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  • Dr. med. Oliver Knieps
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  • 14.04.2016

Therapie aktuell: Asthma

Jährlich sterben weltweit 250.000 Menschen an Asthma. Ein schlimmer Tod – denn die Betroffenen ersticken quasi an ihrer eigenen Lunge. Dabei ist die Krankheit in den meisten Fällen gut zu behandeln.

 

Seifenblasen - Foto: Benicce Fotolia

 

„Nicht so trödeln! Wir machen hier einen Waldlauf und keinen Spaziergang!“, feuert die Sportlehrerin ihre Schüler an. Leonie legt noch einen Zahn zu, doch plötzlich muss sie stark husten, ihre Augen brennen und sie bekommt kaum noch Luft. Geschwächt setzt sie sich auf einen Baumstumpf. Ihre Lehrerin bemerkt, dass etwas nicht stimmt und läuft zu ihr hin. Als sie fragt, was los sei, schnappt Leonie nur panisch nach Luft. Die entsetzte Lehrerin lässt sofort einen Krankenwagen rufen. Nur Minuten später ist dieser vor Ort.

 

Als der Notarzt hört, wie die Zehnjährige pfeift und giemt, injiziert er ihr sofort Kortison und verabreicht per Spray ein Dosieraerosol. Leonie schafft es, seinen Anordnungen zu folgen und das Aerosol tief einzuatmen. Schon kurz danach spürt sie, wie jeder Atemzug rasch weniger anstrengend wird und die Atemnot langsam abklingt. Zur weiteren Abklärung nehmen die Rettungsassistenten Leonie mit in die Klinik. Als ihre besorgten Eltern dort eintreffen, ist ihre Tochter schon wieder die Alte. Der diensthabende Arzt nickt zufrieden und erklärt der jungen Familie, was passiert ist: Leonie hatte einen Asthmaanfall.

 

Die Lunge macht dicht

 

Asthma bronchiale ist eine chronische, entzündliche Erkrankung der Atemwege. Direkt aus dem Griechischen übersetzt heißt „Asthma“ in etwa „Keuchen“ oder „Beklemmung“. Die Betroffenen bekommen schlecht Luft, weil die Bronchien auf bestimmte Reize überempfindlich reagieren. Sind diese Reize allergischer Natur, spricht man vom extrinsischen Asthma. Sind sie nichtallergisch, vom intrinsischen Asthma. Große klinische Relevanz hat diese Unterscheidung allerdings nicht, denn die beiden Formen kommen selten isoliert vor. Die meisten Patienten haben ein Mischbild. Das intrinsische Asthma wird durch Unverträglichkeiten, etwa auf Acetylsalicylsäure, Infekte oder toxische Substanzen wie Lösungsmittel, ausgelöst. Auch kalte Luft oder körperliche Anstrengung können die Ursache sein. Beim extrinsischen Asthma ver­ur­sachen Allergene die Symptomatik: In einer allergischen Sofortreaktion (Typ 1) schütten Mastzellen Mediatoren wie Histamin, Leukotriene und Prostaglandin aus. Die glatte Muskulatur der Bronchien kontrahiert sich, die Lumen verengen sich. Zudem produzieren die Drüsen in den Wänden der Bronchiolen ein zähes Sekret. Mittelfristig wandern im Rahmen einer Spätreaktion (Typ 4) per Chemotaxis auch Makrophagen und T2-Helferzellen ein, die weitere Mediatoren ausschütten. Diese aktivieren u. a. eosinophile Granulozyten, die die Bronchiolenwände mit ihren toxischen Produkten überschwemmen. Ergebnis ist eine chronische Entzündung, die langfristig zu einem strukturellen Umbau führt. Bei diesem sogenannten „Airway Remodeling“ kommt es zur Verdickung der Bronchialwände durch verstärktes Wachstum von Muskelzellen, Bindegewebe und Blutgefäßen sowie zur Zunahme der schleimbildenden Drüsenzellen mit verstärkter Schleimproduktion. Zudem reagiert das chronisch entzündete Gewebe hypersensibel auf externe Reize. Rutscht so ein Patient in einen Asthmaanfall, kann er plötzlich trotz Akuttherapie sehr rasch ein Fall für die In­tensivstation werden.  

