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  • 03.08.2016

Freundschaftsbändchen im OP

 

©bng photography – Fotolia.com

 

Jahr 6
„Gehen Sie nach Hause! Wir können Sie hier nicht gebrauchen, wenn Sie auf Gehstützen unterwegs sind!“, sprach der leitende Oberarzt in seiner Funktion als Vertreter seines Chefs, der derzeit im Urlaub war. Der sollte sich noch freuen, wenn er diesen Vorfall in der öffentlichen Evaluation lesen würde. „Aber ich kann doch in die Ambulanz gehen...“, argumentierte mein Kollege Greg. Die Fassungslosigkeit und der Unglaube standen in sein Gesicht geschrieben. „Sie können es aber auch lassen! Im OP können wir Sie so nicht einsetzen!“ „Ich wiederhole nochmal: Ich kann auch in die Ambulanz gehen. Soll ich das Tertial jetzt ausfallen lassen, oder was?!“ „Ja, genau das wäre das beste für alle! Sie können das ganze dann ja in 4 Monaten wiederholen.“


Wahnsinn, in diesem Moment stand ich ebenso fassungslos da wie Greg. Tja, dieses Klischee der chirurgischen Diva bewahrheitet sich dann doch manchmal. Wenn eine grün eingekleidete, atmende Apparatur zum Hakenhalten eben defekt ist, wird sie entsorgt, ausgetauscht oder selten auch gewartet. Nur so als kleine Fußnote: Das Krankenhaus in dem wir arbeiteten war im Landkreis „ausgezeichnet“ worden (was immer das überhaupt heißen mag) für seine „hervorragende Inklusionsarbeit“.


Der Trotz meines Kollegen stand zum Glück darüber. So meldete sich Greg jeden Morgen brav demonstrativ zur Visite, begleitete die allgemeinchirurgische Sprechstunde und die Ambulanz and not a single fuck was given those days. Und er hätte es nicht besser machen können.


Natürlich war es für mich im OP auch interessant. Wenn nicht gerade Whipple-Saison war, konnte ich einiges sehen, was ich mir so als das täglich Brot eines Allgemeinchirurgen vorstellte: Appendix, Galle, Sigma. Hemikolektomien wurden jedoch mein neuer Favorit, auch wenn es manchmal etwas dauern konnte. Die OP hat einfach diesen direkten Erfolgseffekt. Ich stage den Tumor, dämme ihn intraoperativ an Gefäßen und Darmlumen ein (no-touch) und schneide ihn dann heraus. Klingt natürlich mal wieder einfacher als es ist, aber ich mag es immer, aus etwas eine Quintessenz ziehen zu können.


Dennoch beneidete ich Greg auch um einige der akutmedizinischen und ambulanten Erfahrungen, die er live machen konnte. Wie und warum etwa eine Lipase von über 3000 einen allgemeinchirurgischen Notfall in einen gastroenterologischen verwandelt. Welche akuten Bäuche man schnellstmöglich aufschneidet und welche man vorher noch abkühlen lässt. Welche Organsysteme schaue ich mir in der Tumornachsorge primär an? Warum interessiert mich bzw. die Gastroenterologen bei sonographischem Gallenblasenhydrops die Kolitis Ulzerosa des Patienten so sehr? Na klar, die Differentialdiagnose Pankreatitis, das 72-Stunden-Intervall, die Abflussgebiete von Vena rectalis inferior, media und superior und primär sklerosierende Cholangitis hat man im Studium schon mal gehört, aber das hier war zum anfassen.


Nicht so sehr zum Anfassen war der Faden in meinen Händen mit dem ich endlich mal wieder am echten Menschen meine (Un-)Geschicklichkeit unter Beweis stellen konnte. Im PJ hatte ich mir aus Bequemlichkeitsgründen angewöhnt, mir meine Handschuhe lieber eine halbe Nummer größer anreichen zu lassen, da ich meistens eh die grobe Hand am Haken gewesen bin. Außerdem hatte ich meistens ein Paar dieser coolen grünen Unterhandschuhe an, weil ich bei Sterilium unter normalem Handschuh immer mal Ausschlag bekam. Ja, ich hatte mir stets beim Einwaschen die Hände gerieben bis das Sterilium eingewirkt und verdunstet war, aber es brachte leider nichts bis ich mir regelmäßig das zweite Paar drunterzog. Aber gut, ich war beim Faden und Knoten. Ach Mist, den Knoten in Fadenrichtung schließen! Verdammt, der Knoten ist luftikus. Mit der vorderen Schere schneiden und sie vorher um 90° drehen, um den Faden auf die Branche zu legen! Anfängerfehler allesamt, aber das ist es eben, was ich gewesen bin, ein Anfänger. In dieser Zeit ist häufig ein PJler alleine im OP-Saal zwischen zwei Operationen gesichtet worden, wie er an einem Infusionsständer stand und Freundschaftsbändchen an diesen heranknotete, während er zwei Paar XL-Handschuhe übereinander trug. Die Menge an polytraumatisierten Bananen, Orangen und Infusionsschläuchen, die ich zu Hause nähte und zusammenknotete nahm ebenfalls gewaltig zu. Meine Jeans hatten wieder Taschen ohne Löcher und meine Winterhandschuhe waren wieder gestopft. Es hat jeder davon profitiert.


Übung machte zwar noch nicht den Meister, aber immerhin fand ich langsam meinen Platz. Die Oberärzte bekamen anständige Verwendung für mich im OP und es reichte endlich dafür, mir Fäden, Instrumente oder Körperteile wortlos zu reichen. Klar, manches entglitt mir dennoch... Fluuuup! „Hmm, das war Teil des Präparates. Da waren wohl Lymphknoten im Sauger...“, sprach der Oberarzt mit leerer Pinzette in der Hand, „...dann gehen wir bei denen mal von pN0 aus. Wir machen weiter.“

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