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  • Ines Elsenhans
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  • 07.01.2014

Das Schädel-Hirn-Trauma – wichtige Fakten zu Pathogenese und Therapie

Im Fall Michael Schumacher werden die Fans von echten sowie selbsternannten „Experten“ auf dem aktuellen Stand gehalten. Doch leider werden dabei medizinische Fakten über das Schädel-Hirn-Trauma häufig verkürzt oder unkorrekt erklärt. Damit ihr fundiert mitreden könnt, erfahrt ihr hier, wie Kopfverletzungen eingeteilt werden, welche Schäden dabei im und am Gehirn entstehen können und welche Behandlung notwendig werden kann.

 

Schädel-Hirn-Trauma Röntgenbild Foto: Knauth et al, Radiologie up2date 2011 (3): 231-246

Verschiedene Schädel-Hirn-Traumata im Röntgenbild Foto: Knauth et al, Radiologie up2date 2011 (3): 231-246

Wie wird ein Schädel-Hirn-Trauma definiert?

Jede Verletzung des knöchernen Schädels oder des Gehirns, die durch eine von außen einwirkende mechanische Kraft verursacht wird, zählt als Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Je nachdem, ob die Dura dabei verletzt und eröffnet wird, handelt es sich um ein offenes bzw. geschlossenes SHT.

Es gibt verschiedene Einteilungen in drei Schweregrade – nach der Glasgow-Coma-Skala, prognostisch nach Tönnis/Loew und histomorphologisch (Bruns/ v.Bergmann).

SHT 1°/ leicht: GCS 13 – 15, Reversibilität neurologischer Störungen bis zum 4. Tag nach Trauma, keine strukturellen Schäden (Commotio cerebri)

SHT 2°/ mittel: GCS 9-12, im Lauf von 3 Wochen komplett reversibel, histologisch mikroskopische Schädigungen (Contusio cerebri)

SHT 3°/ schwer: GCS 3-8, persistierende neurologische Ausfälle > 3 Wochen, makroskopische Schäden (Compressio cerebri)

 

Welche Krankheitsbilder sind die Folge?

Als Folge der auf den Kopf wirkenden Kraft kommt es zur direkten (primären) Hirnschädigung. Sie kann durch das Tragen eines Helmes gemindert werden. Der primäre Schaden kann fokal begrenzt oder diffus sein. Beispiele sind Kalotten- und Schädelbasis-Frakturen und intrakranielle Blutungen. Zu letzteren gehören unter anderem das Epidurale Hämatom, das Subdurale Hämatom, die Subarachnoidalblutung und Kontusionsblutungen.

Durch einen ansteigenden intrazerebralen Druck mit konsekutiver Minderdurchblutung und Sauerstoffmangel des Gehirns, kann es zu sekundären Hirnschäden zum Beispiel in Form eines Hirnödems kommen.

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Wie entsteht eine epidurale Blutung und wie wird ein epidurales Hämatom entlastet?

Bei einer Verletzung der Arteria meningea media oder bei einer Blutung aus der frakturierten Kalotte nach innen, sammelt sich Blut zwischen Dura und innerer Schädeldecke. Durch Anhaften der Dura an den Fissuren, zeigt sich im CT ein typisches Einwölben nach innen (konvex). Klinisch ist in 1/3 der Fälle ein zweiphasiger Verlauf zu beobachten. Nach initialer Bewusstlosigkeit können die Patienten beschwerdearm sein, bis die zunehmende Raumforderung durch die Blutung Hirndruck- oder Einklemmungssymptome verursachen. Daher muss jeder ambulant verbleibende SHT-Patient über eine sekundäre Verschlechterung und sofortige Wiedervorstellung aufgeklärt werden.

 

Epiduralhämatom Foto: Schädel-Hirn-Trauma - Foto: Praxis der Unfallchirurgie, Mutschler, 2. Auflage 2003, S.211, Abb, 6.21

Epiduralhämatom Foto: Schädel-Hirn-Trauma - Foto: Praxis der Unfallchirurgie, Mutschler, 2. Auflage 2003, S.211, Abb, 6.21

 

Das epidurale Hämatom mit Raumforderung oder rascher Ausdehnung muss notfallmäßig entlastet werden. Dazu erfolgt die Anlage von Bohrlöchern im Kalottenareal über der Blutung. Hierüber oder durch Schnittverbindung der Bohrlöcher und Entdeckelung des Schädels, kann das Hämatom abgesaugt und entlastet werden. Eine Trepanation muss und kann in jedem Krankenhaus als Notfalleingriff durchgeführt werden.  

