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  • 15.09.2009

Der Vorklinik-Coach: Prüfungsangst und Burnout

"Endlich Medizin!" Die meisten Erstsemester stürzen sich begeistert in die Ausbildung zu ihrem Traumjob und landen prompt in der ... ähem ... Vorklinik. In unserer Serie "Vorklinik-Coach" geben wir dir Tipps, wie du diese Zeit am besten meisterst. In dieser Folge geht es um zwei Kummerfallen, unter denen zwar auch Kliniker leiden, die Vorkliniker aber besonders häufig betreffen: Prüfungsangst und Burn-out.

 

Gerade in der Vorklinik drohen viele
Medizinstudenten im Büchermeer zu ertrinken.
Cartoon: Thomas Koch

"Doch dann packt mich plötzlich die Angst ..."

Das Physikum steht vor der Tür. Lisa* ist gut vorbereitet, und eigentlich könnte sie der Prüfung frohgemut entgegensehen. "Ich stelle mir oft vor, wie schön es wäre, bald die Vorklinik geschafft zu haben", erzählt die Freiburger Studentin. "Doch dann packt mich plötzlich die Angst, und aus dem düsteren Hinterhalt schreit etwas: Du schaffst das ja sowieso nicht!" Dann pocht ihr das Herz bis zum Hals, und die Hände werden feucht. Die Diagnose ist klar: Lisa leidet an Prüfungsangst. Sie zeigt die typischen Symptome. Das sind zum einen physische Beeinträchtigungen wie nervöse Unruhe, Schweißausbrüche und Herzklopfen.

Daneben äußert sich Prüfungsangst auf der psychischen Ebene mit einer verengten Wahrnehmung, negativen Befürchtungen und einer depressiven Verstimmung. Unterm Strich ergibt das eine ziemliche Höllenqual: Aus Umfragen geht hervor, dass etwa 40 Prozent aller Studenten Prüfungsangst als eine große Belastung erleben, wobei Frauen eher betroffen sind als Männer. Sind sie etwa ängstlicher? Möglicherweise beteiligen sich Frauen einfach öfter an Befragungen und antworten ehrlicher.

 

Angst vor der "Benotung" des Ich

Doch vor was haben die Betroffenen eigentlich Angst? Die verblüffende Antwort: nicht vor der Prüfung an sich. Es ist der Blick von außen, den sie auf sich fühlen. "Prüfungsangst gehört zu den sozialen Phobien", erklärt Hans-Werner Rückert, Psychologe und Psychoanalytiker sowie Leiter der Studienberatung der Freien Uni Berlin. "Es ist vor allem eine Angst vor der Bewertung durch andere." Prüfungsängstliche begehen den Fehler, dass sie die Benotung ihrer Leistung mit der "Benotung" ihrer Person gleichsetzen. Dadurch beeinflusst die Prüfung massiv ihr Selbstwertgefühl.

So ähnlich empfindet es Lisa. Sie hat besonders Angst davor, anderen erzählen zu müssen, dass es nicht geklappt hat, und so den "Versager-Stempel" aufgedrückt zu bekommen. Hans-Werner Rückert sieht die Wurzeln der Prüfungsangst schon in der Kindheit. "Mit drei Jahren kommen die ersten Leistungsanforderungen im Rahmen der Sauberkeitserziehung auf uns zu. Wenn das Umfeld dabei hart, fordernd und uneinfühlsam vorgeht, kann daraus die Angst vor Leistungssituationen entstehen", erläutert der Experte.

Bei Paula*, Studentin im 6. Semester an der Uni Heidelberg, hat sich die Prüfungsangst erstmals in der 11. Klasse manifestiert. "Als mir klar wurde, dass es um etwas geht, habe ich immer höhere Ansprüche an mich gestellt", erinnert sie sich. Mittlerweile hat Paula gelernt, mit ihrer Angst umzugehen. Sie wandelt sie in Motivation um, die sie dazu antreibt, besonders früh mit dem Lernen anzufangen.

 

Gegenmittel: Notausgang schaffen

Der Ansatz von Paula ist im Prinzip richtig. "Ein wirksames Mittel gegen Prüfungsangst ist natürlich eine gute Vorbereitung", meint Prof. Leutner, Lehr-Lernpsychologe an der Universität Duisburg-Essen. "Am besten eignet man sich den Lehrstoff über einen langen Zeitraum und in kleinen Häppchen schon während des Semesters an. Während der Prüfungsvorbereitungsphase kann man dann stressfrei den Lehrstoff durchgehen." Wer sich so vorbereitet, kann stetig eine hohe "Selbstwirksamkeitserwartung" aufbauen. Sprich: Er ist so selbstsicher, dass die Angst unterdrückt wird. Auch wichtig: Damit in der Prüfung die mühsam erworbene Selbstsicherheit nicht wieder flöten geht, sollte man erst die Aufgaben lösen, von denen man die Antworten auf den ersten Blick weiß.

