Zurück zu Das ist witzig
  • Artikel
  • |
  • Sandra Hoffmann
  • |
  • 10.03.2010

Wie TV-Serien das Arztimage beeinflussen

Lust auch spätabends noch die Welt der klinischen Medizin einzutauchen? Ein Blick in die Fernsehzeitschrift genügt: Neben Doku-Soaps, die das wahre Leben abbilden, diversen Kochsendungen, niedlichen Tieren und US-Serien, die Kriminalfälle mit High-Tech lösen, stehen immer auch einige Arztserien parat - in der xten Wiederholung, oder just frisch abgedreht. Spannende Unterhaltung garantiert, aber können Medizinstudenten dabei etwas lernen?

Quotenärzte im Wandel der Zeit

War es früher Klaus-Jürgen Wussow, der als Dr. Brinkmann in der "Schwarzwaldklinik" Tausende von Zuschauern begeistert hat, drängt nun eine neue Generation von TV-Ärzten ans Licht. Die deutsche Weißkittel-Serie, die auf "Das Krankenhaus am Rande der Stadt" (CSSR) und General Hospital (USA) basierte, hat mit "Grey's Anatomy", "E.R.", "Private Practice", "Dr. House" oder "Doctor's Diary" nicht viel gemein. Das Berufsbild Arzt sowie der Arbeitsauftrag und die klischeehafte Persönlichkeit des Arztes unterliegen einem Wandel - der sich in den jeweils aktuellen Arzt-TV-Serien hervorragend studieren lässt.

 

Dr. Grey versus Dr. House

Emergency Room

1994 startete "Emergency Room – die Notaufnahme". Mit dieser Serie begann die Ära einer neuen Erzähltechnik und das Streben nach Realitätsnähe. Das Tempo der Story nimmt mit bis zu zwanzig Handlungssträngen pro Folge rasant zu, wobei der Zuschauer die Charaktere erst nach und nach kennenlernt.

Der Ton ist inzwischen von Fachbegriffen durchsetzt, die der Laie kaum noch versteht. Zugleich aber ist er fasziniert und bekommt das Gefühl sich in einem echten Krankenhaus zu befinden.

"E.R." ist bestrebt mit gut recherchierten Fällen und einer möglichst realen Nachbildung des alltäglichen Treibens - es werden examinierte Krankenschwestern als Laienschauspieler eingesetzt - auf die überforderten Notaufnahmen im amerikanischen Gesundheitssystem aufmerksam machen.

Es werden unter anderem Themen wie zwischenmenschliche Beziehungen, Mord und Selbstmord, ungewollte Schwangerschaften, Drogen-und Alkoholmissbrauch angesprochen.

 

Dr. House

Genau zehn Jahre später - seit Mai 2006 auch in Deutschland - erscheint ein völlig anderer Typ Arzt im amerikanischen Fernsehen - der weder freudig bereit ist täglich für seine Patienten Überstunden zu machen, noch ihnen überhaupt Aufmerksamkeit auf persönlicher Ebene entgegenzubringen: Der medikamentabhängige, introvertierte Analytiker und Nephrologe "Dr. House".

"Dr. House" kümmert sich um rein naturwissenschaftliche Fakten und Therapien und auch im Umgang mit Kollegen - Freunde im engeren Sinn hat er bis auf den Onkologen Dr. Wilson keine - gibt er sich nicht gerade umgänglich, dafür schroff und provozierend. Trotz dieses rauen Arbeitsklimas blitzt hin und wieder etwas Menschlichkeit auf.

Auch wenn die klinischen Fälle eher Exoten sind, sind sie trotzdem sehr gut recherchiert.

 

Grey's Anatomy

"Grey's Anatomy" flimmert 2005 erstmals in die deutschen Wohnzimmer. Die ehrgeizige Dr. Meredith Grey beginnt ihre medizinische Karriere als Assistenzärztin und wird erst einmal von einem Berg von Aufgaben, kniffligen Situationen und nicht ganz einfachen Kollegen überrollt.

Der Konkurrenzkampf unter den Anwärtern der Chirurgie wütet erbarmungslos. Das Privatleben des Klinikpersonals erlebt der Zuschauer als Wechselspiel zwischen Affären am Arbeitsplatz, dem Seattle Grace Hospital, One-Night-Stands, heimlicher Liebe, Krankheiten und Tod. So wie die Beziehungen untereinander entstehen und zerbrechen, kommen und gehen auch neue Charaktere – nebenbei werden Leben gerettet.

