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  • 18.07.2014

Medizin & Recht (3): Hirntoddiagnostik bei potenziellen Organspendern

Das Leben eines Menschen ist sein höchstes Gut. Entsprechend strikt sollten die Regeln sein, wenn bei einem potenziellen Organspender überprüft wird, ob er tatsächlich hirntot ist.

 

 

Eigentlich hat Claudia* ihre Schicht beinahe geschafft. Die angehende ­Neurochirurgin im ersten Weiterbildungsjahr ist mit den Gedanken schon fast im Feierabend – da wird doch noch ein Notfall eingeliefert. Der 45-­jährige Jochen B. wurde bei einem Autounfall schwer verletzt. Sein Herz hatte bereits längere Zeit aufgehört zu schlagen. Zwar ist es dem Notarzt gelungen, ihn zu reanimieren und das Herz-Kreislauf-System zu stabilisieren. Doch aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas sind die Überlebensaussichten des Patienten infaust. Er atmet nicht mehr selbstständig und ist tief komatös. Man muss damit rechnen, dass der Hirntod eingetreten ist. Bei der Identifizierung am Unfallort wurde ein Organ- und Gewebe­spendeausweis gefunden. Jochen B. ist also ein potenzieller Organspender. Für Claudia steht nun fest, dass sie heute doch wieder Überstunden machen wird. Zahlreiche Fragen stellen sich ihr: Wie soll der Patient – als potenzieller Organspender – intensivmedizinisch versorgt werden? Hat er eine Patientenverfügung verfasst? Wie wird ein Hirntod eigentlich festgestellt? Und wer führt diese Diagnostik durch?

 

Verbindliche Handlungs­anweisung: Patientenverfügung

 Grundsätzlich müssen sich Ärzte in einer solchen Situation vor Augen halten, dass jeder Eingriff in die körperliche Integrität eines Patienten den strafrechtlichen Tatbestand der Körperverletzung erfüllt (§ 223 StGB). Der ärztliche Eingriff kann allerdings gerechtfertigt sein, wenn der mündige Patient nach einer ärztlichen Aufklärung in die ärztliche Behandlung einwilligt. Dann entfällt die Strafbarkeit. Nun liegt Jochen B. nach seinem schweren Autounfall im Koma und kann folglich seine Einwilligung nicht erklären. Deswegen ist hier die mutmaßliche Einwilligung des Patienten maßgeblich. Und um diese zu ermitteln, kann eine Patientenverfügung eine wichtige Rolle spielen. Sie ist als eine Art vorweggenommene Einwilligung zu verstehen, in der der Patient in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes den Umfang einer späteren ärztlichen Behandlung festlegt [1]. Sie greift z. B. in Fällen, in denen ein Patient seine Urteils- und Entscheidungsfähigkeit (Einwilligungsfähigkeit) auf Dauer verloren hat, wie es bei Jochen B. der Fall sein könnte. Erst mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wurden diese Grundsätze im September 2009 gesetzlich verankert, so dass eine Patientenverfügung nun bindend für die Ärzte ist. Eine Nichtbeachtung kann als Körperverletzung strafbar sein.

 

Organspende: Nur im gesicherten Todesfall

Ergibt sich nun z. B. aus einer Patientenver­fügung oder einem Organspendeausweis der Wille eines vermutlich hirntoten Patienten, dass er seine Organe spenden möchte, gelten für diesbezügliche Maßnahmen die Vorgaben des Transplantationsgesetzes (TPG). Dieses sieht vor, dass „der Tod des Spenders als Zulässigkeitskriterium einer Organentnahme vorliegen muss" (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG – Individualtod).

 

Wer darf spenden?

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG muss der Organspender in die Entnahme seiner Organe oder Gewebe zu Lebzeiten eingewilligt haben. Diese Einwilligung kann durch einen Spender­ausweis, durch eine Patientenverfügung, aber auch durch mündliche zustimmende Äußerungen vor dem Tod erfolgen. Eine postmortale Organ- und Gewebeentnahme ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG unzulässig, wenn der Verstorbene gleich in welcher Form einer Spende widersprochen hat. Wenn dem Arzt eine schriftliche Erklärung für oder gegen die Spende nicht vorliegt, hat er gemäß § 4 Abs. 1 TPG mit dem nächsten Angehörigen zu klären, ob eine Willensbekundung vorliegt oder ob der mutmaßliche Wille des Verstorbenen bekannt ist. Wenn sich auch dann der Wille des Verstorbenen nicht ermitteln lässt, ist der Angehörige zur eigenen Entscheidung befugt, weshalb man diese Regelung auch als erweiterte Zustimmungslösung bzw. Entscheidungslösung bezeichnet (kritisch siehe [10, 11]). Laut Deutscher Stiftung Organspende (DSO) konnte bei den 876 postmortalen Organspenden 2013 die Zustimmung in 14,3 % auf den schriftlichen und in 25,8 % auf den mündlichen Willen des Verstorbenen gestützt werden. In 43,6 % wurde die befürwortende Entscheidung zur Spende mit dem vermuteten Willen und in 16,3 % mit dem Willen der Angehörigen be- gründet [12]. Gemäß § 4 TPG sind u. a. Widerrufsmöglichkeiten, Dokumentationspflichten oder die Entscheidung anderer Personen, wenn dies der Verstorbene verfügt hat, zu beachten.