Doch wie erkennt man, ob man genug gelernt hat? "Die Erfahrung zeigt, dass viele Lernende ihren eigenen Lernstand nicht angemessen einschätzen können", erklärt Prof. Leutner. Viele quält die völlig unbegründete Angst, fast nichts zu wissen - obwohl sie schon seit Monaten am Schreibtisch büffeln. Eine Lösung dieses Problems sind Lerngruppen. Diese bieten neben dem Lerneffekt den unschätzbaren Vorteil, dass man einen Eindruck davon erhält, wie gut man den Lernstoff schon beherrscht.

Wenn man erkennt, dass man mehr weiß, als man angenommen hat, kann das die Prüfungsangst erheblich reduzieren. Stellt man fest, dass man noch nicht gut genug ist, sollte man nicht in Angst erstarren, sondern diese Tatsache als Ansporn verstehen und das nacharbeiten, was man noch nicht kann.

Völliger Unsinn ist die Taktik, sich die Prüfung in den schwärzesten Farben auszumalen, mit dem Hintergedanken, dass dann der Ernstfall ja nur besser werden kann. Wer so vorgeht, lähmt sich selbst und kann sich nicht mehr gut vorbereiten. Stattdessen sollte man es so wie Paula halten: "Ich hab mir immer gesagt, dass ich, wenn es nicht klappt, eben etwas anderes mache." Dieser kleine Trick ist äußerst effektiv gegen Prüfungsangst: Man empfindet das Nahen der Prüfung zwar vielleicht immer noch als große schwarze Wand, die auf einen zukommt - aber zumindest befindet sich unten links in dieser Wand dann eine kleine Tür, auf der "Notausgang" steht. Das reduziert die Angst, und man hat mehr kognitive Ressourcen, um sich auf den Lernstoff zu konzentrieren.

 

Echte und falsche Helfer

Auf der anderen Seite gibt es Studenten, bei denen die Prüfungsangst so stark ist, dass sie sich aus eigener Kraft nicht davon befreien können. Sie lernen über Monate acht Stunden täglich und leiden trotzdem Höllenqualen. "Wenn jemand über die Maßen besorgt ist und die Fantasie entwickelt, ohne Hilfe die Prüfung nicht machen zu können und sie vielleicht sogar umgehen will, sollte er sich umgehend an die psychologischen Beratungsstellen der Unis wenden", rät Hans-Werner Rückert.

Dabei reicht es nicht, erst auf den letzten Drücker zu kommen. Für eine gute mentale Vorbereitung sollte man mindestens ein halbes Jahr vor der Prüfung in die Beratung kommen. Wer nur drei Tage vorher erscheint, kann meist nur noch Nothilfe mit Tipps zur progressiven Muskelentspannung erhalten. Diese lange Vorlaufzeit ist wichtig, damit sich der Betroffene ausführlich damit auseinandersetzen kann, was seine Befürchtungen sind und welche Ängste in Bezug auf das Körpererleben bestehen.

Erst wenn die Ängste auf diese Weise "inventarisiert" wurden, kann man gegen sie vorgehen. "Wir prüfen diese ,Schreckensdrehbücher' auf ihren Realitätsgehalt und ändern sie so Schritt für Schritt", erklärt Rückert. "Es kann auch helfen, sich eine Prüfung anzuschauen, was möglich ist, wenn der Geprüfte einverstanden ist. Dann merkt der Prüflingsängstliche, dass dies keine Szene aus einer Folterkammer ist, sondern ein Gespräch unter Erwachsenen."

Um körperliche Symptome zu verringern, empfehlen sich Entspannungsverfahren wie das autogene Training. Viele Studenten konsumieren exzessiv Schokolade und Gummibärchen oder treiben Sport, so wie Paula, die einmal in der Woche zum Yoga geht. Vorsicht ist bei Medikamenten und Alkohol angesagt. Hans-Werner Rückert kennt traurige Fälle, in denen Prüflinge fast einschliefen oder dem Prüfer eine Bierfahne unangenehm aufgefallen ist.

Auch Lisa rät eher ab. Wie viele andere Kommilitonen hat sie Benzodiazepine ausprobiert, aber die vermittelten ihr die Illusion, dass sich eine Glasscheibe zwischen ihr und der Welt aufbauen würde. Zudem kam ihr das Zeitgefühl abhanden. "Und bei dem homöopathischen Zeugs habe ich keine Wirkung bemerkt, außer dass die Globuli schön süß und die Bachblüten in alkoholischer Lösung waren. Ein Glas Likör hätte wohl die gleiche Wirkung gehabt!" Hans-Werner Rückert ist davon überzeugt, dass nur eine psychologische Beratung wirklich hilfreich ist: "Neues Selbstbewusstsein kann man nur schöpfen, wenn man Ängste aus eigener Kraft in den Griff bekommt."

