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  • 20.06.2008

Delfintherapie in der Kritik

Dr. Karsten Brensing promovierte über die Delfintherapie und arbeitet als Meeresbiologe bei der Whale and Dolphin Conervation Society (WDCS), die sich für den Schutz von Walen und Delfinen und deren Lebensräume einsetzt.

>Die WDCS veröffentlichte kürzlich die Studie "Delfintherapie, eine Faktensammlung", die mit der Delfintherapie kritisch ins Gericht geht. Wie ist sie zu den Ergebnissen gekommen?

Wir haben unterschiedliche Ressourcen benutzt. Die Studie ist eher als ein Review zu verstehen, der vorhandene unterschiedliche wissenschaftliche Artikel und Aussagen von Wissenschaftlern, begutachtet und zusammenfasst. Die einzelnen Studien, die angeführt wurden sind mit unterschiedlicher Methodik entstanden. Das ganze ist ein Art Patchwork.

 

>Wie konnte es passieren, dass der Delfintherapie eine heilende Wirkung auf den Menschen zugeschrieben wird, obwohl die Studienlage das gar nicht hergibt?

Wie wurden diese Ergebnisse interpretiert, ist die Frage. Nehmen wir ein Beispiel, Herrn Dr. Nathanson. Er gilt als Vater der Delfintherapie. Er publizierte unter anderem mehrere Artikel, die besagen, dass die Konzentration und die Aufmerksamkeit von Kindern durch einen Delfin verstärkt werden können. Allerdings hätten das auch andere Faktoren gewesen sein können, die den Kindern genutzt haben. Er hat also nicht den wissenschaftlichen Beleg dafür erbracht, dass das wirklich mit Delfinen zu tun hat. Und genau das bestätigte er in einer Veröffentlichung aus dem letzten Jahr. Er erzielte mit einer animierten Delfinattrappen aus Gummi, die gleichen Ergebnisse, wie mit echten Delfinen. Jetzt muss man sich fragen, was ist eigentlich an der Delfintherapie wirklich Delfin. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Delfintherapie erfolgreicher wäre als eine andere Tiertherapie.

 

>Wie ist die Delfintherapie so beliebt geworden?

Das Hauptproblem ist, dass von Anfang an die Medien dem Thema gegenüber besonders aufgeschlossen waren. Mir hat dazu ein Journalist gesagt: "Kinder, Blumen, Tiere, kriegst du nie ne viere." Wenn Kinder, Blumen oder Tiere in einem Beitrag vorhanden sind, dann kann er nicht schlecht sein. Wir haben hier Kinder, und noch dazu behinderte Kinder, die per se Mitgefühl erregen und als Tier den Delfin, der die Menschheit schon immer faszinierte. Und diese Kombination beschert eine breite Zielgruppe und gute Bilder, was für die Medien sehr attraktiv ist. Das hat dazu geführt, dass im Laufe der Jahre die Delfintherapie als vielversprechend dargestellt wurde und auch wahrgenommen wurde.

 

>Befürworter der Delfintherapie führen auch an, dass der Ultraschall, den die Delfine aussenden, eine positive Wirkung hat. Sind Delfine in der Lage physische Heilung zu erwirken?

Dazu muss man sich zunächst die Frage stellen, ob der Ultraschall von Delfinen überhaupt eine Wirkung hat. Es gibt eine Formel aus der Medizin, mit der sich errechnen lässt, wie lange und mit welcher Frequenz ein Ultraschalldiagnosegerät benutzt werden darf, ohne dass es schädlich für den Patienten ist. Wenn man jetzt in diese Formel die Werte des Delfins einsetzt, zeigt sich, dass der Delfin - sofern er sehr laut schallt - tatsächlich eine Wirkung erzielen kann, die bei einem Diagnosegerät als schädlich angesehen werden würde.
Allerdings kommt es auch auf die Applikationsdauer an. Ein Delfin müsste zehn bis dreißig Minuten ununterbrochen mit der maximale Amplitude "schreien" damit die Schallwellen eine Wirkung erzielen können. Die Frage ist jetzt: schallen Delfine tatsächlich so laut und so lange?
Die Delfine sind den Kindern zwar oft sehr nahe und könnten den Schall so applizieren, dass er wirksam werden könnte, allerdings handelt es sich immer nur um ein paar Sekunden. Es gibt einen Fall, sozusagen ein Extremfall, den ich beobachtet habe. Hierbei handelte es sich um einen Delfin, der unter bestimmten Bedingungen Interesse an behinderten Kindern gezeigt hat, selbst dieses Tier befand sich durchschnittlich nur 20 Sekunden in der Position, in der sein Schall das Kind wirksam erreichen hätte können.
Aber in dieser Zeit kann niemals eine Wirkung erzielt werden und aus physiologischer Sicht ist es unrealistisch, dass ein Delfin so lange und so laut schreit.

 

>Warum nimmt man überhaupt an, dass der Schall eines Delfins eine positive Wirkung haben könnte?

Ultraschall wird in der Medizin auch als Therapie eingesetzt. Die Anbieter der Delfintherapie benutzen das als Werbemittel. Ultraschall wird zum Beispiel eingesetzt um Knochenbrüche schneller heilen zu lassen. Man nimmt an, dass der Ultraschall den piezoelektrischen Effekt des Knochens verstärkt und ihn so natürlicherweise zum Wachsen anregt. Man kann auch Gewebe erwärmen, um so einen schmerzlindernden Effekt, zum Beispiel bei Rheuma, zu erwirken. Das wird aber eher mit Infrarot gemacht. Aber nichts von dem, was die Medizin in der Therapie einsetzt, hat in irgendeiner Form etwas mit dem zu tun, wie Delfine den Ultraschall einsetzten.
Die positive Wirkung des Delfinschalls ist also reine Spekulation.