 

Strafrechtlich könnte ein Arzt bei einer Herzexplantation bei einem sterbenden Patienten insofern wegen einer illegalen aktiven Tötung belangt werden, während dieser Eingriff bei einem Hirntoten, der der Explantation zu Lebzeiten durch einen Organspendeausweis zugestimmt hat, nach dem TPG legal ist. Nur: Wann ist ein Patient „gesetzlich gesehen" eigentlich tot? Eine konkrete Definition des Todes findet sich weder im Grundgesetz (GG), im Strafgesetzbuch (StGB) noch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) [2]. Dennoch sind klare Kriterien zum Tod elementar, um das Leben, das laut Bundes­ver­fassungsgericht in der grundgesetzlichen Ordnung einen „Höchstwert" darstellt [3], zu schützen. Einige Vorgaben, die sich mit dem Tod des Patienten befassen, finden sich im Transplantationsgesetz selbst: Faktisch wird in § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG der irreversible Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms als Todes­kriterium in Deutschland festgelegt. Ent­sprechend ist eine postmortale Gewebe- oder Organentnahme vor der Feststellung des Gesamthirntodes unzulässig. Damit ist dem Teilhirntod als Grundlage zur Organspende durch den Gesetzgeber eine Absage erteilt worden [vgl. 4] – anders in Großbritannien, wo der „Hirnstammtod" den Tod definiert. Zudem fordert das Gesetz (§ 5 Abs. 1 S. 1 TPG), dass der Hirntod durch zwei qualifizierte Ärzte festgestellt wird, die den Spender unabhängig voneinander untersuchen. Sie dürfen weder an der Organentnahme noch an der Organtransplantation beteiligt sein. Der § 5 Abs. 1 S. 2 TPG beschreibt mit dem „nicht behebbare(n) Stillstand von Herz und Kreislauf" eine weitere Todesdefinition (neben dem Individualtod und dem Hirntod). Dieser Zustand kann von nur einem Arzt festgestellt werden – der Tod muss aber mindestens schon drei Stunden bestehen. Faktisch werden damit Non-Heart-Beating Donors, also Organspenden unmittelbar nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand, ausgeschlossen. In § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG wird die Festlegung von Richtlinien für die Feststellung des Todes und für Verfahrensregeln zur Feststellung des Hirntodes an die Bundesärztekammer (BÄK) delegiert. 1997 hat der wissenschaftliche Beirat der BÄK diese Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes [5] erlassen. Zu diesen Anforderungen gehört u. a. der Nachweis, dass eine akute Hirnschädigung vorliegt. Die klinischen Symptome müssen für den Hirntod sprechen. Zudem muss ein Irreversibilitätsnachweis erbracht sein

 

(Tabelle "Kriterien für die Hirntoddiagnostik" (PDF); ausführlich siehe [5, 6]).

 

Weitere Bestimmungen im TPG fordern, dass der Tod entsprechend dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 TPG) und den Vorgaben des § 5 TPG festgestellt wird. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die 1997 erlassenen Richtlinien noch in jeder Hinsicht aktuell sind [7]. Debattiert wird zum Beispiel, ob noch ­weitere apparative Verfahren wie die CT-­Angiografie, die fMRT oder die PET in die Hirntoddiagnostik aufgenommen ­werden ­sollten [8, 9].

 

Am Ende: Trauer und Hoffnung

Mittlerweile sind auch die Angehörigen des Patienten im Krankenhaus eingetroffen. Sie legen Claudia die Patientenverfügung von Jochen B. vor. Diese bezieht sich zutreffend auf die aktuelle Behandlungssituation und untersagt weitergehende Therapiemaßnahmen – bis auf die für die Organspende notwendigen. Damit sind wichtige Vorbedingungen für eine mögliche Organentnahme erfüllt. Die Assistenzärztin veranlasst daraufhin eine Hirntoddiagnostik durch zwei erfahrene Neurochirurgen, die bei Jochen B. ordnungsgemäß und unabhängig voneinander den Hirntod feststellen und dokumentieren. Nach Feststellung des Hirntodes führt sie ein ausführliches Gespräch mit den Angehörigen (§ 3 Abs. 3 TPG). Sie befürworten die Organspende ebenfalls. Denn so können sie dem plötzlichen Tod von Jochen B. den Trost und die Hoffnung entgegensetzen, dass mit seinen Organen einigen schwerkranken Organemp­fängern geholfen werden kann.