Persönliche Enttäuschungen, Fehler und Verluste stehen ebenfalls im Vordergrund der Dramaserie.

 

Private Practice

Seit 2007 läuft ein Spin-off der Serie namens "Private Practice", in dem eine Ärztin aus "Grey's Anatomy", die Neonatal-Chirurgin Dr. Addison Montgomery, die Hauptrolle spielt.

Der Schauplatz ist hier von Seattle nach Los Angeles in eine - der Name der Serie deutet es bereits an - teuer eingerichtete, private Gemeinschaftspraxis verlegt, in der die wenigen Patienten die maximale Versorgung durch die Ärzte erfahren.

Man könnte sich nun fragen, wo der Unterschied zu "Grey's Anatomy" liegt. Dieser wird jedoch bereits in der ersten Folge schnell deutlich: Eine gute Packung Humor und die Organisationsstruktur des Ärzteteams, das seine Fälle mehr oder weniger gemeinsam löst und sich eher gegen die leicht zickige Chefärztin Dr. Charlotte King behaupten muss.

Die Fälle wie zum Beispiel das Vertauschen zweier Babys nach der Geburt sind dramatisch, werden aber auch von der rechtlichen und ethischen Seite beleuchtet. Insgesamt lässt die Zahl der Parallelhandlungen dem Zuschauer mehr Zeit auch die Patienten auf sich wirken zu lassen. Trotzdem kommen die Beziehungen und Spannungen innerhalb des Ärzteteam natürlich nicht zu kurz.

Gut ist in der Serie der krasse Wechsel von Laune und Gemütszustand des Arztes zwischen Patientengespräch und privater Unterhaltung zu beobachten.

 

Doctor's Diary

Zur gleichen Zeit wie "Private Practice" läuft in Deutschland und Österreich die Koproduktion "Doctor's Diary" als Bridget-Jones-Verschnitt im Arztserienformat an. Der Untertitel der Comedyserie: "Männer sind die beste Medizin" macht bereis deutlich worum es sich dreht.

Die leicht übergewichtige Dr. Haase tritt nach längerem Zögern und einer geplatzten Hochzeit eine Assistenzarztstelle an und trifft im Krankenhaus ihre große Kindheitsliebe Marc, der inzwischen erfolgreicher Oberarzt ist und somit ihr Chef wird. Gleichzeitig trifft sie den einfühlsamen Dr. Kaan, der sich in sie verliebt. Die Entscheidungsphase zwischen Macho und Dreamboy bestimmt die Serie bis zum Schluss. Es geht zusammen, auseinander und wieder zusammen, je nachdem ob Schwester Gabi oder Dr. Kaans Exfrau, die aus dem Koma erwacht, stören.

Dr. Gretchen Haase verkörpert hier das Bild einer unsicheren und chaotischen jungen Frau, die schon seit ihrer Kindheit leidet - aufgrund ihres Übergewichts, auf das sie auch ständig verwiesen wird. Im Gegensatz zu ihrer Mutter und zur Freude ihres Vaters entscheidet sie sich für die Karriere und gewinnt zunehmend an Sicherheit. Die Identifikation mit ihrer Rolle klappt zwar überhaupt nicht, da sie kein Klischee auslässt, aber dafür so überzieht, dass es lustig ist. Das Arztbild, das sie zeichnet, ist das des naiven Idealisten.

 

Arztserien sind Quotenknüller

Allein die Zuschauerquoten der wöchentlichen Weißkittel-Auftritte sprechen für sich: Zur Zeit humpelt "Dr. House" mit durschnittlich über 5 Millionen Zuschauern pro Folge an der Spitze über den Bildschirm, gefolgt von Dr. Haase aus "Doctor's Diary" mit 2,5 Millionen Zuschauern.

Zum Vergleich: Die Seifenopern "Marienhof" und "Verbotene Liebe" im Vorabendfernsehen verzeichneten in den letzten zwei Jahren zwischen 1,8 und 2 Millionen Zuschauer im Schnitt. Das reine Interesse an fiktiven Dramen und Beziehungen scheint also nicht auszureichen, um viele Zuschauer anzusprechen.

