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  • 06.03.2018

Plötzlich Patient - Blog 14

Vergangene Woche hatte ich einen der wichtigsten Arzttermine in meiner inzwischen fast 5-jährigen Krankheitsgeschichte. Über die Zeit war ich bei unzähligen Ärzten der verschiedensten Fachrichtungen gewesen, aber nach wie vor ist mein Hauptproblem das Herz. Ausgerechnet die Kardiologen jedoch konnten mir schon seit langem nicht mehr helfen, was beiderseits für Frustration sorgte. Seit der Implantation einer SCS- Sonde Anfang 2016 waren sämtliche therapeutischen Optionen ausgeschöpft, und dennoch hatte ich nun wieder massive Beschwerden.
Auch wenn der Spezialist letzten Montag kein Ass aus dem Ärmel schütteln konnte, so konnte er doch etwas, das für mich von noch größerer Bedeutung war: Er konnte ein für allemal dafür sorgen, dass die Behauptung „das ist doch alles psychosomatisch“ vom Tisch war.

Um wirklich zu verstehen, wie wichtig dieser Termin für mich war, muss man wissen was sich nach dem zweiten Klinikaufenthalt im Januar 2014 in meiner Patientenhistorie getan hat. Deshalb werde ich in den nächsten Blogs wieder einen Zeitsprung machen, um den steinigen Weg dieser Diagnosefindung zu beschreiben. Zunächst reicht es zu wissen, dass in all den Jahren immer wieder das Schlagwort „psychosomatisch“ gefallen ist – von Ärzten, die ich zuvor noch nie gesehen hatte, aber auch von mir bekannten Kollegen, die sich einfach nicht mehr zu helfen wussten. Letztlich war es immer ein Zeichen von Hilflosigkeit, und ich kann es den Ärzten nicht verübeln. Was sollte man schon anderes sagen, wenn die Untersuchungen meistens negativ waren? Dass trotzdem immer wieder neue Ideen verfolgt, neue Thesen aufgestellt, und neue Untersuchungen gemacht wurden, verdanke ich meinen Kollegen, die mich weiterhin nicht aufgeben wollten; aber auch meiner Hartnäckigkeit. Was blieb mir auch anderes übrig? Ich bin durch die Erkrankung immer wieder so stark in meinem Alltag eingeschränkt, dass ich mich einfach nicht davor drücken kann.

Als ich im Januar 2016 von den Kardiologen als unlösbarer Fall deklariert worden war, blieb nur die Flucht nach vorn, und ich ließ mir gegen den ausdrücklichen Rat aller Kollegen aus der Kardiologie eine SCS- Sonde implantieren, die meine Schmerzen und die Angina Pectoris lindern sollte. Im Nachhinein eine absolut richtige Entscheidung, die mir damals aber wahnsinnig schwergefallen ist. Wieder stand im Raum, dass die Beschwerden psychogen waren, und ich ließ mich zunächst dazu hinreißen, das nun auch zu glauben. Ich las jede Literatur, die ich zum Thema „mikrovaskuläre Angina pectoris“ finden konnte – um zu bestätigen, dass ich in die Psychosomatik gehörte. Also eigentlich, um meine eigene Theorie der Kleinstgefäßerkrankung zu widerlegen. Mit jedem Paper schwand jedoch meine Sicherheit, denn ich fand mich und meine Beschwerden darin wieder.
Am Ende war ich mir sicher: das ist meine Diagnose. Ich leide an einer mikrovaskulären Angina pectoris.
Ich beschloss: wenn ich dieser Operation zustimmen sollte, würde ich danach einen Spezialisten suchen, der sich damit auskannte. Und wenn ich dafür in die USA fliegen musste. Ich brauchte die Zustimmung von jemandem, der schon andere Fälle wie meinen gesehen hatte.

