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  • 15.11.2012

Die gläserne Decke

"Vile", dieses englische Wort brennt mir auf der Zunge und hallt mir seit Tagen durch den Kopf. Auf Deutsch übersetzt heißt es etwa abscheulich, niederträchtig, widerwärtig. Und "vile" ist das Wort, welches wie kein zweites die Klinik beschreibt, in der ich meine Dissertation schreibe. Oder besser gesagt, schrieb.

Grafik: Fotolia

Erlebnisse einer chirurgischen Assistenzärztin

Es hatte alles gut angefangen. Ich famulierte in dieser chirurgischen Klinik, Teil eines großen Lehrkrankenhauses und wurde im Abschlussgespräch eingeladen, als Doktorandin im letzten Studienjahr zurückzukommen. Man versprach mir eine Ausbildung in allen erforderlichen Labormethoden und die Mitarbeit an Publikationen. Es wurde mir in Aussicht gestellt, eigene Projekte durchzuführen und später als Assistenzärztin hier anfangen zu können, speziell mit dem Fokus auf eine akademische Karriere. Natürlich nahm ich sofort an.

Ich wollte forschen und es als Frau so weit bringen, wie es die sogenannte "gläserne Decke", die Frauen spätestens auf der mittleren Karrierestufe abblockt, nur zulässt. Ich hörte nicht auf diejenigen, die mich davor warnten als Frau in der Chirurgie etwas erreichen zu wollen. Ich ignorierte die Massen an Assistenzärztinnen, die scharenweise aus dieser Klinik flüchteten. Ich würde es schaffen, sagte ich mir. Und nun haben sie mir alles genommen was ich hatte. Wie kam es bloß dazu? Anfangs tat ich kaum mehr als alleine im Labor Flüssigkeiten zu pipettieren und Röhrchen zu beschriften, jedoch war meine Bezahlung überdurchschnittlich gut und so übte ich mich in Geduld. "Irgendwann werden sie dann schon beginnen, mich auszubilden", dachte ich. Ein Jahr verging, nichts passierte außer, dass ich mein Staatsexamen ablegte und immerhin als Assistenzärztin in dieser Klinik anfangen konnte.

Meine Freizeit investierte ich ins Labor und hoffte meinen Vorgesetzten durch Fleiß und Eigeninitiative dazu bewegen zu können, endlich seine Versprechungen einzulösen. Immer wieder suchte ich das Gespräch mit ihm oder schrieb dem Leitenden Arzt und Forschungsbeauftragten unserer Klinik E-mails, von denen er bis heute keine einzige beantwortet hat. Die Gespräche mit meinem Vorgesetzten, dem Laborleiter blieben ebenso fruchtlos. Nach einem weiteren halben Jahr voller frustraner Pipettierarbeiten ohne Instruktion und Betreuung startete ich in Eigeninitiative meine Doktorarbeit. Ich hatte mir selbst ein Thema ausgedacht, lange dazu recherchiert, einen Projektantrag eingereicht und tatsächlich ein kleines Stipendium erhalten, welches für den Anfang knapp reichen sollte. Danach, würde meine Klinik mir einen Doktorvater zuweisen und die Finanzierung übernehmen, dachte ich mir.

Im Nachhinein ein naiver Gedanke, jedoch verfügt diese Klinik über ein enormes Forschungsbudget und mein Projekt lag genau in ihrem Forschungsbereich. Tatsächlich gab mir der Laborleiter dann grünes Licht für meine Forschung und stellte mir den Leitenden Arzt als Doktorvater und dessen Schützling, ein aufstrebender Oberarzt, als Betreuer zur Verfügung. Ich war nicht sonderlich begeistert; ein Doktorvater, der keine Mails beantwortet und den alle hinter seinem Rücken den "Diktator" nennen und diesen Oberarzt, der den Namen "filthy Phil" trägt, den er von der männlichen Klinikbelegschaft als Auszeichnung und von der weiblichen als Warnhinweis wegen seinem enormen Frauenverschleiß und seinen chauvinistischen Einstellungen erhalten hat. Aber ich hatte keine andere Wahl, ich musste es akzeptieren. Das war der Anfang vom Ende.

Ich war mir von dieser Klinik schon einiges gewohnt, fast jeder der Oberärzte hatte schon den ein oder anderen sexistischen Spruch in meine Richtung geäußert. Mein Laborleiter sprach am Anfang immer davon, dass es für Doktorandinnen selbstverständlich sei, im Minirock im Labor zu arbeiten und dass es auch üblich sei, sein Bett mit dem Vorgesetzten zu teilen. Im OP war ich ausgelacht worden weil ich Chirurgin werden will, ich wurde bei orthopädischen Eingriffen nicht eingesetzt weil dies "Männersache" sei und mir wurde vorgeworfen ich sei ja ausschliesslich da, um mich hochzuschlafen. Da ich es nicht anders kannte, nahm ich an dies sei normales Verhalten überarbeiteter Männerhorden im OP und ließ mir ein dickes Fell sowie eine scharfe Zunge wachsen.

