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  • Bericht
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  • Janine Hansmann
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  • 08.05.2014

Famulatur in Rio de Janeiro

Während ihrer Famulatur in Rio de Janeiro hat Janine viel gelernt – nicht nur über die boomende plastische Chirurgie in Brasiliens Großstädten, auch über Land und Leute.

 

Blick auf den Zuckerhut – Foto: Prof. Rubens

 

Nicht aus aktuellem Anlass, sondern weil mich Brasilien schon seit dem Erdkundeunterricht in der 7.Klasse reizte, wählte ich dieses facettenreiche Land als Ziel meiner letzten Famulatur.

So konnte ich auch einen weiteren Einblick in die plastische Chirurgie gewinnen, die in Brasiliens Großstädten geradezu boomt.

Ich bewarb mich im August 2013 direkt bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (kurz bvmd) um einen Austauschplatz. Die Auswahl findet nach einem Punktesystem statt, bei dem man zum Beispiel Punkte für die Anzahl der klinischen Semester oder einen guten Sprachtest erhält.

Die Länderzusage erhielt ich circa zehn Wochen, die Zusage für Rio de Janeiro vier Wochen vor Beginn der Reise – den Flug hatte ich bereits zuvor gebucht, da die Vertreterin der bvmd an meiner Uni zuversichtlich war.

Ende Februar, kurz vor den Faschingsfeiertagen, flog ich also nach Rio.

 

Ein Mal im Leben „Carioca“ sein

Ich kam in einer Gastfamilie unter, die mich auch direkt am Flughafen abgeholt hatte. Organisiert wurde die Unterkunft vom bvmd. Die Wohnung selbst war zwar zunächst gewöhnungsbedürftig klein, aber fein. Im Gebäude gab es außerdem einen kleinen Pool und ein etwas in die Jahre gekommenes mini-Fitnessstudio. Ich teilte mir ein Zimmer mit einer meiner Gastschwestern, in dem es zum Glück eine Klimaanlage gab, da wir manchmal tagsüber bis zu 40°C hatten.

Dank Wifi konnte ich dort auch via Skype und Whatsapp in Kontakt mit Freunden und Familie in Deutschland bleiben.

Auch als Faschingsmuffel war ich unglaublich neugierig auf den weltberühmten „carnaval do Rio“.

Bei dieser Riesenparty wetteifern Rios Sambaschulen jährlich um den Titel der besten. Mit aufwändig dekorierten Festwägen, fantastischen Kostümen und perfektionierten Tänzen treten sie im eigens hierfür gebauten Stadion, dem „Sambódromo“, auf.

Doch nicht nur dort wird gefeiert. Die ganze Stadt steht eine Woche lang Kopf. Jeden Tag finden überall „blocos“ statt – die typischen Faschingsumzüge und Festivals. Ich legte mir schnellstmöglich ein Kostüm zu und genoss die Lebensfreude und gute Laune bei blocos in Ipanema, Lapa und Co.

Die „Cariocas“ selbst, wie Rios Einwohner genannt werden, versuchen in dieser Zeit meist die Stadt zu verlassen. Wo so viel gefeiert wird, gibt es auch viel Chaos. Die Müllabfuhr streikt und die Stadt ist ein einziger, riesiger Stau – ein so genannter „engarrafamento“.

 

Universitätskrankenhaus Gaffrée e Guinle im Stadtteil Tijuca – Foto: Janine Hansmann

 

Neue Einblicke – Medizin in Südamerika

Direkt nach den Feiertagen begann ich mit meiner Famulatur.

Die Wohnung meiner Gastfamilie war nur zehn Minuten Fußweg von der Klinik, dem Hospital Universitario Gaffre e Guinle, entfernt. Der Stadtteil Tijuca liegt im mittelständischen Norden der Stadt, sodass ich einen guten Vergleich des medizinischen Systems zwischen einem Schwellenland wie Brasilien und einer Industrienation wie Deutschland erhielt.

Weil jeder Bürger in Brasilien das Recht auf medizinische Versorgung hat, sind die Wartezeiten immer besonders lang. Manchmal dauert es ein bis eineinhalb Jahre bevor ein Patient ein CT erhält.

Auch die Ambulanzen sind komplett überlaufen – bei meiner Ankunft in der Klinik morgens standen die Patienten bereits bis über den gesamten Klinikparkplatz hinaus an.

Auch der Standard ist mit Deutschland nicht zu vergleichen. Man betritt den OP mit Straßenschuhen, über die nur ein dünner Überzug gestreift wird. Und es ist erlaubt, Handtaschen und Co. direkt mit in die Säle zu nehmen.

Richtige Patientenzimmer gibt es nur wenige – die meisten Patienten sind in einem großen Raum untergebracht, was bei uns einer Station entspricht, und durch Vorhänge voneinander getrennt.

Desinfiziert wird mit purem Alkohol – nicht wie bei uns mit eigens hergestelltem Hautdesinfektionsmittel – und zum Blutabnehmen dient ein Gummihandschuh als Stauschlauch.

Andererseits war ich ziemlich überrascht, dass in den OPs der Uniklinik dieselben Überwachungsgeräte standen und ein modernes, mobiles Röntgengerät verfügbar ist.

Auch der medizinische Kenntnisstand entspricht ziemlich dem in Europa, wie ich in manchen Seminaren und Vorlesungen und auch durch das, was mir persönlich erklärt wurde, erfuhr.

