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  • Bericht
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  • Pascal Johann
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  • 31.03.2009

ERASMUS Semester in Bordeaux

Ein Auslandssemester in Bordeaux bedeutet einiges an Aufklärungsarbeit im Vorfeld: Pascal betont, dass er nicht wegen der exzessiven Feiern und dem interkulturellen Alkoholika-Austausch als Erasmus-Student nach Bordeaux gegangen ist. Stattdessen hat ihn in erster Linie die gute Integration der französischen Studenten in den klinischen Alltag gelockt und das Ziel, eine Anamnese und Untersuchung in einer anderer Sprache durchführen zu können.

Mit Praxisnähe zur Approbation - Das französische Ausbildungssystem

Wer als Franzose das Abenteuer Medizinstudium wagt, hat einen steinigen Weg vor sich: Neben den universitären Prüfungen warten sogenannte Concours auf die Aspiranten. Diese Prüfungen nach dem ersten Studienjahr und am Ende des Studiums sind wirkliche Nagelproben auf dem Weg zur Approbation.
Nach dem ersten Jahr werden von den Studienanfängern ca. 50% ausselektiert- die Funktion, die in Deutschland der Numerus Clausus erfüllt, wird hier durch Prüfungen wahrgenommen.
Der zweite "Concours" findet nach Abschluss des sechsjährigen Studiums statt. Er geht in seiner Bedeutung jedoch weit über die einer Abschlussprüfung hinaus: Da die Zuteilung der Studenten für die jeweiligen Fachdisziplinen nach Rang im nationalen Concours erfolgt, entscheidet die Abschlussnote sowohl über die Fachrichtung, wie auch über den Ort der Berufstätigkeit.

 

Die Abschlussnote des Medizinstudiums - eine Weichenstellung für die Zukunft

Dieses fast planwirtschaftlich erscheinende System hat eine recht lange Tradition in Frankreich. Für Studenten im unteren Drittel bleiben dabei oft nur die nördlichen Gebiete Frankreichs in einer unbeliebten Disziplin. Auf diese Art und Weise "strafversetzt" entscheidet sich ein nicht kleiner Anteil der Studenten den Concours zu wiederholen, um im Folgejahr eine bessere Platzierung zu belegen. Die Wendung "Allgemeinmediziner in Straßburg" ist damit zum geflügelten Wort für die Berufsperspektive der letztplatzierten 10% eines Jahrgangs geworden.
Auch das "Internat", das sich dem Studium anschließt und dem deutschen "Assistenzarzt" entspricht, verbringen die Ärzte nominell im Studentenstatus- erst als Oberarzt ist man dem Studium vollends entronnen.
Während der Zeit als "Interne" befassen sich die Ärzte in aller Regel auch mit der Durchführung der Doktorarbeit, der "Thèse".

Neben diesen Eigenheiten bietet die französische Ausbildung den Studenten jedoch die Möglichkeit schon sehr früh aktiv am Patienten zu werden. Im 4.-6. Studienjahr sind sogenannte "stages" obligat. Hierbei handelt es sich um Pflichtpraktika auf den Stationen verschiedener Krankenhäuser, die immer vormittags stattfinden.

Am Nachmittag warten dann Vorlesungen und das "reguläre" universitäre Programm auf die französischen Kommilitonen. Je nach Station und Ausrichtung wird man unterschiedlich gut ins Team integriert- meist kann man jedoch Patienten selbst aufnehmen, die Behandlung mitverfolgen und kleinere Eingriffe selbst durchführen. Die "stages" sind somit das Element der französischen Ausbildung, das auch für deutsche Austauschstudenten am interessantesten sein dürfte. Die Vorlesungen sind dagegen - wie auch in Deutschland- von sehr wechselhafter Qualität.
Überflüssig zu erwähnen, dass der Lerneffekt eines stages, wie auch bei unseren Famulaturen, sehr stark vom betreuenden Assistenzarzt abhängt. Dennoch: Die Idee, Medizinstudenten fest in das Team auf Station zu integrieren und Aufgaben zuzuweisen, schafft generell eine sehr positive Arbeitsatmosphäre.