Ich wehrte mich was das Zeug hielt und gab ihnen die Retourkutsche. Irgendwann hatte ich mir ihren Respekt dann verdient und wurde in Ruhe gelassen. Mit einigen freundete ich mich sogar an. Das war, bevor ich auf dem Radar von filthy Phil auftauchte. "Ohne meine Hilfe wirst du es hier nicht schaffen und wenn ich dich nicht mag, bist du ganz schnell weg", waren seine Begrüßungsworte an mich, als er das Labor für unser Erstgespräch betrat. Er hat so eine Art wie er geht und spricht. Er tut dies alles sehr langsam, nicht faul und müde, eher wie ein Schauspieler der bewusst inszeniert und er macht zwischen jedem Wort eine Pause. Dabei fährt er sich regelmäßig durchs Haar, wirft den Kopf zurück und bleibt überall stehen, wo er sich selbst betrachten kann, nicht nur vor Spiegeln sondern auch vor Fenstern, Pfützen und Nierenschalen. Als er irgendwann mal einen Fernsehauftritt hatte, spielte er uns sein Video mehrmals hintereinander vor, wobei wir alle aufgefordert wurden seine Schönheit zu bewundern. "Schaut, hier sieht mein Haar so hammer aus, und hier, da halte ich dieses Kniegelenk so schön!"

Dieser Narzisst stand nun also vor mir und fuhr sich durchs Haar. Ganz unattraktiv war er nicht, aber für sein Alter sah er schon ziemlich verbraucht aus und sein unerträglicher Charakter wirkte auf mich einfach nur abstoßend. Ich nannte ihn "Prince Charming", weil er die fleischgewordene Version des selbstverliebten Prinzen aus der Filmreihe "Shrek" hätte sein können. "Und sowas wird Arzt", dachte ich mir. Prince Charming fuhr fort mit seiner Rede: "wenn du deinen Doktortitel und Karriere willst, dann tanzt du nach meiner Pfeife. Ich will dein Projekt nicht jetzt besprechen. Abendessen um acht im Restaurant, dann reden wir." Das wäre wohl mein Stichwort gewesen, zu kündigen oder mich wenigstens bei der Personalaufsicht zu beschweren.

Bleiben ließ ich es, weil ich nicht nur finanziell vollkommen von dieser Klinik abhängig war. Wer in ihrer Gunst steht, dem öffnen sich alle Türen und ich wollte bis zur obersten Türe hoch, ich wollte Professorin werden. Wer es sich allerdings verspielt, der hat einen langen Fall und einen schmerzhaften Aufprall vor sich. Sie können dich zerschmettern und begraben, deine Karriere ist dann vorbei. Mir war dies alles klar, als ich hier anfing. Ich war bereit alles richtig zu machen um in der Gunst zu bleiben und aufzusteigen. Nur hatte mir damals niemand gesagt, dass sie Chromosomenkonstellation XX als Ausschlusskriterium betrachten.

Im Restaurant sprachen wir tatsächlich über meine Forschung und Phil gab mir nützliche Tipps. Ich begann an den schlimmen Gerüchten um ihn zu zweifeln und fand ihn eigentlich ganz nett. Er gab sich ganz anders als in der Klinik, er war lustig und zuvorkommend und gar nicht aufdringlich. Er bestand darauf, mich nach Hause zu bringen und kam mit bis vor die Tür. Ich hatte sie aufgeschlossen, sagte Tschüss und wollte schon reingehen, als er mich packte und mich küsste. Im Schreck ließ ich meine Tasche fallen, dann versuchte ich zu schreien und mich aus seinem gewaltsamen Griff zu befreien. Da es ihm im Gegensatz zu mir erlaubt war im Ortho-OP zu arbeiten hatte er sich dadurch einen enormen Kraftvorteil antrainiert. Ich zappelte wie ein Fisch am Haken, während er versuchte in meine Wohnung zu gelangen und meine Jacke zu öffnen. Als er dann noch tatsächlich mit Klischeesätzen wie "du willst es doch auch" kam, rammte ich ihm in meiner Verzweiflung meinen Absatz in den Fuß.

Er ließ los, ich griff meine Tasche, rannte in die Wohnung und schlug die Tür zu. Dann fiel ich auf mein Bett und weinte. Als Mann wäre mir dies nie passiert. Eine Woche lang war ich krankgeschrieben. Mein Hausarzt meinte, ich solle den Vorfall einem Vorgesetzten melden. Doch wem denn? Phil war der Goldjunge, die Zukunft der Klinik, der Ziehsohn unseres Chefs, der Frauenheld und Profiforscher. Wer hätte sich denn auf meine Seite geschlagen? Von anderen Frauen die sich gegen ihn gewehrt hatten weiß ich, dass man ihnen vorgeworfen hatte, sie seien missgünstig und neidisch auf seinen Erfolg. Der Laborleiter nannte sie "frigide Weiber". Und von einem Tag auf den nächsten waren sie verschwunden. Sie seien freiwillig gegangen hieß es von Oben. Von Unten sagten sie "die wurden gegangen".

