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  • S. Seitz et al.
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  • 21.12.2006

Bombenexplosion - Was muss der Notarzt wissen?

Ein Massenanfall von Verletzten, vor allem durch terroristische Anschläge, schien in den letzten Jahrzehnten zunächst ein Problem des Nahen Ostens zu sein wie die Publikationen aus Israel belegen [1±3]. Nach Bombenexplosionen, wie sie auch bei Selbstmordattentaten auftreten, liegt der Anteil von Schwerverletzten und Toten mit 5±22% deutlich höher als bei gewöhnlichen militärischen Gefechten [4]. In Europa ist nach den Anschlägen auf die Nahverkehrszüge in Madrid 2004 [5] sowie die U-Bahn in London 2005 [6] das Risiko von Bombenanschlägen evident.

Vor allem unter Berücksichtigung bevorstehender Großveranstaltungen wie der Fussballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland ist es daher für den Notarzt essenziell, über Kenntnisse in Bezug auf die spezifischen Verletzungen bei Bombenattentaten und das Management bei einem Anfall von mehreren kritisch Verletzten zu verfügen.

 

Umfeld der Bombenexplosion

Entscheidend für den eintreffenden Notarzt ist zunächst die Beurteilung, ob die Bombenexplosion in einem offenen oder geschlossenen Raum stattfand, da in Abhängigkeit von diesem Sachverhalt erhebliche Unterschiede in der Verletzungsschwere und dem Verletzungsmuster auftreten.

Nach einer Explosion im offenen Raum breitet sich die Schockwelle schnell vom Zentrum ausgehend nach peripher aus. Es kommt klassischerweise zu einer geringeren Mortalität mit einem Anfall von verhältnismäßig wenig Schwerverletzten unter den überlebenden Patienten. Diese Beobachtungen werden von den Erkenntnissen aus den Bombenattentaten in Jerusalem 1970 und den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta gestützt [7]. Leibovici et al. konnten zeigen, dass in geschlossenen Räumen bei gleichwertigen Explosionsereignissen eine signifikante Steigerung der Mortalitätsrate auftritt [7]. Im Gegensatz zu offenen Räumen kann sich die entstandene Schockwelle in geschlossenen Räumen nicht uneingeschränkt ausbreiten, sondern wird von den Wänden mehrfach reflektiert und verursacht somit weitere Schäden. Die unmittelbar nach der Detonation überlebenden Patienten erleiden deshalb mit einer höheren Inzidenz schwerere Verletzungen, wobei Zerreißungen der Lunge besonders im Vordergrund stehen.

 

Spezifische Verletzungen nach Bombenexplosion

Das Verletzungsmuster nach Bombenexplosionen unterscheidet sich grundlegend von denen nach konventionellen Traumen. Studien während des Israel-Palästina-Konfliktes zeigen, dass Bombenexplosionen deutlich schwerere Verletzungen (ISS > 16) als andere Verletzungsmechanismen verursachen (30 vs. 10%) [8]. Hierbei handelt es sich meist um Mehrfachverletzungen, insbesondere 3-Regionen- (18 vs. 5%) und 4-Regionen-Verletzungen (11 vs.1,5 %) [3]. Dies erklärt auch,warum die Mortalitätsrate nach Bombenattentaten im Gegensatz zu anderen Unfallereignissen doppelt so hoch ist.

Bei Bombenexplosionen werden typische Verletzungen beobachtet, die wie folgt klassifiziert werden:

Die unmittelbar durch die Explosion hervorgerufenen Verletzungen sind die schwersten und gehen mit einer hohen Mortalitätsrate einher. Bei einer Explosion kommt es nach der Zündung des Sprengstoffes zu einer heftigen chemischen Reaktion, bei der Gas und Hitze schlagartig freigesetzt werden. In Abhängigkeit von der chemischen Zusammensetzung der Bombe und der freigesetzten Energie entwickelt sich eine explosionsartige Druckwelle (blast). Durch diese Schockwelle können zwei verschiedene Verletzungsmechanismen auftreten: zum einen durch den Überdruck selbst und zum anderen durch Scherkräfte, die von der Ausbreitungsgeschwindigkeit und -dauer der Druckwelle abhängig sind [9].

