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  • Bericht
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  • Esther Megbel
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  • 03.11.2014

„Etwas, von dem ich zehren kann“

Am 28. Juni dieses Jahres hat der Medizinerchor der Universität Heidelberg sein zweites Benefizkonzert gegeben. Zu diesem Anlass hat Esther Megbel sich mit Cora Freund, der musikalischen Leitung des Chores getroffen, um mit ihr über den Chor, Schwierigkeiten der Leitung und bolivianische Schuhputzer zu sprechen.

> Bevor wir auf das Benefizkonzert zu sprechen kommen, ein paar Fragen allgemein zum Chor: Was ist der Medizinerchor überhaupt und wie kam es zu seiner Gründung?

Im Rahmen des Medizinstudiums muss man in Heidelberg im ersten Semester im Präpkurs an Leichen arbeiten. Die Körperspender, so nennen wir diese Menschen, werden am Ende des zweiten Semesters beerdigt und diese Beerdigung wird meist musikalisch von Studenten begleitet. Einige Studenten meines Semesters haben sich damals für diese Beerdigung zusammengefunden. Nach der Beerdigung wollten wir nicht mehr aufhören mit dem Singen, weil wir so eine tolle Truppe waren und es wahnsinnig viel Spaß gemacht hat. Deshalb haben wir den Chor weitergeführt.

 

> Der Chor ist also rein studentisch. Wie lange gibt es den Chor nun schon?

Ich bin jetzt im sechsten Semester, das heißt, den Chor gibt es seit zwei Jahren.

 

> Was für Musik macht ihr hauptsächlich?

Die Musikrichtung hat sich natürlich geändert. Für die Trauerfeier haben wir hauptsächlich Trauerlieder vorbereitet und jetzt singen wir Lieder, die uns persönlich gefallen. Die meisten Stücke kommen aus Filmen oder aus Musicals, also eher aus dem Unterhaltungsbereich und weniger aus dem klassischen Bereich.

 

> Wie finanziert ihr euch, den Probenraum oder auch Werbung für den Chor?

Bezüglich der Probenräume sind wir unglaublich glücklich und dankbar, dass wir den Raum von der Uni zur Verfügung gestellt bekommen haben, denn die Kosten dafür würden wir alleine gar nicht stemmen können, geschweige denn die Anschaffung oder Miete eines Klaviers.
Die Werbung sowie andere Materialien wie unsere Noten finanzieren wir aus unserer Chorkasse. In die Kasse kommen die Einnahmen aus unseren Auftritten, beispielsweise auf Medizinerbällen oder einem deutsch- amerikanischen Fest, das von der Stadt Heidelberg aus organisiert wurde.
Alles, was wir einnehmen, wird nicht an die Mitglieder verteilt, sondern fließt direkt in die Chorkasse.

 

> Kann jeder Student bei euch mitmachen, oder gibt irgendwelche Einschränkungen?

Bei uns kann jeder mitmachen, auch Nichtmediziner. Wir haben sogar eine Person dabei, die gar nicht studiert! Sie ist einfach dazugekommen, weil sie Lust hatte zu singen.
In der Regel sind wir aber vor allem Medizinstudenten, weil wir bei den Medizinern Werbung machen können. Momentan sind 35 Mitglieder regelmäßig in den Proben.

 

> Nun zum Benefizkonzert: Ihr habt letztes Jahr schon eines gegeben. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Unsere bisherigen Auftritte waren recht kurz und wir hatten das Gefühl, dass der Chor zu mehr in der Lage ist. Für ein Benefizkonzert haben wir uns aus organisatorischen Gründen entschieden.
Das Projekt, das wir letztes Jahr finanziert haben, war von der Studenteninitiative Weitblick. Johanna Erber, die bei uns Teile der Organisation übernimmt, war selbst mit Weitblick in Indien, wo wir das Geld hingeschickt haben. Uns war wichtig, dass die Einnahmen aus dem Konzert ehrenamtlich entstanden sind und es auch bleiben. Deshalb wollten wir eine Organisation, die in einem kleinen Rahmen bleibt und bei der wir zurückverfolgen können, wo das Geld hinfließt.

 

> War das Konzert ein Erfolg?

Wir haben letztes Jahr über tausend Euro eingenommen, was für eine ehrenamtliche Arbeit schon eine Stange Geld ist. Mit dem Geld haben wir in Indien eine Schule gebaut. Der Schulleiter der indischen Schule kam dieses Jahr nochmal nach Heidelberg und hat präsentiert, wie die Schule jetzt aussieht und dass sie steht. Das war echt ziemlich cool.

 

> Gab es Schwierigkeiten bei der Organisation, einen Punkt, an dem du gezweifelt hast?