 

Lunge auf dem Prüfstand

 

Deswegen ist eminent wichtig, dass Patienten wie Leonie richtig diagnostiziert und korrekt eingestellt werden. Das Mädchen bleibt dafür einige Tage stationär. Neben einer sorgfältigen Anamnese und körperlichen Untersuchung wird eine Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Die Ärzte bestimmen die Vitalkapazität (VK), also das Gesamtvolumen der ein- und ausgeatmeten Luft, sowie das in einer Sekunde bei forcierter Ausatmung „exspirierte“ Volumen (FEV1). Das Verhältnis dieser beiden Zahlen (FEV1/VK) ist die relative Sekundenkapazität und dient als Maß für die Obstruktion der Atemwege. Der Atemwegswiderstand und die alveoläre Überblähung sind ebenfalls wichtige Parameter und werden in der Bodyplethysmografie, einer Art erweiterten Lungenfunktion, in einer geschlossenen Kabine bestimmt.

 

Von großem Interesse ist auch der Metacholin-Test. Er dient als Nachweis der bronchialen Hyperreagibilität. Metacholin ist ein Stoff, der auch bei gesunden Patienten eine gewisse Verengung der Bronchien auslösen kann. Für die Durchführung werden fünf verschiedene Konzentrationen des Metacholins (0,0625 mg/ml bis 16 mg/ml) hergestellt und über einen Vernebler verabreicht. Zuerst wird eine Spirometrie ohne Metacholin durchgeführt, dann erfolgt diese nochmals jeweils 90 Sekunden nach jeder Steigerungsstufe. Zum Abschluss wird in der Regel das β2-Sympathomimetikum Salbutamol appliziert, um die Obstruktion wieder zu beseitigen. Der Test gilt als positiv, wenn der FEV1-Wert von Stufe zu Stufe um jeweils 15% ansteigt.

 

Leonie muss noch weitere Diagnostik über sich ergehen lassen: Beim Prick-Hauttest wird jeweils ein Tropfen einer genormten Allergenlösung auf die Innenseite des Arms aufgebracht und diese dann mit einer Lanzette leicht angestochen. Nach einer Viertelstunde können Hautreaktionen wie Rötungen abgelesen und somit das Allergen identifiziert werden. Leonie reagiert stark auf Birkenpollen, die sie offenbar beim Waldlauf eingeatmet haben muss. Fasst man die Befunde zusammen, handelt es sich bei ihr um ein allergisches Asthma Grad I nach WHO-Stufenklassifikation.  

 

Therapie: Controller & Reliever

 

Leonies Eltern sind nach dem Gespräch mit dem betreuenden Arzt erleichtert, dass keine schweren Erkrankungen Ursache für die Beschwerden sind. Dennoch macht der Arzt deutlich, dass ein Asthma bronchiale eine ernstzunehmende Diagnose ist, denn ein akuter Anfall kann in einem Status asthmaticus münden. Dabei kommt es zu einer akuten, massiven Engstellung der Bronchien, die kaum oder nur durch intensivmedizinische Maß­nahmen beendet werden kann. Im schlimmsten Fall droht der Erstickungstod.

 

Um weitere Anfälle zu verhindern, wird Leonie ausführlich geschult. Sie lernt, wie sie Anfällen mit Atemübungen und einer speziellen Körperhaltung begegnen kann. Bei hoher Ozonbelastung und in der Pollenhochsaison soll sie sportliche Anstrengungen im Freien meiden. Den Kontakt mit Pollen zu verhindern ist jedoch sehr schwierig. Daher ist eine effektive Therapie wichtig, die im Notfall rasch greift – ein sogenannter „Reliever“. Das „Zauberspray“, wie die kleine Patientin es nennt, ist ein Bronchodilatator mit dem β2-Sympatho­mimetikum Salbutamol. Dieser Stoff aktiviert die β2-Rezeptoren und lässt so die verkrampfte glatte Muskulatur in den Bronchien erschlaffen. Würde sie an einem höhergradigen Asthma leiden, bräuchte sie zusätzlich einen „Controller“ – eine Substanz, die die fortschreitende Entzündungsreaktion in den Bronchien minimiert und die Umbauvorgänge in der Lunge verzögert. Oft nimmt man dafür inhalative Glukokortikosteroide (ICS). Sie reduzieren die Entzündung in den Schleimhäuten und verbessern die bronchiale Hyperreagibilität. In der Folge verbessert sich die Lungenfunktion, die Anfälle werden seltener und sind weniger schwer. Glukokortikoide können bei schweren Exazerbationen auch systemisch verabreicht werden. Ein weiterer Controller ist Theophyllin, ein altbewährter Wirkstoff, der als nichtselektiver Hemmstoff der Phosphodiesterase zu einem Anstieg des in der Zelle vorliegenden cAMP führt. Dadurch relaxiert die glatte Bronchialmuskulatur. Zusätzlich wirkt Theophyllin antagonistisch an bronchialen Adenosinrezeptoren, die unter anderem die Histaminfreisetzung triggern. Ferner wird der Wirkstoff Montelukast in der Langzeittherapie eingesetzt: Als kom­petitiver Antagonist des Cysteinyl-Leukotrien-Rezeptors unterdrückt er die Wirkung der Cysteinyl-Leukotriene in den Bronchien. Diese sind u. a. verantwortlich für die Konstriktion der Bronchien, Überproduktion von bronchialem Schleim, Proliferation bronchialer Muskelzellen sowie Anlockung von Entzündungszellen.