So weit musste ich am Ende gar nicht fahren. In Stuttgart hatte ich genau den Richtigen für mein Problem gefunden. Zehn Monate später hatte ich einen Termin in seiner Spezialambulanz, um über meinen Fall zu sprechen. Ich schilderte meine Beschwerden und meine Vermutung, und stoß zum ersten Mal auf ein zustimmendes Nicken. Hier hatten sie tagtäglich mit Patienten zu tun, die unter schweren Angina- Pectoris- Anfällen litten, die koronarangiographisch kein Korrelat boten. Und in meinem Fall schien die Diagnose absolut zutreffend. Zum ersten Mal sprach ich mit jemandem, der mir nicht nur glaubte, sondern auch meine Eigendiagnose uneingeschränkt unterstützte. Zum ersten Mal jedoch machte mir auch jemand klar: es ist wirklich nicht gut wie es ist. Daran musste etwas geändert werden.
Schon damals spielte der Arzt eine sehr wichtige Rolle, denn durch unser Gespräch vertraute ich meiner Einschätzung wieder. Auch wenn mich nach wie vor die meisten nicht ernst nahmen, ich wusste es besser.
Da wir jedoch nur ein Gespräch geführt hatten, stand weiter der „Beweis“ für diese These aus. Dass ich wirklich einen bräuchte, hatte ich nicht bedacht, denn meine Erkrankung zeigte sich ja auch in anderen Symptomen und es stand außer Frage, dass sie behandelt werden musste. Mit einer erfolgreichen Behandlung würde sich auch die kardiale Problematik bessern, das war klar. Nur nicht den Rheumatologen.
Ich bat den Spezialisten, mir ein „Statement“ für die ungläubigen Ärzte aus der Rheumaklinik zu verfassen. Damit ich die Diagnose „Mikrovaskuläre Angina Pectoris“ schwarz auf weiß hatte, brauchte es aber noch die Messung der koronaren Flussreserve via transthorakalem Ultraschall. War diese eingeschränkt, war der Beweis erbracht. In der Vergangenheit hätte es mehrere Gelegenheiten gegeben die Flussreserve zu bestimmen, denn ich hatte schon mehrere Herzkatheteruntersuchungen gehabt. Allerdings waren diese nie unter der Arbeitsdiagnose einer mikrovaskulären Pathologie durchgeführt worden, da man daran nicht gedacht hatte, oder sich damit nicht auskannte. Das Besondere an der Klinik in Stuttgart war, neben ihrer Expertise auf dem Gebiet der mikrovaskulären Angina pectoris, dass man dort die sog. CFR- Messung nicht- invasiv durchführen konnte, mit einem Herzultraschall. Üblicherweise braucht es dazu eine Koronarangiographie. Tatsächlich hatte ich auch nach intensivem Suchen niemanden in meiner näheren Umgebung finden können, der in der Lage war, die CFR im Ultraschall zu messen; es gibt dafür scheinbar nur wenige Experten, die wiederum eine spezielle (und teure) Software benötigen.
Deshalb war ich für diese Untersuchung letzte Woche einige Stunden nach Stuttgart gefahren, mit gemischten Gefühlen. Was würde passieren, wenn die Messung unauffällig war? Dann würde zwar noch eine Koronarangiographie mit invasiver Testung folgen, aber was, wenn die auch normal ausfiele? Ich hatte in der Vergangenheit so viele Untersuchungen gehabt, und so oft waren sie negativ ausgefallen. Mit einem schnellen, unkomplizierten Ergebnis rechnete ich schon gar nicht mehr.

In der Stuttgarter Klinik wurde ich sehr herzlich empfangen, und da ich eine weite Anreise hatte, war vieles im Vorfeld schon besprochen worden. Einige Male musste der Arzt geduldig meine Fragen per Mail beantworten, und wir klärten in einem Telefongespräch, wie er mir am besten helfen konnte. Jetzt, bei der Untersuchung, lief alles strukturiert und ruhig ab, und so wichtig dieser Termin für mich auch war, so unspektakulär war er am Ende.
Die koronare Flussreserve war eingeschränkt.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Einen Trommelwirbel? Konfetti? Einen Ausbruch von Hektik? Dass sich alles plötzlich anders anfühlte?
Nichts geschah. Der Arzt erklärte mir sehr ruhig und ausführlich, was gerade gemessen worden war. Was diese Werte bedeuteten. Und: dass er damit die Diagnose stellen konnte. Er würde einen offiziellen Arztbrief schreiben, den ich den Rheumatologen geben konnte. Eine Koronarangiographie war nicht mehr nötig, sodass ich wieder gehen durfte.
Irgendwie war ich total überrumpelt davon, dass es nun doch so schnell und einfach gegangen war. Das war alles? In der S- Bahn fielen mir dann tausend Fragen ein: Hat das nun Konsequenzen? Was bedeutet diese Diagnose? Ist das schlimm? Wie wird das werden? Da hatte ich so viel darüber gelesen, kannte die Pathophysiologie und Behandlungsansätze, aber was das für mich als Patientin bedeutete, konnte mir keine Studie beantworten.
Die entscheidende Veränderung brachte jedoch diese Untersuchung selbst. Es war ein für allemal geklärt! Niemand konnte mir mehr erzählen, dass ich in der Psychosomatik besser aufgehoben wäre. Dass ich mir das alles einbilde. Dass das nicht sein kann.
Wie wahnsinnig wichtig dieser 90- minütige Besuch bei ihm war, das ist dem Spezialisten vermutlich gar nicht klar. Nach all den Diskussionen, die ich hatte führen müssen, war ich nun durch Glück an jemanden geraten, der mich von Anfang an ernst genommen und verständnisvoll behandelt hatte. Alle Beteiligten waren engagiert und zuvorkommend und nahmen sich Zeit, sodass ich schließlich völlig überwältigt wieder nach Hause fahren konnte.

Die Diagnose selbst war sicherlich nicht erfreulich, aber nach so vielen Fehlschlägen und Entmutigungen hätte sie für mich nicht besser sein können – schließlich war sie vor allem das: eine richtige Diagnose.

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