Ich denke es ist grundsätzlich schwierig für einen Chor, der spontan entstanden ist und spontan bleiben möchte. Wir sind weder an die Musikschule angebunden noch sind wir ein Kirchenchor.
Beim ersten Benefizkonzert habe ich gefühlt fünfzig Mails geschrieben. Und wenn dann oft nur Absagen kommen, in denen sich die Menschen nicht mal die Mühe gemacht haben zu erklären, warum sie absagen, ist das schade. Dann hat man irgendwann keine Lust mehr und denkt sich: Ich mache etwas Ehrenamtliches, ich will etwas Gutes tun, aber anstatt zu helfen, werden mir Hindernisse in den Weg gelegt.
Letztes Jahr hat uns eine Kirche vier Wochen vor dem Konzert abgesagt. Da war bei mir ein Punkt erreicht, an dem ich gedacht habe: nächstes Jahr vielleicht nicht mehr.

 

> Wie kam es dann, dass ihr euch doch noch entschieden habt, dieses Jahr wieder ein Benefizkonzert zu geben?

Wir sind an der Uni und wir haben alle davon profitiert, dass wir einmal Bildung erhalten, geschenkt bekommen haben, sei es Schulbildung, Musikunterricht oder die Mitgliedschaft in einem Verein. Ich erlebe immer wieder, dass wir uns zwar beschweren über das, was in der Welt schief läuft, aber wirklich etwas verändern tun die wenigsten. Das war unser Antrieb im Chor: Wir wollen uns beschweren, wir finden es nicht in Ordnung, dass Bildung nicht der ganzen Welt zur Verfügung steht und jetzt bemühen wir uns, dass auch etwas verändert wird.
Das war einer der Gründe, warum wir dieses Jahr wieder ein Konzert gegeben haben.

 

> Was für ein Projekt habt ihr dieses Jahr unterstützt?

Dieses Jahr haben wir Vamos Puntos unterstützt, ein Projekt in Bolivien, das Schuhputzer und ihre Familien unterstützt. Dazu muss man wissen, dass Schuhputzer in Bolivien auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehen. Sie haben keinen Zugang zu Bildung, viele besitzen keine offiziellen Papiere, der Zugang zu Ärzten ist schwer. Niemand will etwas mit ihnen zu tun haben. Gerade für die Kinder dieser Schuhputzer ist dann kein Geld mehr übrig.
Der deutsche Freundschaftsverein dort baut so etwas wie eine kleine Bank auf. Es wird Geld gesammelt, das für die Schuhputzer behalten wird, denn die meisten von ihnen können kein normales Konto eröffnen. Das Geld wird ihnen dann wie bei einer normalen Bank wieder ausgezahlt. Zudem wird den Menschen mit Krediten geholfen oder Geld in die Schulbildung der Kinder investiert.

 

> Noch ein paar Fragen zu Dir: Dirigieren kann nun nicht jeder- hast du vorher eine Ausbildung gemacht?

Ich habe keine Ausbildung gemacht, aber ich singe seit ich fünf Jahre alt bin im Chor der Musik- und Singschule Heidelberg. Mit dem Chor habe ich schon viel erlebt, unter anderem Reisen in die USA und Wettbewerbe und dabei dem Dirigenten bei der Arbeit zugesehen. Anfangs war das Dirigieren erschreckend, ich hatte Angst, meinem Chor falsche Anweisungen zu geben. Aber die anderen Studenten sind mit einer offenen Einstellung gekommen und waren froh, dass sie jemanden hatten, der sich bereiterklärt hat den Chor zu leiten. Deswegen läuft bei uns alles entspannt. Ich glaube, alles beruht darauf, dass man motiviert ist, dass man offen ist und sich beteiligt.

 

> Was sind die größten Schwierigkeiten, die sich dir stellen?

Manche Menschen denken, nur weil ein Chor ehrenamtlich ist, weil sie nichts bezahlen müssen und die Proben lockerer sind, können sie einen Kaffeeklatsch veranstalten. Zu Anfang war mein größtes Problem, den Leuten klarzumachen, dass wir bei einer Chorprobe sind und singen wollen. Aber dieses Problem habe ich schon lange nicht mehr. Ich bin sehr zufrieden.

 

> Ist die Leitung nicht stressig neben dem Studium?

Das stimmt. Manchmal denke ich mir schon, jetzt nochmal eineinhalb Stunden zum Chor… Aber man erreicht gerade in diesem Studium irgendwann einen Punkt, an dem man keine Informationen mehr in sich hineinschaufeln kann. Anstatt zu sagen, man bleibt Zuhause und schlägt den Kopf gegen die Wand, weil man nichts mehr lernen kann, mache ich lieber effektiv zwei Stunden etwas anderes, das auch konstruktiv ist und Spaß macht. Dann kann ich hinterher auch besser lernen, weil ich den Kopf freibekommen habe. Außerdem sollte man sich fragen: Lebt man nur, um zu studieren, um den Abschluss zu schaffen? Was macht man dann danach, was hat man rückblickend erreicht? Der Chor, dass wir eine Schule in Indien gebaut haben- das ist etwas, von dem ich zehren kann.

 

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