 

Den Rahmen für die Therapie gibt ein Stufenschema vor. Die genaue Dosierung und Applikationshäufigkeit der eingesetzten Medikamente orientiert sich dann am konkreten Fall. Bei einem akuten Asthmaanfall, etwa mit Gefahr eines drohenden Status asthmaticus, können Theophyllin, Kortison, β2-Sympatho­mimetika oder Anticholinergika (z. B. Ipra­tropriumbromid) auch intravenös appliziert werden. Zwar hat sich in Studien gezeigt, dass die systemische Gabe dieser Medikamentenklassen als Dauertherapie keinen strategischen Vorteil gegenüber der inhalativen Applikation hat. In Notfallsituationen ist die i.v.-Gabe aber sehr erfolgreich. Vor allem, weil die Patienten während eines Asthmaanfalls aufgrund der Dyspnoe das Aerosol kaum effektiv einatmen können.  

 

Neue Mittel und Wege

 

Die Forschung ergänzt diese Therapiepalette durch immer neue Ansätze. Ein vielversprechendes Beispiel ist das Immuntherapeutikum Omalizumab. Hierbei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der unter die Haut gespritzt wird. Omalizumab blockiert die bei einer allergischen Reaktion im Übermaß produzierten Immunglobuline vom Typ E. Dadurch wird die Aktivierung von Mastzellen verhindert und die allergische Entzündung signifikant unterdrückt. Omalizumab wird laut Leitlinien bei Patienten mit schwerem allergischem Asthma empfohlen, wenn durch die herkömmliche Therapie keine ausreichende Kontrolle zu erreichen ist. Weitere aktuelle Forschungsansätze zielen auf die Hemmung des Zytokins Interleukin 4, das zur Stimulation bereits aktivierter B-Zellen führt. Ohne IL-4 unterbleibt der Antikörperklassenwechsel der B-Zellen von IgG und IgM zu IgE. Eine andere Möglichkeit wäre, die Überaktivierung der T2-Helferzellen zu unterbinden, indem sie selektiv neutralisiert werden. Tierversuche hierzu sind vielversprechend.

 

Eine weitere – relativ junge – Behandlungsoption ist die spezifische Immuntherapie: Bei dieser auch als Hypo- oder Desensibilisierung bezeichneten Behandlung wird das Allergen in steigenden Dosen verabreicht. Der Patient entwickelt so eine Toleranz gegenüber dem Allergen. Die Applikation erfolgt normalerweise subkutan. Seit einigen Jahren mehren sich aber die Hinweise, dass das auch bei sublingualer Verabreichung funktionieren könnte.

 

Warum die einen Allergiker ein Asthma entwickeln und andere mit einer einfachen Rhinitis „davonkommen“, ist noch weitgehend unklar. Sicher ist, dass neben Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung auch die genetische Veranlagung eine Rolle spielt. Darum kon­zentrieren sich einige Forscher darauf, herauszufinden, wie man die Krankheit mit einer Gentherapie behandeln könnte. Mit automatisierten Analysemethoden untersuchen sie das Erbgut nach Veränderungen, die mit einem gesteigerten Asthmarisiko assoziiert sind. Dabei arbeiten die Forscher auch gegen die Zeit, denn Asthma ist weltweit auf dem Vormarsch. Schon jetzt gibt es weltweit 300 Millionen Erkrankte. Hauptgrund ist vermutlich, dass weltweit immer mehr Menschen in großen Städten wohnen. Darüber, was Landkinder vor Asthma schützt, wird eifrig spekuliert: Ist es der frühe Kontakt mit Dreck? Oder dass sie weniger Feinstaub abbekommen? Könnten Forscher diesen Faktor tatsächlich irgendwann entlarven, würde das vermutlich mit einem Schlag die schlimmsten Asthmasorgen beenden.                .

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