 

>Sind Fledermäuse und Delfine bezüglich des Frequenzspektrums vergleichbar?

Ultraschall heißt, dass der Schall höher ist, als der, den wir wahrnehmen können, das heißt oberhalb von 20 Kilohertz. Fledermäuse haben ein sehr breites Frequenzspektrum, zwischen 9 und 200 Kilohertz. Bei Delfinen kommt es auf die Größe des Tieres an. Kleine Delfine haben einen sehr hohen Ultraschall, bis zu 130 Kilohertz und größere Delfine einen niedrigeren, um die 80 Kilohertz.

 

>Wie sieht die juristische Situation in Europa aus, dürfen Delfine eingeführt, oder gefangen werden?

In Europa dürfen keine Delfine gefangen werden und auch keine Wildfänge eingeführt werden. Es gibt Ausnahmeregelungen, wie beispielsweise die Forschung. Wenn ein Forscher zu dem Schluss kommt, er brauche unbedingt einen Delfin, kann er eine Sondergenehmigung beantragen. Wird dem Antrag zugestimmt, darf dieser Delfin nur für Forschungszwecke genutzt werden, die den Tieren im Freiland zu gute kommen. In der Vergangenheit beobachteten wir, dass, besonders in Spanien, Delfine zu wissenschaftlichen Zwecken eingeführt wurden, dann aber innerhalb Europas gehandelt wurden und später zu Showzwecken eingesetzt wurden.

 

>Der Rehabilitationspsychologe Prof. Breitenbach von der Humboldt-Universität zu Berlin sagt, die Delfintherapie bewiesen zu haben. Wie kommt er zu so gegenteiligen Ergebnissen?

Herr Breitenbach und ich waren uns lange darüber einig, dass es keine wissenschaftlichen Belege für den Nutzen der Delfintherapie gibt. Seine kritischen Einschätzungen, die er 2004 noch in einem Artikel vertrat, waren absolut sachgerecht. Bis er dann mit dem Nürnberger Zoo eine Pressemitteilung heraus gab, dass auf Grund des nachgewiesenen Therapieerfolgs jetzt auch in Nürnberg die Delfintherapie kommerziell angeboten werden wird.
Seine Arbeit "Evaluation der Delfintherapie" ist nicht wissenschaftlich veröffentlicht, es handelt sich eher um einen Abschlussbericht, den er gegenüber den Behörden, die das Ganze finanzierten, abliefern musste. Mit keinem Wort wird in der Studie erwähnt, dass er den nachhaltigen Nutzen der Delfintherapie bewiesen hat.
Er hat lediglich bewiesen, dass Eltern therapierter Kinder den Eindruck haben, dass die Delfintherapie wirkt. Eltern sind per se eine befangene Gruppe, die eine Erwartungshaltung hat. Wird einer solchen Gruppe gesagt, dass die Erwartungen erfüllt werden, taucht der Plazeboeffekt auf und man erzielt ein signifikant positives Ergebnis. Die Arbeit hat also nur eine weitere Bestätigung des Plazeboeffekts erbracht, aber nicht der Delfintherapie.

 

>Gibt es eine Institution, die der Tiertherapie allgemeine Rahmenbedingungen stellt?

Das ist ein Aspekt, der für Leute, die in der Tiertherapie arbeiten, sehr wichtig ist. Es gibt einen weltweiten Dachverband der Tiertherapeuten (IAHAIO: International Association of Human-Animal Interactions Organizations), er bringt Standards heraus, definiert was akkurate Tiertherapie ist, und wie sie zu laufen hat. Der Dachverband spricht sich ausdrücklich nur für die Therapie mit domestizierten Tierarten aus. Diese Tiere suchen sogar oftmals die Nähe zu Menschen, sie sind über tausende von Jahren darauf hin gezüchtet worden.

 

>Gibt es Risiken bei der Delfintherapie?

Aus eigenen persönlichen Erfahrungen weiß ich, dass Delfine Menschen gegenüber aggressiv sein können. Darüber hinaus wurde in meinen Untersuchungen deutlich, dass besonders die Tiere in kleinen Gehegen versuchen, dem Menschen auszuweichen. Gerade diese Ausweichreaktionen erzeugen auf Dauer Stress und können die Ursache für aggressives Verhalten sein. Es gibt eine Vielzahl von Unfällen die von einfachen Kratzern bis zu Rippenbrüchen reichen. Und mancher Trainer musste die Interaktion mit gefangen gehaltenen Tieren mit dem Leben bezahlen. Hinzu kommt, dass Delfine oftmals Träger von Krankheiten sind, bei denen der Mensch zu einem Fehlwirt werden kann. Aus diesem Grund sollte eigentlich jeder Körperkontakt mit einem Wildtier vermieden werden. Im umgekehrten Fall sind aber auch wir mit unseren Krankheiten gefährlich für die Delfine.


Weitere Informationen und im Text genannte Quellen

Ergebnisse des Forschungsprojektes zur Evaluation der Delfintherapie des Teams um Prof. Dr. Erwin Breitenbach (Internetseiten der Abteilung Rehabilitationspsychologie des Instituts für Rehabilitationswissenschaften der Humboldtuniversität Berlin)

 

Delphin-Lagune auf der Homepage des Tiergartens Nürnberg

 

Kritische Betrachtung zum Abschlussbericht des Forschungsprojekts Delfintherapie der Uni Würzburg und des Nürnberger Delfinariums von Dr. Karsten Brensing

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