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  • Yvonne Kollrack
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  • 20.10.2004

Assistenzarztausbildung - Hinter den Kulissen

Dass zunehmende Verwaltungstätigkeiten zu einer Flucht junger Mediziner in andere Bereiche beitragen, ist bekannt. Hier eine Einschätzung, wie sehr Kostenzwänge und Abrechnungsfragen den Arbeitsalltag junger Ärzte bestimmen.

Verschlüsselung und Dokumentation nehmen einen Großteil der Arbeitszeit in Anspruch und kürzen die Zeit für ursprüngliche medizinisch-ärztliche Tätigkeiten. Aufenthaltsdauer und Therapie werden von monetären Gesichtspunkten aus gesehen.

So ist der wichtigste anamnestisch zu erhebende Faktor bei der Aufnahme eines Patienten mittlerweile nicht mehr die Symptomatik, sondern der Versicherungsstatus. Kurz die Frage: privat oder nicht privat? Wenn der Ambulanzarzt bezüglich der Behandlung eines Problemfalls seinen übergeordneten Diensthabenden anruft, kann es schon vorkommen, dass er nach wenigen beschreibenden Sätzen der Lage unterbrochen wird. Die Gegenfrage des Hintergrundes gilt dem Versicherungsstatus des Patienten. Danach richte sich nämlich die weitere Behandlung! Der ratsuchende junge Arzt darf vernehmen, dass er einen privatversicherten Patienten stationär aufnehmen und ausführlicher weiterer Diagnostik zuführen solle. Den Nicht-Privaten solle er nach medizinisch notwendigen Kriterien behandeln. Im übrigen sei bei letzterem zu tun, was der Assistent für richtig hielte.

Der Assistent als Revoluzzer

Der kluge (allerdings renitente und so wird er es in der Hierarchie nie weit bringen) Assistent starrt nach Beendigung des hilfreichen Gespräches das Telefon ungläubig an und versorgt dann seinen Kassenpatienten in der ihm denkbar bestmöglichen medizinisch sinnvollen Weise. Trifft er den Patienten dann Tage später strahlend mit erhobenem Daumen auf dem Gang, kann er sich als Revoluzzer fühlen, denn er hat dem System zuwider gehandelt. Leider kann es sein, dass er durch ungerechtfertigte Ausgaben seinen Arbeitsplatz gefährdet hat.

Umgekehrt kann es sein, dass bei diesem Telefongespräch die Order ausgegeben wird, den Privatpatienten nicht nur unbedingt stationär da zu behalten, sondern zu röntgen, eine Kontrastmitteluntersuchung durchzuführen, ein CT- zu fahren und zur Sicherheit den Kollegen Prof. Radio anzurufen, um einen Termin zur Szintigraphie zu vereinbaren. Schiebt der Assistent aus Sorge um die Strahlenbelastung des Patienten aber diese Untersuchungen auf den Folgetag und wird der Patient auf wunderbare Weise bis dahin auch so dank artgerechter Behandlung gesund und entlassfähig, muss der Assistent lernen, dass die Strahlenbelastung nötig ist, damit auch die anderen Abteilungen des Hauses am Versicherungsstatus verdienen.

Privater versus Normalkassler

Einem Privatpatienten ist jeder Wunsch zu erfüllen, damit er sich wohl fühlt, möglichst lange bleibt und möglichst viel Geld einbringt. Da wird auch mal ein Vierbettzimmer gesperrt. 3 Normalkassler werden somit entweder gar nicht erst aufgenommen oder Hals über Kopf entlassen. Der Stationsarzt darf in diesen Fällen einem schmerzgeplagten Arthrotiker erklären, dass der nächstmögliche OP-Termin erst in einem halben Jahr frei ist oder der allein lebenden, gehbehinderten älteren Dame mit Wundheilungsstörung, dass sie nun täglich in die Ambulanz kommen müsse oder zum Hausarzt gehen könnte. Wird ein Op-Termin aber zum dritten Mal verschoben, weil ein Privatpatient akut Vorrang hat, fällt es dem Assistenzarzt bisweilen schwer, der Drohung des verschobenen Patienten, er ginge dann halt in ein anderes Haus, nicht zuzustimmen.