Mich führte mein Weg zunächst in den Service "Innere Medizin und Tropenkrankheiten" des Hôpital St. André unter der Leitung von Prof. Longy-Boursier - eine interessante Mixtur. Unter "Innerer Medizin" versteht man in Frankreich nicht das ganze Spektrum der internistischen Fälle. Die Definition umfasst hauptsächlich Hämatologie/ Onkologie, sowie alle Arten von Autoimmunerkrankungen.

 

Die Kathedrale St. André - Foto: Pascal Johann

It is Lupus! - Differentialdiagnose in der Rheumatologie

Dementsprechend gab es neben dem "gängigen" Krankheitsbild des Polyarthritis auch häufig Exotika-Diagnosen: Mixed connective tissue diseases und Sklerodermie gehörten ebenso zum Alltag wie die Wegener-Granulomatose und Morbus Behçet.

Während der langen Visiten war es die Pflicht eines Studenten, den jeweiligen Patienten mit der gesamten Vorgeschichte zu präsentieren. In Anbetracht der oft therapierefraktären Erkrankungen mit langem Verlauf nahm dies einige Zeit in Anspruch.

Neben der Zusammenstellung der Vorgeschichte, oblag es den "Externes" (die Medizinstudenten auf Station), die Behandlung des Patienten mitzuverfolgen und die Aufnahmeuntersuchungen durchzuführen.
Nach der Vorstellung des Patienten schloss sich oftmals eine Fragerunde zu verschiedenen Aspekten des Krankheitsbildes an. So bleibt die Spannung bei der Visite auch nach zwei Stunden in überwärmten Patientenzimmern erhalten.

 

Das anfängliche Zittern vor den Fragespielen wich jedoch bald: Alle Ärzte hatten ihr wiederkehrenden Lieblingsfragen. So wunderte man sich über das souveräne Wissen der französischen Kollegen etwas weniger, als noch zu Anfang und auch die Visite wurde ein Stück weit berechenbar.

Der Service von Prof. Longy-Boursier hat unter den französischen Studenten schon einen gewissen Legendenstatus: Die Chefärztin verlangt von den "externes" ein hohes Maß an Akribie in der Vorbereitung der Visite und ein tiefes Detailwissen in Hämatologie/ Rheumatologie. Im Gegenzug profitiert man von der persönlichen Betreuung und der ironischen Didaktik von "maman".

Interessant ist das Praktikum vor allem, weil man "en passant" sehr viel über Therapiepläne für Krankheiten erhält. Ein Aspekt, der im deutschen Studium oft völlig versinkt. Der pathophysiologische Schwerpunkt tritt dabei eher in den Hintergrund und den Studenten bleibt immerhin etwas Zeit sich schon mit Dosierungen ("Posologie") wichtiger Arzneimittel auseinander zu setzen.

Als besonders exotischen Fall werde ich eine Patientin in Erinnerung behalten, die sich mit einer Bilharziose vorstellte. Darüber hinaus wurde im Laufe der Diagnostik auch ein Befall mit Taenia solium (dem Schweinebandwurm) festgestellt. Für mich war das ein Anlass, mein verschüttetes Parasitologie-Wissen wieder hervorzusuchen - unverhofft kommt eben oft.

 

Die Stadt - "Na, dann studierst du ja am Meer"

Der erste, flüchtige Blick auf die Landkarte mag Bordeaux als Stadt am Atlantik ausweisen. Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bis Arcachon, der nächsten Stadt am Meer, immerhin noch 60 km sind. Diese können mit dem Zug, oder mit dem Auto zurückgelegt werden- nur so ist das Paradies für Surfer zu erreichen.
Wer nicht die Zeit hat, regelmäßige Ausflüge an den Strand zu unternehmen, für den bietet die Stadt selbst auch einiges: Neben zahllosen Bars und Weinschänken reiht sich in der "Rue St. Catherine" Boutique an Boutique.
Konsum und Kultur schließen sich in Bordeaux durchaus nicht aus und so gibt es neben der sehenswerten Kathedrale "St. André" Museen, wie das "Musée de l'Aquitaine", das ein Licht auf die Entwicklung der Region Aquitanien wirft.