 

Wegweiser zur Allgemeinchirurgie – Foto: Janine Hansmann

 

Da es in dieser Klinik wenige plastische Eingriffe gibt, landete ich auf der Allgemeinchirurgie. In Brasilien ist es jedoch normal, dass ein Arzt mehrere Standbeine hat. Mein Lehrer, Prof. Teixeira, war für die wenigen, medizinisch-indizierten plastisch-chirurgischen Eingriffe dort zuständig. Er hatte aber auch angemietete OP-Säle in Belford Roxo und Niteroi, in denen er die ästhetischen Eingriffe seiner privaten Patienten vornehmen kann.

Ich durfte ihn überallhin begleiten. So sah ich zum Beispiel die Entfernung von Narbenkeloiden oder Warzen in Rio. Bauchdeckenstraffungen, Fettabsaugungen und vieles mehr erlebte ich in den anderen beiden Klinken. Mein persönliches Highlight waren die so genannten Glutealplastiken – Implantate, die entsprechend des Schönheitsideals in Brasilien unter die Glutealmuskulatur implantiert werden.

Gab es mal nichts Plastisches, assistierte ich bei einigen Hernienoperationen oder Gallenblasenentfernungen.

 

Teamwork

Das Team der Allgemeinchirurgie war super. Bereits am zweiten Tag luden sie mich ein, abends etwas mit ihnen trinken zu gehen – und das, obwohl wir uns mit einem Mix aus Englisch, Spanisch und Portugiesisch unterhielten. Ich fühlte mich sehr schnell gut integriert, hatte viele Ansprechpartner und unternahm auch in der Freizeit immer wieder was mit den Ärzten. Besonders lustig war das gemeinsame Gokartfahren.

 

Ein Teamausflug – Foto: Janine Hansmann

 

Freizeit in Rio

Sightseeing war neben der Klinik natürlich auch ein Muss. Ich besuchte den Cristo Redentor auf dem Berg Corcovado und den Zuckerhut. Von beiden kann man eine Wahnsinnsaussicht über Rio und den Atlantik genießen. Ich sonnte mich an den Stränden von Ipanema, Copacabana und dem sichersten Stadtteil Urca. Das Wetter war meist sonnig mit Temperaturen zwischen 29 und 34 °C. Ausnahmsweise kletterte die Quecksilbersäule auch mal auf 40 °C, was dann schon erschlagend heiß war.

Ganz besonders eindrucksvoll war auch der Ausflug zur Ilha Grande und Angra dos Reis, einer paradiesisch schönen Inselgruppe. Beim Schnorcheln fühlte ich mich wie im Aquarium.

Neugierig auf Brasiliens Flora und Fauna bummelte ich über Märkte mit vielen verschiedenen tropischen Früchten, von deren Existenz ich nicht einmal gewusst hatte. Durch meine helle Haut- und Haarfarbe fiel ich natürlich auf. Offen und freundlich wie die meisten Brasilianer sind, boten sie mir vielerlei an – von Maniok, über Jackfrucht oder Caju bis zur frischen Maracuja durfte ich querbeet durchprobieren. Beim Shoppen in Saara – eine Shoppingmeile der Cariocas – ging es auf Schnäppchenjagd. Ein Paradies für Studenten!

 

Das Früchteparadies – Foto: Janine Hansmann

 

Das Thema Sicherheit

Hierzu lässt sich Folgendes sagen:

Anfangs war ich aufgrund der vielen Horrorgeschichten über Rio schon etwas ängstlich. Meine Gastfamilie begleitete mich die ersten Tage jedoch ständig und brachte mir die wichtigsten Sicherheitsvorkehrungen bei, sodass ich mich schnell eingewöhnte und alleine zurecht fand.

Mein Smartphone ließ ich stets zuhause und hatte unterwegs ein uraltes Handy mit einer brasilianischen SIM-Karte zur Hand, sodass ich stets in Kontakt mit meiner Gastfamilie bleiben konnte.

Obwohl es eigens für Touristen organisierte Touren durch die Armenviertel, die Favelas, gibt, wagte ich dies nie. Wegen der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft gab es dort einige Unruhen mit Schießereien.

Immer wieder traf man auch in Ipanema oder Copacabana auf obdachlose Drogenopfer.

Meidet man Favelas und Orte, von denen einem die Einheimischen generell abraten und verhält man sich unauffällig, ist man relativ sicher. Ich hatte selten eine Handtasche dabei und trug so gut wie nie Schmuck oder teure Kleidung. Außerdem führte ich immer circa 20 Real, d.h. 7€, mit mir, die ich im Falle eines Überfalles aushändigen hätte können. Dies geschah zum Glück nie. Und wären meine Begleitung und ich am Strand der Copacabana nicht eingeschlafen, hätte man auch unsere Strandtasche nicht gestohlen. Ein typischer Tourifehler eben ...

 

Rio de Janeiro – ein Traum

Als Fazit kann ich sagen, dass ein Aufenthalt in Rio wunderschön und absolut empfehlenswert ist. Je mehr meine Reise dorthin in die Vergangenheit rückt, desto mehr weiß ich die Zeit dort zu schätzen.

Die Menschen dort genießen das Leben und haben eine wunderbare natürliche Lebensfreude, trotz des niedrigeren Lebensstandards. Ich war auch beeindruckt von der Genügsamkeit der Cariocas.

Dauerhaft dort zu arbeiten und leben kann ich mir zwar nicht vorstellen, denn es mangelt fast überall an Organisation und Struktur.

Aber Brasilien bietet noch so viel mehr als Rio de Janeiro allein, weshalb ich ganz bestimmt wieder zurückkommen werde.

 

Ein brasilianischer Operationssaal – Foto: Janine Hansmann

 

 

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