 

Wenn alle Reserven verbraucht sind

Das Gute an der Prüfungsangst: Ist die Prüfung vorbei, ist auch die Angst weg. Eine andere psychische Belastungssituation, die viele Prüfungskandidaten quält, bietet diesen Vorteil nicht: der Burn-out. Manche Medizinstudenten powern sich wegen des Leistungsdrucks, der auf ihnen lastet, so aus, dass ihre Batterien rasch komplett leer sind. Dabei geht es ihnen wie dem Hamster im Laufrad.

Der Burn-out-Experte Prof. Matthias Burisch, Psychologe an der Uni Hamburg, bringt das auf die Formel: "Die Betroffenen können entweder nicht erreichen, was sie möchten, oder sie können nicht vermeiden, was sie hassen." Er hat sich viele Jahre mit diesem Thema auseinandergesetzt. "Der Burn-out ist ein sehr schwer abgrenzbares Beschwerdebild", erklärt Prof. Burisch. "Es gibt mehr als 130 Symptome und keins davon ist spezifisch."

Vier Kernsymptome sind besonders häufig. Das wichtigste ist die emotionale Erschöpfung. Dann gibt es noch die Leistungsunzufriedenheit, die Depersonalisierung und den großen Widerwillen, an die Uni zu gehen (Kasten). Viele Betroffene haben körperliche Probleme wie Hörstürze oder Magen-Darm-Erkrankungen. Dauert die belastende Situation an, kann es zu Suizidgedanken kommen. Verlässliche Zahlen über die Häufigkeit des "Ausgebranntseins" gibt es nicht. Burn-out ist keine zugelassene Diagnose, behandelt werden Ausweichdiagnosen wie Depressionen oder Anpassungsstörungen. Die belastbarsten Zahlen stammen aus einer Umfrage der GfK**, bei der 10,5 % der Befragten angaben, sich ausgebrannt zu fühlen. Doch diese Zahl könnte die Realität nur unzureichend abbilden.

Viele Betroffene merken gar nicht, wie es um sie steht, oder sie verdrängen ihre bedrohliche Situation. Die meisten holen sich erst dann Hilfe, wenn es zu gravierenden körperlichen Symptomen kommt oder der Partner sie dazu treibt. "Besonders häufig sind das Menschen, die sehr hohe Ansprüche an sich haben und alles perfekt machen wollen, aber nicht können, weil ihre Kraft nicht mehr ausreicht", erzählt Prof. Burisch.

Vorkliniker sind besonders gefährdet, da ihnen beim Lernen oft Maß und Ziel fehlen und sie dazu neigen, sich gleich zu Beginn unglaublich intensiv reinzuhängen. "Diesen Arbeitstieren kann man gut helfen, indem man die ,Antreiber' entschärft und ihnen sagt, dass sie nicht immer perfekt und stark sein müssen", meint Prof. Burisch.

Wenn der Burn-out weit fortgeschritten ist, hilft oft nur noch ein Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Die Patienten werden so aus dem Geschehen herausgenommen, können zur Ruhe kommen und über ihre Probleme nachdenken. Zur Behandlung des Burn-out eignet sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie. Sie kann falsches Verhalten und belastende Denkmuster aufdecken und abtrainieren.

Am besten ist es natürlich, man lässt es erst gar nicht so weit kommen. Es gibt viel, was man vorbeugend tun kann: "Man braucht eine gewisse Selbstaufmerksamkeit", erklärt Prof. Burisch. "Sehr empfehlenswert ist es, Tagebuch zu schreiben und den Tag Revue passieren zu lassen. Fokussieren Sie sich auf das, was gut gelaufen ist!" So kann man erkennen, ob man zu sehr über ein Thema grübelt und es nicht loslassen kann. Bemerkt man dabei, dass man Probleme hat, die man nicht lösen kann, sollte man früh Hilfe holen. Und wenn man im Studium merkt, dass man überhaupt nicht vorankommt und völlig überfordert ist? "Wenn das objektiv so ist, wäre die vernünftigste Lösung, das Studium abzubrechen", rät Prof. Burisch. "Man muss auch mal loslassen können!"

* Namen von der Redaktion geändert

** GfK: Gesellschaft für Konsumforschung


Dieser erste Artikel unserer neuen Serie "Vorklinik-Coach" ist gleichzeitig der Abschluss unserer Reihe "Lern-Tipps", in der unter anderem folgende Artikel erschienen sind:

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