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  • 09.04.2013

Dr. Motz und der Tod des Herrn L.

Dr. Motz ist tief traurig. Einer seiner Patienten ist gestorben. Normalerweise lässt er solche Erfahrungen mit seinem Kittel in der Klinik. Doch dieses Mal ist alles anders.

Der Tod hat ihn geholt

Herr. L. ist tot. Und Dr. Motz ist traurig. Obwohl Herr L. doch einfach nur ein Patient war. Ein Patient wie jeder andere auch. Wie viele vor ihm und sicher viele nach ihm. Nicht einmal woran Herr L. genau gestorben war, wusste Dr. Motz, aber das war es nicht, was ihn so traurig machte. Es gab Metastasen, viele Metastasen, aber keinen Primärtumor. Die Metastasen fraßen Herrn L. von innen auf und verbrauchten all seine Energie, bis man ihm beim Dahinschwinden zusehen konnte.

Bei jedem anderen hätte Dr. Motz cool mit den Schultern gezuckt und darauf hingewiesen, dass der Patient starker Raucher gewesen war und es früher oder später so hatte kommen müssen. Selbst Schuld. Irgendein Tumor erwischt früher oder später jeden, nur alt genug muss man halt werden, war ein beliebter Dr. Motz Spruch.
Und Dr. Motz war auch nicht beleidigt, dass der Tod seine ärztliche Kunst besiegt hatte. Auch war er nicht wütend, dass er Herrn L. nicht besser hatte helfen können. Nein, Dr. Motz war nicht einmal mehr fähig, zynisch zu sein. Die Lage war also ernst.

Während Herr L. noch Patient gewesen war, hatten er und der Arzt oft gemeinsam über ihre gegenseitigen Bosheiten gelacht. Und plötzlich ist Herr L. kein Patient mehr, sondern ein Mensch. Ein toter Mensch.

 

Warum leidet Dr. Motz?

Liegt es daran, dass Herr L. so jung starb? Mit Mitte vierzig hätte er im besten Fall noch die Hälfte seines Lebens vor sich gehabt und - wenn er Glück gehabt hätte - viele Jahre davon sogar noch in undementem Zustand erlebt. Eigentlich hat Dr. Motz ja nie Mitleid, schließlich ist er ein abgehärteter Chirurgenkerl. "Menschen leben, Menschen sterben, das ist halt so", hatte er mehr als einmal in den Raum gefaucht, wenn eine zartbesaitete Assistenzärztin voller sensibler Psycho-Empathie einen Befund "ganz, ganz schrecklich" oder einen Verlauf "total furchtbar" gefunden hatte.

Dr. Motz hatte es da immer mehr wie Platon gehalten - denn niemand weiß, was der Tod ist, ob er nicht für den Menschen das Größte ist unter den Gütern. Wahlweise hätte der abgebrühte Chirurg in dieser Hinsicht auch Hamlet vom guten Willi Shakespeare zitieren können: Der Tod ist "das unbekannte Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt".

Herr L. hatte es sicher gut. Wo auch immer er war und wie auch immer er war, selbst wenn er gar nix mehr war. Von daher ist Dr. Motz sowieso der Meinung, dass Menschen nie den Verstorbenen betrauern, sondern immer nur sich selbst. Herr L. hatte gelitten, gekämpft, hatte sich aufgerappelt, war zusammengebrochen und schließlich vom Tod besiegt worden. War das nun schlecht für ihn oder eher gut?

Herr L. war einfach anders

Oder lag Dr. Motz diesmalige Betroffenheit daran, dass er Herrn L. gemocht hatte? Normalerweise viel es ihm leicht, Beruf und Privat völlig zu trennen. Patienten waren Patienten. Man hätte ihm das schönste Supermodel als Patientin in seine Sprechstunde schicken können, da er stets professionell und objektiv zu arbeiten versuchte und persönliche Sym- wie auch Antipathie seiner Meinung nach bei der Patientenversorgung ebenso wenig eine Rolle zu spielen hatte wie der Versicherungsstatus - er hätte es nicht einmal bemerkt.

Nur mit Herrn L. war es anders gewesen. Der strotze vor Intelligenz, warf mit hintergründigem Witz um sich und versprühte in kleinen Momenten dazwischen melancholische Einsamkeit. Dr. Motz mochte ihn tatsächlich. Was auch daran gelegen haben mag, dass Herr L. Dr. Motz´ neutrales Herz mit der Aussage "Langsamkeit und Dummheit - da werde ich irre," gebrochen hatte.
Ja, Herr L. war ein Seelenverwandter von Dr. Motz gewesen. Und mit ihm war auch ein Stück von Dr. Motz gegangen. Vielleicht tat es deshalb so weh.

In Gedenken an S. L.

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