 

Entlastung eines Epiduralhämatoms Foto: Praxis der Unfallchirurgie, Mutschler, 2. Auflage 2003, S.212, Abb, 6.22

Entlastung eines Epiduralhämatoms Foto: Praxis der Unfallchirurgie, Mutschler, 2. Auflage 2003, S.212, Abb, 6.22

 

Warum wird der Patient in ein „künstliches Koma“ versetzt und welche Medikamente werden verabreicht?

Generell müssen Patienten mit einem GCS < 8 zur Sicherung der Atemwege und Stabilisierung des Kreislaufes intubiert, beatmet und intensivmedizinisch überwacht werden. Unruhe, Schmerzen und Angst führen zum Anstieg des Blutdrucks, Tachykardie und vegetativen Stressreaktionen und erhöhen somit sekundär den ICP.

Es handelt sich hierbei um eine übliche Narkose. Bei der Auswahl der Narkotika werden solche bevorzugt, die den ICP senken, den zentralen Sauerstoffverbrauch mindern und je nach Kreislaufsituation den RR senken (Propofol, Barbiturate) oder stabil (Etomidate) halten. Bei Ketanest steht die neuroprotektive Wirkung gegen die Erhöhung des ICP in Diskussion. Zusätzliche Basismaßnahmen sind die leichte Oberkörperhochlagerung, die Oxygenierung und Kontrolle des pCO2 sowie des syst. Blutdruckes zwischen 100 und 160 sowie die Flüssigkeits- und Elektrolytkontrolle.

 

Welche anderen Maßnahmen werden eingesetzt und wie können sie den ICP senken?

Milde Hyperventilation: Bei vermehrter Abatmung von CO2 führt die Hypokapnie zu einer Vasokonstriktion mit Verminderung des zerebralen Blutflusses und sekundär des ICP. Diese Reaktion ist zeitlich begrenzt (24h). Daher sollte eine forcierte Hyperventilation (PaCO2 <30) der Notfallsituation einer akuten Hirndruckkrise vorbehalten werden.

Mannitol: Es wirkt osmotherapeutisch auf den ICP durch Druckgefälle zwischen Hirngewebe und Plasma und steigert zudem den Cardiac output. Eine Serumosmolarität >320 mmol/l sollte nicht überschritten werden.

Glukokortikoide: Glukokortikoide reduzieren fokale Ödeme bei entzündlichen Prozessen sehr gut, allerdings haben neue Studien eine Verschlechterung des Outcomes beim SHT 3° nach hochdosierter Kortikoidgabe über 48 Stunden gezeigt, sodass Prednisolon zur reinen ICP Therapie nicht mehr empfohlen wird.

Ventrikeldrainage: Liegt der Druck im Hirngewebe höher als im Liquorraum erfolgt eine Drainage entlang des Druckgefälles und eine kontinuierliche Ventrikeldrainage kann sinnvoll sein. Dies kann gleichzeitig über eine einliegende ICP Messsonde erfolgen. In der Diskussion stehen weiterhin Trispuffer, Lazeroide, NMDA-Antagonisten und Kalziumantagonisten.

 

Warum wird eine Hypothermie erzeugt?

Eine milde Hypothermie auf nicht unter 32° wirkte sich in Studien durch Reduktion des Metabolismus und O2-Verbauchs sowie Verminderung der Ausschüttung exzitatorischer Aminosäuren positiv auf den ICP aus. Nebenwirkungen können Gerinnungsstörungen, erhöhte Infektinzidenz und Arrhythmien sein.

In unserem Via medici-Podcast beantwortet Privatdozent Dr. Fritz die wichtigsten Fragen zur therapeutischen Hypothermie.

Hier geht's zum Podcast

 

Wie wird die Prognose eingeschätzt?

Ob und welche residualen Einschränkungen bleiben, kann erst im Verlauf beurteilt werden. Entscheidend sind sowohl die Schwere des primären Schadens als auch die Vermeidung sekundärer Schäden.

Der Skifahrer Daniel Albrecht, der beim Abfahrtsrennen auf der Streif 2009 ein schweres SHT erlitt, schaffte den Weg zurück in einen normalen Alltag. Doch den Versuch in den Spitzensport zurückzukehren musste er abbrechen. Der SRF hat über ihn eine interessante Dokumentation gedreht: Daniel Albrecht: „Der lange Weg zurück“

Beim SHT 3° besteht im ersten Jahr ein Risiko posttraumatischer epileptischer Anfälle von bis zu 7,5%. Auch psychische Veränderungen sind möglich.  

 

Via medici online wünscht Michael Schumacher eine rasche und vollständige Genesung von seinem Schädel-Hirn-Trauma! 

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