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  • Verena Päschke
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  • 22.02.2005

Famulatur-Tagebuch (6)

Ein anderer Wind

Diese Woche sammelt Verena ihre ersten Erfahrungen auf „OP I“ – einer Station mit zackigem Klima, aber prima Frühstück.

Foto: Jupiterimages

Die Blonde, die Braune und die Rote

Neue Woche – neues Glück, denke ich mir bei der Morgenbesprechung. Im Zug habe ich wieder den Kampf gegen den Schlaf verloren. Samstags und sonntags ausschlafen, was für ein Traum! Zu schnell vorbei – diese Woche muss ich vier Tage lang schon um 5.15 Uhr aus den Federn, denn von Dienstag bis Freitag beginnt der Tag auf den operativen Stationen bereits um 7.30 Uhr mit der Visite. Montagmorgen aber erst nach der großen Klinikrunde. Peter Reinhardt und AiP Tom begrüßen ihre drei Famulantinnen sichtbar erfreut und taufen Yara, Pia und mich sogleich auf unsere Haarfarben: "Die Blonde, die Braune und die Rote". Die beiden könnte man nach ihrer Statur "Der Moppel und das Skelett" nennen...

Hier weht ein anderer Wind

Auf OP I herrscht ein anderes Klima als auf Onko II, das merkt man auch gleich bei der Visite. Statt im Massenpulk rennen wir in Begleitung einer einzigen Schwester flott von Zimmer zu Zimmer. Peter berichtet den Patientinnen, wann ihre OP stattfindet oder wie sie verlaufen ist, schaut sich die Wunden an oder verhandelt fröhlich mit ihnen über das Entlassungsdatum. Ein schwarzes Buch gibt es allerdings auch hier, und es füllt sich schneller als uns lieb ist. Trotzdem ist nach der Visite erst einmal gemeinsames Frühstück angesagt: Yara hat eine Riesentüte voller Köstlichkeiten vom Bäcker mitgebracht, für die ihr die Ärzte täglich einen Zwanzigmarkschein zustecken. Zusammen mit den Schwestern schlagen wir uns in der Teeküche den Bauch voll.

Ein gutes Frühstück ist wichtig!

"Auf Operativ musst du gut frühstücken, sonst kippst Du im OP um", klärt uns Tom mit vollen Backen auf. Heute morgen muss allerdings keiner von uns dorthin, denn montags stehen meistens nur zwei bis drei Operationen auf dem Plan. Für den weiteren Morgen verabschiede ich mich erst mal: Meine Gynäkologin hat einen Termin für mich frei, und Peter hat zum Glück nichts dagegen, dass ich vormittags fehle. Als ich nachmittags wieder eintrudle, erkundigt er sich sogleich nach meinem Befinden. Männer haben es gut, die brauchen sich nie Gedanken zu machen, wenn sie mit den onkologischen Aspekten der Gynäkologie zu tun bekommen. Auch auf OP I liegen Frauen, die ein Mamma- oder Ovarial-CA haben. Eine von ihnen ist noch nicht mal vierzig und hat nach einem ausgedehnten Ovarial-CA-Rezidiv einen künstlichen Darmausgang bekommen. Eine andere, nette ältere Dame hat sich nun doch zu einer Mamma-Ablatio entschlossen, nachdem ihr zunächst brusterhaltend operierter Tumor sich als multifokal herausgestellt hat.

Die meisten Patientinnen sind aber für eine Hysterektomie oder Zystenentfernung gekommen und gehen nach einigen Tagen völlig gesund nach Hause.

Tom verdankt seine Stelle dem OP-Plan

Pia und Yara haben schon den Löwenanteil aus dem schwarzen Buch erledigt. Im Ärztezimmer, das nachts zugleich als Notaufnahme dient, geht es zu wie im Taubenschlag. Denn hier wird der OP-Plan für den nächsten Tag erstellt, und Tom ist Erfinder und Chef des Computerprogramms, mit dem das gemacht wird. Dem OP-Plan hat er auch seine AiP-Stelle zu verdanken, denn als er noch PJler war, hat er diesen sozusagen unter seine Fittiche genommen. Überhaupt verbringt er den Großteil seiner Arbeitszeit vor dem Bildschirm, bis ihn Peter vom Schreibtisch wegscheucht. Ständig kommen Anästhesisten oder Stationsärzte rein, studieren Akten, bringen Zettel mit den Patienten, die am nächsten Tag operiert werden. Alle scheinen auf irgendwas zu warten...auf die Oberarztvorstellung, klärt mich Yara auf. Täglich kommt ein anderer Oberarzt, der sich die Fälle für den nächsten Tag anschaut. Bevor er die Patientin untersucht, muss jemand sie ihm vorstellen.

Zackig wie beim Militär

Pia ist heute mit einer Neuaufnahme dran und sichtlich nervös. Oberarzt Fechner wird erwartet – er ist noch ziemlich jung, stets adrett mit bunter schmaler Krawatte und gestärktem Hemdkragen ausstaffiert und sieht mit seinen Bambi-Augen eigentlich so aus, als ob er niemand etwas zuleide tun könnte. Aber das täuscht, denn sonst wäre er wohl kaum so schnell zum Stellvertreter des Chefarztes und Privatdozenten avanciert. Sobald er den Raum betritt, wird das scheinbar so lässige Raumklima auf einmal zackig wie in einer Militärakademie. Was für ein Unterschied zu Prof. Brand auf der Onko! Wie aus der Maschinenpistole feuert er Fragen auf die arme Pia ab. Sie schlägt sich ganz tapfer und muss nur an einer Stelle passen, darf dann die Patientin reinholen und sinkt erschöpft auf einen unserer blauen Stühle. Hilfe! Morgen bin ich dran, hat mir Tom schon prophezeit. Und in den OP darf ich morgen auch zum ersten Mal. Für eine Konisation und ein Ovarial-Rezidiv bin ich eingeteilt. Juhu! Endlich in den OP, darauf warte ich nun schon seit fünf Semestern. "Hauptsache ordentlich frühstücken", gibt uns Tom noch mit auf den Weg, als wir uns mit den OP-Plänen davonmachen. Denn bevor wir das Haus verlassen dürfen, müssen wir diese enorm wichtigen Zettel noch an fünf verschiedene Stellen in dem verwinkelten Jugendstilbau tragen. Unter anderem ins Vorzimmer von Prof. Frauenfreund, seines Zeichens Chefarzt, den ich bisher noch nicht leibhaftig gesehen habe.

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