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  • Text und Fotos Felix Hutmacher
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  • 12.06.2019

Soziale Wärme in eisiger Kälte: Forschen an der nördlichsten Universität der Welt

In Tromsø trifft die Zuschreibung „nördlichste“ auf geschätzte 98,36% aller Instiutionen zu: Der botanische Garten ist der nördlichste der Welt, ebenso wie das Universitätskrankenhaus oder das Observatorium. Das andere Zuschreibungen als diese geographische aber viel spannender und mindestens ebenso wahr sind, zeigt der folgende Bericht.

 

 

Wie weit im Norden Tromsø liegt, wird einem spätestens klar, wenn man den Flug dorthin bucht: Von Deutschland aus braucht man genauso lange nach Oslo wie von dort weiter nach Tromsø – jeweils zwei Stunden. Zwischen Oslo und Tromsø liegt eine stolze Distanz von 1800 Kilometern, und man ist dem Polarkreis schon etwa 400 Kilometer nach Norden enteilt, wenn man den Flieger am Ankunftsort verlässt. Dementsprechend rau wirkt die Natur: Der Bewuchs ist spärlich, hohe Bäume sieht man selten. Die Strände sind wunderschön und weiß; wer sich nun irrigerweise kurz in der Karibik wähnt, muss nur seinen Schuh ausziehen und mit den Zehenspitzen tasten, um festzustellen, dass das Weiße am Boden nicht Sand ist, sondern Schnee.

 


Dennoch wird jeder, der die Natur mag, den Ort lieben. Es gibt in ganz Nord-Norwegen keine halbe Million Einwohner, die sich auf eine Fläche verteilen, die doppelt so groß ist wie die Bayerns. Man hat also die Umgebung beim Wandern und Skifahren für sich. Gleichzeitig ist die Natur völlig intakt: Man kann aus jedem Bachlauf ohne Bedenken trinken – oder in ihm seine Flasche füllen.


Wer weniger gerne durch die wilde arktische Landschaft wandelt und lieber die Nacht zum Tag macht, der wird ebenso seine Freude haben. Spätestens ab Anfang Mai ist es die ganze Nacht über hell, weil über dem Polarkreis die Sonne nicht mehr untergeht. Und Tromsø beheimatet bei seiner kleinen Bevölkerungszahl von gerade einmal 75.000 eine Studentenzahl von etwa 15.000; es gibt also ein reiches, internationales Studentenleben. Lediglich das Ausschlafen am Morgen gestaltet sich dann schwierig, wenn einem die helle Sonne durch die Fenster strahlt. Da aber hilft ein alter norwegischer Trick: Alufolie ins Fenster hängen.


Die Dunkelheit und Kälte des Winters hingegen brauchte ich zum Glück nicht auszuhalten. Ich hätte aber wenig Bedenken gehabt, es zu schaffen; zu gut wurde ich von zu den Physikern der Nanoscopy-Gruppe in Tromsø umsorgt.


Über einen sehr engagierten Assistenzarzt an der Uniklinik Regensburg hatte ich selbst Kontakt dorthin geknüpft und um einen Praktikumsplatz angefragt. Die Gruppe beschäftigt sich damit, möglichst hochauflösende Mikroskope zu entwickeln, um Besuchern wie mir Antworten auf ihre biologisch-medizinischen Fragen zu geben – sie schaffen es dabei, mit Lichtmikroskopen an die Auflösung von Elektronenmikroskopen heranzukommen. Das hatte mich so fasziniert, dass ich meinen Doktorvater gefragt hatte, ob wir mit dieser Technik eine noch offene Forschungsfrage angehen könnten – und ihm war auch prompt etwas eingefallen. Wir wollten nach winzigen Poren in den Augen von Mäusen suchen.
Ich hatte also eine Menge mikrometerdick geschnittene Mäuseaugen auf Glasträgern im Gepäck, als ich in Oslo durch den Zoll lief – Norwegen gehört nicht zur EU, daher muss man sich manchen Einreiseformalitäten unterziehen, braucht aber kein Visum. Nach einigem Stirnrunzeln und einer kurzen Beratung im Hinterzimmer durfte ich aber schließlich ungehindert passieren. Das Einladungsschreiben des Professors aus Norwegen hatte wohl seine Wirkung gezeigt.


Da die Forschung mit meiner Doktorarbeit in Zusammenhang stand, konnte ich mir den Aufenthalt auch über ein Stipendium – das einer parteinahen Stiftung – fördern lassen. Darüber war ich auch sehr froh – denn ich musste als Gastwissenschaftler keine Studiengebühren bezahlen, war aber beim in Norwegen allgemein sehr hohen Preisniveau um Unterstützung froh. Allein das Zimmer auf dem Campus kostete knappe 800 Euro im Monat.


Der Aufenthalt war den finanziellen Aufwand aber wert. Ich durfte das erste Mal ein kleines wissenschaftliches Projekt selbst managen; in den kurzen fünf Wochen ließ sich noch kein Ergebnis produzieren, aber wir konnten eine Menge Fehler aussortieren, sodass ich nun nach meiner Rückkehr nach Deutschland Proben fertigmachen, dorthin schicken und auf ein Ergebnis hoffen darf.


Insbesondere meine Kollegen machten aber den Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ich ging viel mit ihnen wandern. Und da wir stets der Devise folgten, nicht den einfachsten, sondern den interessantesten Weg zu wählen, rodelte ich unter anderem mit einer Plastiktüte unter dem Hintern eine schneebedeckte Bergflanke hinab oder versank in so tiefem Schnee, dass ich meine eigenen Beine wieder freibuddeln musste; diese Wanderung beendeten wir, indem wir barfuß und auf allen Vieren über die Schneewehen krochen, um nicht einzusinken.


Dass ich schließlich trotz durchweichter Schuhe und niedriger Temperaturen ganz ohne Erkältung wieder nach Hause kam, war also auch dem Klima sozialer Wärme zu verdanken, das es in ganz Norwegen gibt. Donald Trump käme aus dem ‚Socialist‘-Rufen gar nicht mehr heraus, so sehr wird Wert gelegt auf Gleichheit und Transparenz. Bei Gehälter und Vermögen klafft kaum eine Schere, Frauen sind viel selbstverständlicher emanzipiert als in Deutschland. Die Steuern sind hoch, aber der Lebensstandard ebenso – für alle. Ich habe in Norwegen jedenfalls niemanden Flaschen sammeln sehen.
Wenn einem also wundervolle Natur und eine soziale Gesellschaft wichtig sind, dann ist die Universität Tromsø nicht nur die nördlichste der Welt. Sondern vielleicht auch ein bisschen die schönste.

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