 

Erste Kritik wird laut

Doch begegnet den Arztserien auch erste Kritik: Diverse Studien haben gezeigt, dass Patienten, die angaben sich häufig Arztserien anzuschauen, ein deutlich negativeres Bild von Krankenhäusern haben als diejenigen, die nicht einschalten.

Die Furcht vor dem stationären Aufenthalt und dem operativen Eingriff sei größer als gegenüber Patienten mit anderen Hobbys. Dafür steige die Erwartung an das medizinische Personal hinsichtlich der Betreuung, was oftmals zu Enttäuschung führe. Die Menschen fühlen sich nicht ausreichend oder unangemessen versorgt, vor allem im Hinblick auf persönliche Sorgen und Ängste.

Um das zu ändern wird heute eine neue Art der Arzt-Patientenbeziehung in der medizinischen Ausbildung gelehrt: Die Rückbesinnung von der Gerätemedizin zur menschlichen Medizin. Jedoch sagen diese Studien auch aus, dass das Vertrauen gegenüber dem behandelnden Arzt deutlich höher sei, was sich positiv auf die Kooperation zwischen Patient und Arzt auswirke.

 

Realität oder Fiktion?

Generell wird die Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit befürchtet.

Immer mehr Menschen fürchten sich auch bei kleineren Eingriffen vor Komplikationen, die in der Fernsehserie oft dem Spannungsaufbau dienen. Zudem sind viele Fehlinformationen in den Drehbüchern verarbeitet.

Vor zwei Wochen ging zu diesem Thema eine amerikanische Studie durch die Presse: Die Forscher hatten bei einigen US-Arztserien aufgedeckt, dass in 257 Fällen ein epileptischer Anfall inkorrekt behandelt worden sei. Dabei wurde der Patient festgehalten oder ihm etwas in den Mund geschoben, um zu verhindern, dass er sich die eigene Zunge abbeißt.

Krampfende sollte man in der Regel "auskrampfen" lassen. Das heißt gefährliche Gegenstände außer Reichweite legen, nicht festhalten. Meist vergeht der Krampf nach wenigen Minuten von allein und das Herbeiholen von Rettungskräften ist sehr oft gar nicht vom Patienten erwünscht.

Die Autoren befürchten, dass sich auf diese Weise schnell die falsche Reaktion in Erste-Hilfe-Situationen in der Öffentlichkeit verbreite, die durch Arztserien subtil geschult werden könnte.

 

Was heißt das nun für Medizinstudenten?

Sind die Fernsehdoktoren in irgendeiner Art Vorbilder? Beruhigen sie vielleicht zukünftige Ärzte, indem sie ein Arztbild vermitteln, das sagt: Du darfst auch mal zeigen, dass du deine Patienten nervig findest oder in deine Kollegin verknallt bist?

In Situationen, in denen man sich vielleicht einmal gern so kaltschnäuzig wie House, oder so ehrlich wie Dr. Addison Montgomery verhalten möchte, schlittert jeder einmal. Aber zur totalen Identifikation mit den teils extremen Charakteren führen Arztserien wohl kaum, vor allem wenn man sein Studium erst einmal begonnen und das wirkliche Arbeitsleben kennengelernt hat.

Unterhaltsam sind die Serien aber auf jeden Fall, wie die Zuschauerquoten belegen, und für jeden Geschmack ist etwas dabei.

Ein Genre "Arztfilm" wird sich wohl nicht etablieren. Der Arbeitsalltag und die Vielseitigkeit des Berufs bieten aber genügend Stoff für viele weitere Arztserien.

 

Mit Dr. House lernen

Seit Beginn des Wintersemesters 2008/2009 genießen die Marburger Medizinstudenten eine innovative Form der Lehre: Die "Dr. House-Vorlesungen". Initiator dieser ungewöhnlichen Unterrichtsform, einer Mischung aus Film und Vorlesung, ist Prof. Dr. Jürgen Schäfer.

 

Medizinstudenten lernen in Dr. House-Vorlesungen



Sandra Hoffmann studiert Medizin und ist freie Autorin bei Via medici online.


Schlagworte

Mehr zum Thema

Artikel: Scutmonkey