 


Autoren:

Theresia Muschak, Lena Lindenberger, Vivienne Keding und Pascal Schnalke sind Studierende der Medizin, Melanie Ellen Irmen und Sarah Hoffmann Studierende der Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Prof. Dr. med. Markus Parzeller ist Arzt und Jurist am Institut für Rechtsmedizin des Klinikums der Goethe-­Universität Frankfurt am Main.

 


Literatur:

[1] May A. T. Der Wille des Patienten in der Intensivmedizin. In: Salomon F (Hrsg.) Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin. 2. Aufl. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2012: 111–112

[2] Parzeller M. Der Nachweis des Todes vor der postmortalen Gewebespende - Kritische Analyse des Gesetzwortlautes de lege lata und de lege ferenda. In: Wienke A, Rothschild M, Janke K (Hrsg.) Rechtsfragen der Obduktion und postmortalen Gewebespende. Heidelberg: Springer; 2012: 105–122

[3] BVerfG (Bundesverfassungsgericht) NJW 2013, 1664–1665 („Denn das Leben stellt einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar.“)

[4] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer. Der endgültige Ausfall der gesamten Hirnfunktion („Hirntod“) als sicheres Todeszeichen. Dt. Ärztebl. 1993; 59: AI-2933 - 2935

[5] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer. Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes –Dritte Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz. Dt. Ärztebl. 1998; 95: A1861–A1868.

[6] Deutsche Stiftung Organspende (DSO). Kein Weg zurück – Informationen zum Hirntod. 7. aktualisierte Auflage, 2012; http://www.dso.de/uploads/tx_dsodl/HT_d_2012_Web.pdf. Abrufdatum: 28.3.2014.

[7] Offensichtlich plant die BÄK nach Presseberichten (Ärzte Zeitung Online vom 01.04.2014 - http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/858243/hirntoddiagnostik-neue-richtlinie-noch-dieses-jahr.html?sh=1&h=279632250 Abrufdatum: 29.4.2014) eine Reform der Richtlinien noch in diesem Jahr. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Richtlinien  dann noch ein Genehmigungsverfahren nach § 16 Abs. 3 TPG durch das Bundesministerium für Gesundheit durchlaufen müssen.

[8] Welschehold S. et al. Apparative Zusatzverfahren bei der Hirntoddiagnostik. Ein Vergleich von SEP, AEP, EEG, TCD und CT-Angiographie. Dt. Ärztebl. 2012; 109: 624–631.

[9] Müller S. Revival der Hirntod-Debatte: Funktionelle Bildgebung für die Hirntod-Diagnostik. Ethik Med 2010:5–17

[10] Höfling W., Rixen S. (2013). §3 Entnahme mit Einwilligung des Spenders. In: Höfling W. (Hrsg.) Transplantationsgesetz Kommentar. 2. Aufl. 2013, Erich Schmidt Verlag, Berlin

[11] Weber R. (2013) §4 Entnahme mit Zustimmung anderer Personen. In: Höfling W (Hrsg.) Transplantationsgesetz Kommentar. 2. Aufl. Erich Schmidt Verlag, Berlin

[12] Deutsche Stiftung Organspende  (DSO) Organspende und Transplantation in Deutschland – Jahresbericht 2013, S. 44; http://www.dso.de/uploads/tx_dsodl/JB_2013_Web_b.pdf; Abrufdatum: 11.04.2014

[13] President’s Council on Bioethics. Controversies in the determination of death. A White Paper. 2008; http://bioethics.georgetown.edu/pcbe/reports/death/index.html

[14] Höfling W. (2012). Tot oder lebendig – tertium non datur. Eine verfassungsrechtliche Kritik der Hirntodkonzeption. Zeitschrift für medizinische Ethik 2012; 58: 163–172

[15] Denkhaus R., Dabrock P. Grauzonen zwischen Leben und Tod - Ein Plädoyer für für mehr Ehrlichkeit in der Debatte um das Hirntod-Kriterium. Zeitschrift für medizinische Ethik 2012; 58: 135–148

 


* Diese Kasuistik ist eine Synthese reeller Fälle. Die Charaktere und Namen sind fiktiv. Weitere Anmerkungen zu Form und Gebrauch der Artikel findest du im Editorial von M. Parzeller, M.A. Verhoff hier

 

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