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  • 03.05.2012

Dr. Motz und die Oper

Vielbeschäftigte Mediziner müssen rare freie Wochenenden nutzen, um die Entwicklung zum Fachidioten zu verhindern. Besonders geeignet, den Horizont über die Krankenhauseinfahrt hinaus zu erweitern, ist ein Opernbesuch.

Don Carlo

Trotz kurzfristiger Dienstplanung hat sich Dr. Motz noch eine Opernkarte für "Don Carlo" gekauft. Im Gegensatz zu einem anderen Opernbesucher ist Dr. Motz sogar pünktlich. Wenn er das bei der Chefvisite bloß auch mal schaffen würde! Dieser andere Opernbesucher huscht kurz nach dem Schließen der Türen noch gehetzt auf seinen Platz. Beim entschuldigenden in die Gegend nicken erkennt Dr. Motz Blutspritzer auf der Brille des Verspäteten. Aha, bestimmt ein chirurgischer Kollege im Hintergrunddienst!

Don Carlo auf You Tube

Schlechte Sicht

Kaum ist Dr. Motz glücklich in seinen Sitz geplumpst - letzte Reihe Parkett, Seite - bekommt er fast einen agoraphoben Anfall. Der Saal ist riesig und seine Myopie ausgeprägt. Nur mit Mühe kann er die angezeigten Übertitel entziffern. Gott sei Dank hat er als erfahrener Operngänger sein Fernglas dabei. Leider ist sein rechtes Auge weniger myop als das linke und sein Astigmatismus überfordert Okular und Objektiv erst recht. Dr. Motz kneift daher abwechselnd je ein Auge zusammen.

Wegen seiner Sehbehinderung ist er weder Handchirurg noch Mikrobiologe geworden, denn Lupenbrillen und Mikroskope sind mit seinem Sehvermögen einfach nicht kompatibel. Weil das mit dem Fernglas nicht so recht klappt, beschließt er, sich lieber auf Hören zu konzentrieren. Denn als Sinnesphysiologe ist ihm das neurobiologische Phänomen bekannt, dass bei konzentriertem Hören mit geschlossenen Augen die Amygdalaaktivität steigt und die emotionale Verbindung zur Musik gesteigert wird.Kein Wunder also, dass Dr.Motz bei Don Carlos Männerfreundschafts-Duett mit Marquis de Posa im ersten Akt fast anfängt zu heulen. Hach, ist das schön!

 

Unangenehme Operngäste

Dr. Motz' selektive Sinneswahrnehmung wird jäh gestoppt. Er reißt die Augen auf und schnuppert nach rechts: Eindeutig C2, das da dem Atem seines Sitznachbarn entströmt. Und eindeutig Mint-Zigaretten-Odem links von ihm. Als sich in der Pause noch eine dicke alte Frau hektisch an ihm vorbeidrängelt, fügt sich noch ein Inkontinenz- Harnwegsinfekt-Fötor hinzu. Nix wie weg, denkt sich Dr. Motz und widmet sich während der Spielunterbrechung dem People-Watching von der Empore aus.

Ob es demnächst auch eine Lifestyle-Diagnose, ähnlich dem inflationären Burn-out oder ADHS, geben wird, die sich "Fashion-Victimismus" nennt. Bei einigen Bekleidungsauswahlen könnte er durchaus einen diesbezüglichen Krankenschein ausstellen!

Des Weiteren sollte Dr. Motz vielleicht das neu-entdeckte Syndrom der "anankastischen Deprivations-Handinitis" publizieren. Ähnlich wie er es schon mehrmals in der U-Bahn und an Bushaltestellen beobachtet hat, greifen isolierte Singles in der Öffentlichkeit automatisch zu ihrem Mobiltelefon, um dieses anzustarren und zu befingern. So wollen sie eine soziale Kontaktaufnahme vermeiden und ihre Einsamkeit überspielen.

Zurück im Opernsaal ärgert sich Dr. Motz, dass er die Flasche mit Codein Tropfen in seinem Arzneischrank im Bad stehen ließ. Zu gerne würde er mit dem Inhalt seinen Nachbarn überschütten, der gerade die Arie der Elisabetha zerhustet. Überhaupt, diese Nebengeräusche. Der halbe Saal scheint aus COPDlern mit akuter Flimmerepithelaktivität zu bestehen, die räuspernd knisternde Hustenbonbons auspacken. Die andere Hälfte scheinen Hypoglykämie bedrohte Diabetiker zu sein, die ebenfalls knisternd Süßigkeiten auspacken.

 

Emotionen pur

Genervt konzentriert sich Dr. Motz auf das Geschehen auf der Bühne. Und muss feststellen, dass dort alle Facetten menschlicher Emotion geboten werden: Liebe, Hass, Reue und Zorn. Vor allem die Darbietung der wütenden Eboli fasziniert ihn. Genau dieselben Gesten und Laute beobachtet er immer bei seiner Freundin, wenn er mal wieder die Zahnpastatube zerquetscht oder den Müll nicht rausgebracht hat: Je größer die feminine Empörung, desto schriller die Stimme. Bis hinauf zum hohen C!

Bei den gesanglichen Höchstleistungen der Akteure und dem Siechtum im Publikum revidiert Dr. Motz sein Vorhaben, sich als Theaterarzt zu bewerben. Vor lauter Sorge, beispielsweise eine akute Laryngitis des Solisten zwischen zwei Arien unverzüglich beheben zu müssen, könnte er ja den Abend gar nicht mehr genießen! Nein, für ein bisschen Kultur muss sein TVÖD-Gehalt eben auch so reichen. Ob er mal eine Petition beim Marburger Bund für eine tarifliche Kulturzulage einreichen soll?

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