An meinem ersten Tag zurück in der Klinik erreichte mich die Hiobsbotschaft, meine Doktorarbeit sei gestrichen worden. Das Stipendiengeld wurde damals der Klinik überwiesen, also behielten sie es. Die Arbeiten bei denen ich zuvor mitgewirkt hatte, würden ohne meinen Namen zu erwähnen publiziert werden. Es hieß mein geistiger Beitrag sei zu gering, als dass ich im Autorenindex erwähnt werden könnte. Die Woche zuvor hieß es noch ganz anders. Mein Schreibtisch im Labor war leergeräumt, der Laborleiter hatte mir einen Zettel hinterlassen: "pipettieren" las ich darauf. Ich war zurück bei null. Dort wo ich vor zwei Jahren begonnen hatte, voller Elan und Zukunftsvisionen. Ich tat meine Arbeit und pipettierte. Danach ging ich ins Stationszimmer zu meinen Kollegen. Sie begrüßten mich mit eisigem Schweigen.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Bestürzt fragte ich die Runde, was los sei. Die Leute, die ich in den letzten Monaten als meine Freunde und Kollegen betrachtet hatte, mit denen ich Nachtdienste und Wochenenden im Notfall überlebt hatte, würdigten mich keines Blickes mehr. Sie behandelten mich, als sei ich gar nicht da. Ich wollte die Sache klären, klopfte beim Laborleiter, meinem Doktorvater und dem Chef an. Niemand hatte Zeit, die ganze Woche nicht. Man würde sich melden. Niemand wollte mit mir reden oder mir wenigstens zuhören. Zuletzt ging ich zu Phil, um ihn zur Rede zu stellen. Er saß in seinem Büro, eine Pflegepraktikantin saß vor ihm auf dem Tisch und kicherte. Da kam mir das erste Mal das Wort "vile" in den Sinn. "Phil, was läuft hier?" fragte ich ihn fordernd. Er hatte wieder seine Art. Langsam wandte er sich von der Praktikantin ab, fuhr sich durchs Haar, blickte mich gerade an und sagte: "hättest du eben mal nach meiner Pfeife getanzt."

Ich hielt es noch zwei weitere Monate in dieser Klinik aus. Während dieser Zeit bekam ich keine Arbeiten mehr zugeteilt, weder im Labor noch in der Klinik. Ich hatte Dienst wie alle anderen, jedoch redete man kaum mehr mit mir. Ich hatte keine OPs, keinen Rufdienst, keinen Papierkram.Ich hatte einfach gar nichts. Wenn ich das Gespräch mit meinen Vorgesetzten suchte wurde ich vertröstet. Ebenso, wenn ich nach Arbeit verlangte. Ich saß im Labor, saß auf Station, saß im Büro und konnte nichts machen. Es war, als würde ich mir beim Sterben zusehen können. Langsam schwiegen sie mir meine Seele aus dem Leib, bis ich nur noch ein leerer Schatten war, der geknickt den Wänden entlangschlich. Sie hatten mich getötet und nur mein Geist saß noch rum, konnte sich nicht lösen weil er nicht verstand, dass es hier nichts mehr für ihn gab.

Ich hatte diese Klinik geliebt, hatte meine Kollegen geliebt, ich hätte alles für sie getan und war stolz zum Team zu gehören. Hätte ich nur nicht diese zwei X-Chromosomen gehabt. Dann hätte ich Karriere gemacht, hätte meine Doktorarbeit noch und wäre nicht an der gläsernen Decke zerbrochen. Aber auch diese ist eine Lüge. Sie wurde erfunden, um Frauen weiß zu machen, sie hätten immerhin eine geringe Chance. Die gläserne Decke gibt es aber nicht. Es ist viel schlimmer. Als ich nach zwei Monaten erste Anzeichen von Depression bei mir bemerkte, wurde ich krankgeschrieben und mein Hausarzt schickte mich zu einem Therapeuten.

Kurze Zeit später kündigte ich meine Stelle und machte Urlaub. Ich hatte zwar nichts in den Händen, kein gutes Arbeitszeugnis, keine Publikation und keinen Titel aber kaum war ich weg von dieser Klinik, verschwand die Depression. Nun muss ich mich nach einer neuen Stelle umsehen, am besten im Ausland, wo diese Klinik noch nicht so viel Einfluss hat. Ich würde gerne in der Chirurgie bleiben, aber ich weiß nicht ob ich dort Zukunft habe. Mit der akademischen Laufbahn habe ich abgeschlossen. Wenn mir heute jemand mit der gläsernen Decke kommt, kann ich nur lachen. Die gläserne Decke ist eine Lüge, für Frauen in der Chirurgie gibt es nur den gläsernen Sarg.

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