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  • Verena Päschke
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  • 07.03.2005

Famulatur-Tagebuch (19)

Der vorletzte Tag

Verena kämpft sich an der angriffslustigen Assistenzärztin Spörl bis zum Kreissaal durch und kann der künftigen Mutter "das Wasser reichen".

Foto: Jupiterimages

Ich kann einer künftigen Mutter das Wasser reichen!

Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist. An das brutale Weckerklingeln habe ich mich schon so gewöhnt, dass ich selbst am Wochenende nicht mehr länger als bis 7 Uhr schlafen kann. Gestern abend habe ich meinem Freund die ganze Zeit die Geburt in allen Details geschildert, bis er mich schon fast angefleht hat, damit aufzuhören! Aber irgendwie musste ich das verarbeiten.

Noch ein Kreissaal-Versuch

Mal gucken, ob ich heute noch mal zuschauen kann. Beim Frühstück im Kreissaalstübchen stellt sich heraus, dass Assistenzärztin Spörl heute Kreissaaldienst hat. Sie sieht aus wie eine 80er-Jahre-Motorradbraut mit Vokuhila-Haarschnitt und schaut entsprechend angriffslustig drein. Nachdem ich ihr schüchtern ins Kreissaal-Vorzimmer gefolgt bin, wage ich dann doch, sie zu fragen, ob ich bei der hörbar demnächst anstehenden Geburt zuschauen kann. "Hast Du Dich schon vorgestellt", schnauzt sie mich an. "Äh, nee, ich kann da ja nicht einfach so reingehen", rechtfertige ich mich schwach. "Einfach hinstellen und der Frau zwischen die Beine gucken ist nicht!" fertigt sie mich ab. Natürlich, bin ja nur aus rein voyeuristischen Gründen hier. In mir steigt die Wut auf. Frech gehe ich einfach hinter ihr her, als sie die Kreissaaltür ansteuert. Die Gebärende, die Hebammen und der Vater sind voll in Action.

Das fehlt denen gerade noch, dass ich mich höflich als nichtskönnende Studentin vorstelle. Also bleibe ich in zwei Meter Entfernung stehen. Alle zwei Minuten schreit die künftige Mutter laut: "Ist mir egal, ist mir sch...egal!", wenn die Hebamme ihr irgendwelche Fragen stellt. Offensichtlich hat sie keinen Bock mehr auf aktive Mitarbeit bei der Geburt. Kann ich nachvollziehen!

Dem Vater ist das Ganze schrecklich peinlich. Doch das Kind, das aussieht wie ein kleiner blauer Marsmensch mit weißer Käseschmiere – gar nicht so kuschlig-rosa wie ich mir Neugeborene immer vorgestellt habe – kommt zum Glück schnell. Auf einmal redet die Mutter mich an: "Sie da, können Sie mir ein Glas Wasser bringen?" Schnell reiche ich ihr eines und stelle mich dabei noch kurz vor, was allerdings erwartungsgemäß niemanden interessiert.

Spörl redet den ganzen Tag kein Wort mehr mit mir. Dementsprechend habe ich nichts zu tun und gucke Miriam dabei zu, wie sie gekonnt Braunülen legt. Das habe ich einmal versucht und nicht geschafft, möchte es aber nicht unbedingt an in Wehen liegenden Frauen üben.

Über den Gang läuft seit den Morgenstunden ein weinendes Ehepaar: Sie hatten Zwillinge erwartet, doch die Fruchtblase ist in der 18. Schwangerschaftswoche geplatzt und jetzt soll die Geburt der beiden Kinder – die tot sein werden – eingeleitet werden. Das Ehepaar tut mir so leid, mit gesenktem Blick gehe ich an ihnen vorbei.

Beckenendlage

Nachmittags haben wir noch mal PJ-Fortbildung. Dr. Berger, der mich den Aszites punktieren lassen wollte, erzählt uns alles, was wir über Beckenendlagen wissen wollen. Im großen Jugendstilhörsaal werkelt er mit einer Stoffpuppe und mit einem Modell des weiblichen knöchernen Beckens herum. Warum werde ich bei den Fortbildungen immer so müde? Dazu trägt natürlich auch das reichhaltige Mittagessen bei. Weiter mit Essen geht es auf der OP I, wo ich den restlichen Tag verbringe – beim Kuchenvertilgen mit PJ Andi, PJ Mirko und AiP Tom, der uns mit Stories von seinen Auslandsfamulaturen unterhält. Peter kommt auch noch dazu und bietet mir an, für ihn am Wochenende einen Hiwi-Job zu erledigen. Tumorblöcke aus dem Archiv im Keller heraussuchen und so verpacken, dass er sie in Samsonite-Koffern in die USA bringen kann. Wer den Keller nicht kennt, kennt das Haus nicht, meinen die Jungs einstimmig. Na klar!

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