Wenn ein Nicht-Privatpatient neben einem Privatpatienten in einem Doppelzimmer liegt, lässt sich gern folgendes beobachten: Den Privaten besucht täglich nicht nur der Chefarzt, sondern auch die sogenannte "Hoteldame". Diese eiert mit einem Servierwägelchen durch die Zimmer und bietet den Patienten die neueste Tageszeitung, eine Illustrierte und frisches Obst an. Allerdings nur dem Privaten, der Bettnachbar wird in obiger Konstellation ignoriert. Der so Vernachlässigte schaut kläglich mit spitzer Nase unter der Bettdecke hervor und wirft dem zufällig gerade visitierenden Stationsarzt bettelnde Blicke zu.

Aber auch vor Privatpatienten mach die Bürokratie nicht halt. Kurz nach der Aufnahmeentscheidung, die bei einem Privatversicherten ja relativ leicht zu fallen hat, ist es die wichtigste nächste ärztliche Aufgabe, den Patienten über seinen Wahlleistungsvertrag aufzuklären und unterschreiben zu lassen. Danach erst können dann so triviale Dinge folgen wie Untersuchung oder Op-Aufklärung! Ob bei einem privatversicherten Polytrauma zuerst ein privates Bett zu suchen ist oder zunächst die Angehörigen zum Unterschreiben des Wahleistungsvertrages zu bewegen sind, konnte noch kein Chefarzt zufriedenstellend beantworten.

Teure Ausbildung wird vermieden

Doch dem jungen Arzt werden nicht nur im Alltag Steine in den Weg gelegt. In Stellengesuchen fahnden pfiffige Verwaltungsleiter nach Fachärzten oder Kollegen am Ende der Facharztweiterbildung, damit nicht in Ausbildung investiert werden muss. Ausbildung ist teuer und somit für die Krankenhäuser zu vermeiden. Auf einem Kongress dozierte ein Chefarzt beiläufig inmitten seines Vortrages, dass er nur noch einen seiner Assistenten zum Facharzt ausbilde. Die anderen könnten Assistenten auf Lebenszeit bleiben. Der glückliche Auserwählte, klar, wird derjenige sein, der keine Widerworte und erst recht keinen Freizeitanspruch kennt und dessen einziges Hobby wissenschaftliche Forschung ist. Die anwesenden Chefarztkollegen waren von dem Vortrag begeistert.

Raus aus dem OP - ran an den Patientensimulator

Von einem anderen Chefarzt wurde anschließend ein Plädoyer für die Ausbildung am Patientensimulator gehalten. Ausbildung sei zu kostenintensiv und der Patient habe einen Anspruch nur auf beste Qualität. Ein Pilot übe auch erst am Flugsimulator, bevor er vollbesetzte Jumbos fliege. Der Vergleich hinkt, denn ein Patient ist keine Maschine und eine Studie hat gezeigt, dass von Weiterbildungsassistenten unter fachärztlicher Anleitung operierte Patienten weniger Komplikationen entwickeln, als die der Chefärzte.

Zwei hoffnungsvolle Zukunftsmediziner (welche sicher zu der Spezies der oben erwähnten auserwählten Facharztkandidaten gehören werden) nutzen nichtsdestotrotz diese Überlegungen in ihrer Dissertationsarbeit. Sie bewiesen, dass ambitionierte PC-Spieler und ausgewiesene Medizin-Laien im Laparoskopiesimulator besser abschnitten als Weiterbildungsassistenten. Schlussfolgerung ihrer Arbeit: Assistenzärzte 'raus aus dem OP, 'ran an den PC!

Und da wären wir wieder bei den alternativen Berufsfeldern!

 

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