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  • Bericht
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  • Arne Ilse
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  • 31.01.2014

Gebärdensprachdolmetscher goes Mediziner

In Deutschland sind ca. 80.000 Menschen hochgradig schwerhörig oder taub. Kommunikationsprobleme mit "Hörenden" stehen bei ihnen auf der Tagesordnung. Besonders kritisch wird dies allerdings in der Arztpraxis oder im Krankenhaus. Denn hier ist ein einwandfreies Verständnis auf beiden Seiten sehr wichtig. An der Uni Magdeburg gibt es deshalb den Kurs "Gebärdensprachdolmetscher goes Mediziner", in dem Studenten unter anderem erfahren, was es heißt gehörlos zu sein.

Schwerhöriger Mann - Foto: Alexander Raths/shutterstock

 

„Du bist gehörlos. Setze die Kopfhörer auf und versuche, dich in deiner Gruppe so gut es geht an der Diskussion zu beteiligen.“  Das war die simple Anweisung auf dem kleinen Papierschnippsel in meinen Händen. Ich setzte also die Kopfhörer auf und versuchte, so gut es ging am Gespräch teilzunehmen. Gar nicht so einfach, so völlig ohne Gehör. Dabei waren wir nur zu viert. Meine Kommilitonen versuchten zwar Rücksicht zu nehmen und sprachen langsam und gestikulierten wild und viel. Aber trotzdem war es schwer sie zu verstehen. Außerdem musste ich immer erst ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen bevor ich etwas sagen konnte. Diese Übung fand im Rahmen des Kurses „Gebärdensprachdolmetscher goes Mediziner (GSDgoesMED)“ statt. Hier hatten Studenten die Möglichkeit auszutesten, was es heißt gehörlos zu sein. Der Kurs fand erstmalig während des Sommersemesters 2013 an der medizinischen Fakultät statt und wurde erdacht, organisiert und geleitet von Studentinnen des Studiengangs Gebärdensprachdolmetschen der Hochschule Magdeburg-Stendal und zusammen mit dem Förderverein Medizinstudierender Magdeburg e.V. (FMMD) ausgerichtet.

 

Auch die Gebärdensprache ist nicht Dialektfrei

So wie mir in der Übung geht es derzeit ca. 80.000 Menschen in Deutschland, denn so viele sind nach WHO-Definition hochgradig schwerhörig oder taub. Einige benutzen Hörhilfen, wie zum Beispiel ein Cochlea-Implantat. Die Kommunikation in Lautsprache ist vielen Gehörlosen ohne derartige Hilfen allerdings nicht möglich. Doch zum Glück gibt es eine ganze Reihe an Möglichkeiten, wie sich Gehörlose verständigen können. Die wohl wichtigste ist die deutsche Gebärdensprache, kurz DGS. „Deutsch“ deshalb, weil die Gebärdensprache in allen Ländern ein wenig anders aufgebaut ist. Es gibt viele verschiedene Gesten für das gleiche Objekt und sogar innerhalb eines Landes haben sich viele unterschiedliche Dialekte entwickelt. Trotzdem funktioniert die Verständigung auch zwischen den Nationalitäten gut – sie dauert nur entsprechend länger.

Die DGS ist seit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahre 2002 in Deutschland eine anerkannte Sprache. Ihr Prinzip ist es, einen Sachverhalt möglichst bildhaft darzustellen. So sind nicht nur die Hände entscheidend. Auch deren Stellung zueinander und relativ zum Körper, das Mundbild des Gebärdenden, seine Körperhaltung und die Mimik. Mit dieser Vielfalt an Möglichkeiten in Kombination mit einer ganz eigenen Grammatik lassen sich mitunter auch sehr abstrakte und komplexe Sachverhalte ausdrücken.

 

Lippenlesen: Nur ein Drittel der Worte werden erkannt

Ein weiteres Mittel der Kommunikation, das sowohl bei der Gebärdensprache, als auch in der Kommunikation mit Hörenden eingesetzt wird, ist das Lippenlesen. So haben viele Gehörlose gelernt, Wörter von den Lippen abzusehen. Das Problem dabei ist nur: Das ist gar nicht so einfach. So ist das Mundbild vieler Laute der deutschen Sprache sehr ähnlich. Man schätzt, dass deshalb nur etwa 30% der Laute überhaupt eindeutig erkannt werden können – die anderen 70% ergeben sich entweder aus dem Kontext, oder gar nicht. Das kann oft zu Missverständnissen führen. Interessant ist auch, dass viele Menschen dazu neigen, in der Kommunikation mit Gehörlosen überdeutlich zu sprechen. Das jedoch kann das Mundbild verzerren und ein richtiges Absehen erschweren.

 

Schwierigkeiten beim Arztbesuch

Probleme in der Kommunikation ergeben sich oftmals beim Arztbesuch. Dabei wäre hier eine möglichst missverständnisfreie Kommunikation besonders wichtig – für beide Seiten. Daher war dies das Hauptthema des Kurses. Jennifer AmmaAntwi, Studentin des Studiengangs Gebärdensprachdolmetschen an der Hochschule Magdeburg-Stendal und eine der Organisatoren des Kurses, ist zufrieden mit der Durchführung des Projekts. Sie und ihre Kommilitonen beschäftigen sich schon eine ganze Zeit lang mit dem Thema. „Durch Literaturrecherche, Interviews und das Kommunikationsforum mit vielen Erfahrungsberichten von Hörgeschädigten haben wir festgestellt, dass es im medizinischen Bereich noch an Aufklärung bedarf. Deshalb haben wir uns dieses Projekt für das zweite Studienjahr der Medizinstudenten überlegt.“, sagt sie.  

Der Kurs richtet sich auch an medizinisches Fachpersonal und Gebärdensprachdolmetscher, um sie  für dieses Thema zu sensibilisieren. Durchgeführt wurden insgesamt fünf Sitzungen über je 1,5 Stunden. Teile des Kurses waren ein Crashkurs in deutscher Gebärdensprache und ein kurzen Abriss ihrer Geschichte. Außerdem gab es Kurzvorträge zur rechtlichen Situation, zur Kultur der Gehörlosen, zum Berufsbild des Gebärdensprachdolmetschers, sowie eine Reihe an praktischen Übungen. Da das Interesse unter den Studierenden groß und die Anmeldungen entsprechend zahlreich waren und auch die Rückmeldungen der Studierenden durchweg positiv ausfielen, ist eine Weiterführung des Projekts geplant, eventuell auch als Wochenendkurs. „Bei der Weiterführung sind wir uns alle einig – das Projekt wird nicht einfach so in der Schublade verschwinden“, sagt Jennifer AmmaAntwi.

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