 

Verletzung der Lunge

In Abhängigkeit von der Schwere der Explosion und dem verursachten Überdruck entstehen Zerreißungen innerer Organe, wobei die Lunge als luftgefülltes Organ am häufigsten betroffen ist. Bei einem Überdruck von 35 psi (ca. 2,5 atm) werden Lungenverletzungen mit einer Mortalität von 1% beobachtet, bei einem Überdruck von mehr als 70 psi (ca. 5 atm) ist mit einer Mortalität von 50% zu rechnen. Die Explosion einer 25-kg-TNT-Bombe verursacht einen kurzfristigen Überdruck für 2 ms von bis zu 150 psi (ca. 10 atm) [8].

In der Lunge führt die Schockwelle zu einer massiven Überdehnung der Alveolen mit Zerreißung der alveolären Septen und konsekutiver Ausbildung eines Lungenödems. Diese Veränderungen manifestieren sich klinisch als schwere Lungenkontusionen mit Hypoxie und Hämoptoe, die häufig eine endotracheale Intubation und maschinelle Beatmung erfordern. Bei einer Verletzung bzw. Zerreißung der Pleura visceralis entwickelt sich zunächst ein Pneumothorax oder Hämatothorax, der sich zu einem lebensbedrohlichen Spannungspneumothorax ausbilden kann [8,10].
Ein weiteres Charakteristikum von Explosionsverletzungen ist das Auftreten von Luftembolien, die die häufigste sofortige Todesursache darstellen. Infolge des hohen Überdruckes im Bronchialsystem gelangen durch bronchiale und alveolare Läsionen relevante Luftmengen in die Pulmonalgefäße und führen dann zu dem Bild einer Luftembolie mit Kreislaufversagen, verursacht durch das Pumpversagen des Herzens. Bei Explosionen im offenen Raum ist typischerweise die zur Detonation gerichtete Lungenseite betroffen, in geschlossenen Räumen hingegen treten die Verletzungen häufig bilateral auf [7].

Autopsieberichte von Bombenattentaten in Nordirland ergaben, dass bei 34% der Opfer primäre Explosionsverletzungen der Lunge den sofortigen Tod verursachten. Auch bei zunächst geringerer Schädigung der Lungen kann sich in einigen beschriebenen Fällen durch die Hypoxie und Gefäßschädigung ein sekundäres Lungenversagen 1 bis 2 Tage nach dem Ereignis entwickeln [11]. Eine besondere Problematik bei Explosionsverletzungen stellt die Beurteilung des häufig beobachteten atypischen Schockgeschehens mit peripherer Vasodilatation, Bradykardie und konsekutiver Hypoxie dar. Dieses bislang nur nach Bombenexplosionen beschriebene Phänomen geht ohne ersichtliche äußere und innere Verletzungen einher, beginnt unmittelbar nach der Explosion und bildet sich nach 1 bis 2 Stunden zurück. Obwohl dieSymptome eine Hypovolämie, einen myokardialen Schaden oder ein Cor pulmonale vermuten lassen, wurde in tierexperimentellen Studien gezeigt, dass diese Trias auf einen vagalen Reflex in der Lunge zurückzuführen ist. Dieser wird zusätzlich durch das nach der Bombenexplosion auftretende alveoläre Ödem getriggert [12].

 

Verletzungen abdomineller Organe

Verletzungen abdominaler Hohlorgane treten mit 10-30% seltener als die Explosionsverletzungen der Lunge auf. Die durch die Schockwelle verursachten Scherkräfte an der anatomischen Organaufhängung können zu einer Verletzung oder einer Ruptur von Parenchymorganen führen, meist sind jedoch Organläsionen die Folge von tertiären Explosionsmechanismen im Sinne eines stumpfen Anpralls an festen Gegenständen. Häufig werden Milzrupturen beschrieben, die auch ohne direktes Trauma oder Perforation der Bauchwand auftreten können. Es wird vermutet, dass nach einem schnell auftretenden Lungenkollaps mit anschließender Lungenentfaltung relevante Scherkräfte entstehen, die zur Verletzung des Milzparenchyms an den Ligamenten führen [13].

