allen, diesen Gewinn gegen das gesund­heitliche Risiko abzuwägen. Und das besteht für ­jeden, der länger als ein paar Tage auf Essen verzichtet.“

 

Wenn gläubige Muslime im Ramadan fasten, halten sie sich an diese Regel. Ihre Fastenzeit endet täglich bei Sonnenuntergang. Bei Nurten Celik sitzen zum Fastenbrechen immer viele Menschen am Tisch, oft steht sie deswegen schon vorher zwei Stunden in der Küche. Natürlich kocht sie auch in anderen Jahreszeiten gerne für ihre Kinder. Doch nur in der Zeit des Ramadan fühlt sie sich dabei so leicht und nimmt jeden Geruch und jede noch so kleine Berührung viel in­tensiver wahr als sonst. Und das gemeinsame Essen am Abend entschädigt dann vielfach für das Entsagen über den Tag. Dieser Aspekt ist sicher der angenehmste beim Fasten: Der Genuss, wenn es vorbei ist …

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