Die Universität Bordeaux beschäftigt mit Philippe Leicht einen ERASMUS-Beauftragten, dessen vordringliche Aufgabe die Betreuung ausländischer Studenten ist- eine Tätigkeit, der er mit sichtlicher Begeisterung nachkommt.
Als Ankommender lohnt sich ein Besuch in seinem Büro auf dem Campus in jedem Falle. Neben Informationen zur Organisation des Alltags und praktischen Fragen der Lebensführung kann er auch bei Problemen mit der universitären Verwaltung vermitteln.

Darüber hinaus organisiert er in regelmäßigen Abständen Exkursionen mit der ganzen ERASMUS-Gemeinde etwa in die Pyrenäen oder ins nahe gelegene Lascaux. Diese bieten - neben ersten netten Kontakten - eine willkommene Gelegenheit, die Umgebung kennen zu lernen.

 

Blick auf den "Place de la Victoire" - Foto: Pascal Johann

 

Organisation und Wohnen

Der Hinweis, dass Wohnen in Bordeaux recht teuer ist, erübrigt sich fast: Entweder man sucht sich vorab eine colocation (Wohngemeinschaft) mit französischen Medizinstudenten, oder man orientiert sich gleich in Richtung Studentenwohnheime. Letztere sind - für Mediziner unpraktisch- auf dem Hauptcampus der Universität gelegen und damit ca. 5 Kilometer vom Stadtkern und den Hospitälern entfernt.
Die Wohnungen hier sind teilweise unübertroffen günstig (ab 130 Euro monatlich) aber dafür in einem höchst fragwürdigen hygienischen Zustand. Hinzu kommen verschiedene kleinere Schikanen des praktischen Lebens (die eingeschränkte Zugänglichkeit der Staubsauger und das Fehlen von Kühlschränken beispielsweise).

Einen etwas höheren Standard bieten die renovierten Zimmer, für die man dann aber auch in höheren Preisklassen spielt. Unterstützend kann man ein Wohngeld (CAF- siehe Link) beantragen, das von der Höhe der Mieten abhängt. Man benötigt hierzu ein französisches Konto und eine nahezu übermenschliche Geduld, da die Mühlen der zuständigen Behörde zwar langsam, aber nicht sonderlich gründlich mahlen.

Der Universitätscampus für Mediziner liegt dezentral am Hôpital Pellegrin Tripode: Hier findet die Mehrheit der Vorlesungen statt. Auch zur Einschreibung ist man dort richtig. Ansprechpartner für die Wahl der stages ist Mme Deffaux vom "bureau des stages", die sehr umgänglich und auch für Änderungen des ursprünglichen Ablaufs zugänglich ist.

 

Die Pyrenäen, genauer das "Vallée d'Ossau" - Foto: Pascal Johann

 

Lebensführung

Wie eingangs erwähnt ist es unter ERASMUS Studenten durchaus üblich, sich das Auslandssemester möglichst kursfrei zuhalten, um anderen -eher dionysischen- Aktivitäten nachgehen zu können.
Ansonsten ist es aber auch sehr bereichernd ein "normales" Alltagsleben zu führen, sich so auf die Franzosen einzulassen und die Sprache zu lernen. Für mich war dieses die bessere Variante- ohne notwendigerweise jeden Abend im Alkohol zu versinken.

 

Links

Medizinische Fakultät der Université Bordeaux

Studieren im Ausland (Uni Tübingen)

CAF: Beantragen des Wohngeldes in Frankreich

Mehr Infos zum Wohngeld

 

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