An Hohlorganen können durch den Überdruck multiple intestinale Kontusionen mit intramuralen Hämatomen entstehen, die dann im weiteren Verlauf durch die Schädigung der Mukosa zu Nekrosen führen können [14]. Perforationen des Magen-Darm-Traktes spielen jedoch mit 0,1-2% der Fälle eher eine untergeordnete Rolle [15]. Bei einem entsprechenden klinischen Verlauf sollte diese Verletzung jedoch frühzeitig erwogen und mittels kontrastmittelunterstützter Computertomographie abgeklärt werden.

 

Verletzungen des Schädels

Verletzungen des Schädels werden in 54% der Fälle beobachtet, hierbei handelt es sich häufig um äußerliche Verletzungen wie Platzwunden, Skalpierungsverletzungen oder Prellungen. In 18% der Fälle sind jedoch intrazerebrale Verletzungen wie Kontusionen und subdurale Hämatome mit einer hohen Mortalitätsrate beschrieben [15,16]. Die Bewertung von Schädel-Hirn-Traumen gestaltet sich jedoch schwierig, da unmittelbar nach dem Explosionsereignis häufig psychomotorischen Störungen mit retrograder Amnesie, Apathie, Unruhe und Angstzuständen vorliegen. Es wird vermutet, dass die Schockwelle einen diffusen Axon- und Gliaschaden sowie eine Schwellung der Neurone verursacht, was diese reversible Symptomatik erklärt [17].

 

Verletzungen des Gehörsystems

Das Gehörsystem ist eines der häufigsten Organe, das bei Explosionen verletzt wird. Die damit verbundene häufig passagere Taubheit kann während der initialen Sichtung eine korrekte Bewertung des neurologischen Zustandes erheblich erschweren. Die Zerreißung des Trommelfells ist eine Folge der mechanischen Kraft der Druckwelle und ein Indikator dafür, dass das Opfer der Schockwelle unmittelbar ausgesetzt war und somit andere begleitende Verletzungen ausgeschlossen werden sollten. Bei Hörstörungen sollte deshalb frühzeitig ein Auskultationsbefund erhoben und prinzipiell Röntgenaufnahmen des Thorax bzw. der Lungen angefertigt werden [18]. Manche Autoren empfehlen zusätzlich eine klinische Überwachung von 8 bis 24 Stunden. Auf der anderen Seite stellt die isolierte Ruptur des Trommelfells an sich keinen ungünstigen Prognosefaktor dar [18,19].

 

Allgemeines zum Verletzungsmuster

Die meisten Verletzungen nach Bombenexplosionen werden, wie retrospektive Analysen aus Israel zeigen, sekundär durch Splitter und tertiär durch den Aufprall bedingt. Umherfliegende Projektile verursachen die Mehrzahl der Läsionen, hierbei handelt es sich sowohl um multipel penetrierende als auch stumpfe Verletzungen [20].

Frakturen der oberen und unteren Extremität werden mit 38%, die des Beckens und des Stammes mit 17% beschrieben. Penetrierende und stumpfe Verletzungen des Abdomens mit 12% und des Thorax mit 20% gehen häufig mit Pneumothoraces, Lungen- und Darmkontusionen einher. Schwere Augenverletzungen mit Abrasionen, Netzhautablösungen, Linsendislokation und Perforationen des Augapfels, bedingt durch Splitter, sind ebenfalls beschrieben [15].

