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  • Dr. Jo
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  • 26.01.2021

Gott in Weiß im House of God

Das Buch House of God von Samuel Shem ist unter Medizinern ein Klassiker – es diente unter anderem als literarische Vorlage für die Fernsehserie Scrubs. Der Bestseller stellt das Dasein eines angehenden Arztes im ersten Jahr wenig glorreich dar – als überfordernde, abstoßende und den Patienten wenig zugewandte Praxis. Wie viel Wahrheit steckt in dieser Fiktion? Erste Monate im PJ geben Aufschluss.

 

„Du bist jetzt soweit“, sagte mein Kommilitone zu mir und lächelte verschwörerisch. „Du bist bereit für das House of God.“ Eben hatte ich ihm erzählt, wie wir in der Notaufnahme ein internistisches Polytrauma – also einen Patienten mit vielen Vordiagnosen – „behandelt“ hatten, in dem wir den letzten Arztbrief aufgerufen, die Laborwerte verglichen und die gleiche Diagnose nochmals gestellt und den Brief in weiten Teilen kopiert hatten. Er drückte mir das Buch in die Hand. „Bin gespannt, wie es dir gefällt“, sagte er.


Wenige Stunden und einige Buchseiten House of God später wusste ich, was wir getan hatten: Wir hatten Drehtürmedizin praktiziert. Und ich hatte auch verstanden: Das Buch trifft den Nagel auf den Kopf. Zumindest manchmal.


House of God ist ein Buch aus den 80er Jahren. Es passt dementsprechend nicht mehr ganz in unsere Zeit – man kann es mit Fug und Recht als zynisch, sexistisch und seine Sichtweise als patriarchalisch bezeichnen. Die Art und Weise, auf die das Buch den Mythos des fürsorglichen und guten Arztes demontiert, mag desillusionieren und schockieren. Sie ist natürlich überzeichnet – aber in ihr steckt ein Fünkchen Wahrheit.


Beispiel Drehtürmedizin: Im Buch werden ältere Patienten in schlechtem Zustand als Gomer bezeichnet – ein Akronym aus dem Satz „Go out of my emergency room“. Passenderweise würde man heute eher von einer AZ-Verschlechterung sprechen: Ein Patient, der von hausärztlicher Seite am Freitagnachmittag eingewiesen wird, weil er „schlecht“ sei. Eine vernünftige Übergabe fehlt, der Hausarzt ist natürlich längst im Wochenende, die Schwester im Pflegeheim hat vom Frühdienst nichts übergeben bekommen, und aus dem dementen Patient ist außer wenigen unzusammenhängenden Worten nichts herauszubekommen.
Genauso wie das Pflegeheim in diesem Fall den Patienten ins Krankenhaus abgeschoben hat, wird nun versucht, die betreffende Person möglichst schnell wieder aus dem Medizinbetrieb zu entfernen. „Sei eine Wand!“, heißt die Devise in House of God, also: Nimm nur den auf, der unbedingt aufgenommen werden muss. Wenn sich eine vernünftige Ausschlussdiagnose konstruierten, ausschließen und der Patient sich anschließend wieder entlassen lässt – umso besser.


Lässt sich diese Strategie nicht umsetzen, kann man immer noch versuchen, den Patienten in eine andere Fachrichtung abzuschieben – oder, wie es in House of God heißt – ihn zu turfen. Dieser Begriff ist auch in Deutschland fester Bestandteil des Medizinervokabulars geworden – und der Vorgang gängige Praxis.
Stimmt also die Beobachtung, dass der Patient im Regelfall eher entsorgt wird als versorgt? Natürlich nur bedingt. Viele Menschen erhalten in der Klinik sinnvolle Hochleistungsmedizin, und sogar dem menschlichen Aspekt kommt oft genug ausreichende Bedeutung zu. Gerade aber Menschen im hohen Alter und mit Pflegegrad sind im Medizinsystem oft nicht gut aufgehoben – ihre Betreuung ist zu zeitintensiv, komplex und fordernd. Insbesondere demente Patienten sind zudem noch völlig überfordert von der ungewohnten Umgebung, dem fremden Personal und den unbekannten Abläufen. Die doppelte Überforderung führt so zu wenig sinnvollen und wiederkehrenden Klinikau-fenthalten.
 
House of God wirft zudem einen Blick auf das Verhältnis zwischen Ärzteschaft und Pflege. Im Buch sind die Schwestern hauptsächlich über Affären mit den Ärzten verbunden. Natürlich ist ein Krankenhaus wie ein Dorf, es gibt Klatsch und Tratsch und Angestellte, die das eine oder andere Tech-telmechtel miteinander haben, aber: Das Verhältnis zur Pflege ist für angehende Mediziner oft genug eher schwierig.


Insbesondere auf Stationen, die schon viele PJler gesehen haben, ist der Glaube weit verbreitet, „der oder die PJ“ würde sich nicht vorstellen und allgemein vor allem dann auf die Pflege zukommen, wenn er bei der Blutentnahme das Bett eingesaut hat. Auch durch gegensätzliche Positivbeispiele – also Studierende, die sich immer vorstellen, Aufgaben der Pflege gegebenenfalls mitübernehmen und freundlich sind – werden dann so lange ignoriert und vor dem Patienten angegangen, bis er oder sie sich schließlich in sein Schicksal fügt und die Pflegenden mit Abneigung behandelt.


Wünschenswert wäre hier, die Pflege würde – neben berechtigter Kritik an so manchem Studierenden – auch auf die PJler zugehen und sich gegebenenfalls auch einmal selbst vorstellen, denn: Wer sich alle zwei bis acht Wochen auf einer Station mit neuem Personal einarbeiten muss, mag es einmal vergessen, sich bei dem einen oder anderen Mitarbeitenden vorzustellen. Das ist dann kein Ausdruck von Ignoranz, sondern der begrenzten Kapazität des menschlichen Denkorgans. Und sich vorzustellen sollte nicht bedeuten, den Kotau vor der Schwester machen zu müssen, die schon seit Jahren auf dieser, ihrer Station ist. Sondern eher der Versuch sein, sich in ein Team einzufügen.


Am Ende von House of God wird der Protagonist Psychiater, weil er die Zustände in der Inneren Medizin nicht mehr erträgt. Soweit muss es zum Glück heute nicht mehr kommen – aber Luft nach oben ist im Klinikbetrieb noch sehr viel. Teamarbeit mit der Pflege, flachere Hierarchien, vernünftige Betreuung für ältere und demente Patienten – an all diesen Stellen hat unser Medizinsystem dringenden Nachholbedarf. Seit dem Erscheinen des Buchs von Samuel Shem hat sich hier schon viel getan – aber längst nicht genug.

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