Vor allem penetrierende Verletzungen können leicht übersehen oder verkannt werden, da sich äußerlich oft nur eine kleine Eintrittspforte zeigt, die damit verbundenen inneren Verletzungen von Gefäßen und Organen erhebliche Läsionen mit oft infauster Prognose verursachen können. Fallberichte zeigen, dass zunächst hämodynamisch stabile und am Unfallort laufende Patienten zum Beispiel einen Perikarderguss mit einer im Verlauf evidenten Perikardtamponade entwickeln können [8]. Daher muss nach der ersten Sichtung in einer weiteren Sichtung neben einer kurzen Erhebung von Vitalparametern und eine umfassende Inspektion des gesamten Körperstammes auf etwaige penetrierende Verletzungen erfolgen. Betroffene Patienten mit entsprechenden Verletzungen im Bereich des Körperstammes sollten engmaschig überwacht und entsprechend nachgesichtet werden.

Durch Feuer und Hitze treten als quartiäre Explosionsverletzungen in 5-10% der Fälle Verbrennungen auf, wobei es sich bei etwa einem Drittel um hochgradige Verbrennungen handelt, die eine schnelle Versorgung in einem entsprechenden Zentrum für Schwerbrandverletzte erfordern [7].

 

Sichtung

Der Schlüssel für ein erfolgreiches Management bei einem Massenanfall von Verletzten im Rahmen einer Bombenexplosion, bei dem die bestehenden medizinischen Ressourcen zunächst nicht ausreichen, um alle Verletzten adäquat zu versorgen, ist die unverzügliche Sichtung (Triage).

Bei einem Massenanfall von Verletzten besteht generell die Gefahr erhöhte medizinische Aufmerksamkeit auf die meist große Anzahl von leicht verletzten Patienten zu richten (overtriage). Dadurch kann die Erkennung von akut lebensbedrohlich verletzten Patienten, die eine sofortige medizinische Versorgung benötigen, erheblich verzögert werden (undertriage). Unter individualmedizinischen Normalbedingungen wird allerdings durch die großzügige Aufnahme von potenziell kritisch verletzten Patienten über einen Schockraum in der Regel eine Übertriage von 50% angestrebt, wodurch allerdings jeder zweite im Schockraum diagnostizierte Patient nicht die Kriterien eines schweren Monooder Polytraumas (ISS > 16) erfüllt. Nur so ist es möglich, dass manifest kritisch verletzte Patienten nicht fälschlicherweise über die allgemeine Notfallaufnahme eingeliefert werden und die Untertriage unter 1% beträgt, einem für die Alltagssituation gewünschten Wert. Im Gegensatz dazu ist bei einem Massenanfall von Verletzten eine schnelle und sorgfältige Sichtung in akut lebensbedrohlich, schwer und leicht verletzte Opfer entscheidend, um die Mortalität unter den kritisch Verletzten gezielt zu minimieren. Frykberg zeigte im Rahmen einer Metanalyse von verschiedenen Bombenanschlägen, dass bei limitierten Ressourcen im Krankenhaus die Mortalität der kritisch Verletzten mit dem Ausmaß der overtriage korreliert [16].

Die Sichtung sollte nach Möglichkeit direkt am Schadensort vorgenommen werden. Einsatztaktisch berücksichtigt werden müssen jedoch besondere Umstände wie die Möglichkeit einer zweiten Bombenexplosion, die Gefahr des Einsturzes von Gebäuden oder die Anwesenheit von radioaktiven oder chemischen Kontaminationen. Bei der Sichtung muss prinzipiell davon Abstand genommen werden, eine vollständige Untersuchung vorzunehmen, um jede einzelne Verletzung zu erfassen. Die Herausforderung besteht darin, die akut lebensbedrohlich verletzten Patienten möglichst schnell unter der Vielzahl der meist leicht verletzten Opfer zu identifizieren, die eine sofortige lebensrettende Behandlung oder einen unverzüglichen Transport in die Klinik benötigen [6].

Die Sichtung bei einer Bombenexplosion wird durch die von der Schockwelle induzierten spezifischen Verletzungen und atypischen Zustände erheblich erschwert. Insbesondere die Differenzierung zwischen Hämorrhagie und atypischem Schockgeschehen sowie zwischen Schädel-Hirn-Verletzungen und psychomotorischen Störungen kann meist nur in der Klinik mittels bildgebender Diagnostik bewerkstelligt werden. Zu erwägen ist der frühzeitige Einsatz der präklinischen Traumasonographie bereits bei der Sichtung am Behandlungsplatz, insbesondere bei Verdacht auf Perikardtamponade, Hämatothorax oder abdominellen Blutungen [21].

Zu beachten ist ferner, dass Verletzte mit Zerreißungen desv Trommelfells wegen der damit verbundenen Hörstörung eher übertriagiert werden. Verletzte mit penetrierenden Verletzungen, die oft nicht sofort erkennbar sind und wegen des häufig zunächst unauffälligen Verlaufs unterschätzt werden können, eher untertriagiert werden. Es wird daher empfohlen, eine mehrmalige Sichtung durchzuführen, um zum einen die kritischen bzw.
nicht eindeutig beurteilbaren Verletzten erneut zu evaluieren und um zum anderen zunächst nur die akut lebensbedrohlich Verletzten zu transportieren, die eine sofortige Diagnostik und Versorgung in der Klinik benötigen [5].

 

Behandlung

Im Vordergrund der Behandlung steht zunächst neben der Sicherstellung der respiratorischen Funktion und der Stillung von externen Blutungen die Dekompression eines Spannungspneumothorax. Bei intubationspflichtigen Patienten mit konsekutiver Überdruckbeatmung ist großzügig und frühzeitig die Indikation für eine Thoraxdrainage zu stellen. Allerdings sollte eine endotracheale Intubation aufgrund der beschränkten Verfügbarkeit und des hohen Personal- und Ressourcenbedarfs sowie insbesondere im Hinblick auf das deutlich erhöhte Risiko eines Spannungspneumothorax kritisch überdacht werden [16].

Bei hämodynamischer Instabilität erfolgt die Anlage eines venösen Zugangs zur Einleitung einer differenzierten Volumentherapie. Liegt eine Kreislaufinstabilität mit Bradykardie vor, so ist ein atypisches Schockgeschehen in Betracht zu ziehen und eine medikamentöse Therapie mit Katecholaminen und Atropin einzuleiten. Bei einer aktiven Blutung ist bis zur operativen Blutungsstillung zur Verminderung der Hämorrhagie eine permissive Hypotension mit einem systolischen Blutdruck von etwa 90mmHg anzustreben [22]. Bei einem Schädel-Hirn-Trauma ist zur Sicherstellung des zerebralen Perfusionsdruckes eine Normotonie mit einem systolischen Druck von mindestens 130mmHg anzustreben [22].

Bei relevanten Bewusstseinsstörungen und sowie nicht therapierbaren Schockzuständen ist ein sofortiger Transport in die Klinik einzuleiten, um den Patienten einer radiologischen Triage mittels (Mehrschicht-)Computertomographie zuzuführen, da hierdurch eine schnelle Identifikation von intrakraniellen Läsionen sowie eine eindeutige kausale Zuordung einer systemischen Hypotension sichergestellt wird [23]. Insbesondere bei unklaren neurologischen Befunden sowie bei kreislaufwirksamen Blutungen ermöglicht die kontrastmittelunterstützte Computertomographie eine eindeutige Indikationsstellung für Interventionen oder Notfalloperationen. Hilfreich für die Klinik ist es, wenn diese Patienten spätestens während des Transportes einen venösen Zugang erhalten, da hierüber dann ohne Verzögerung die Kontrastmittelgabe erfolgen kann.

Penetrierende Verletzungen des Stammes sollten ebenfalls nach Möglichkeit einer gezielten Abklärung mittels Computertomographie zugeführt werden [24]. Auch bei zunächst als leicht verletzt gesichteten Patienten ist eine sorgfältige Inspektion des Körperstammes durchzuführen, um penetrierende Verletzungen, die eine Weiterbehandlung in der Klinik erfordern, auszuschließen.

Patienten mit Hörstörungen oder Schwerhörigkeit sollten ebenfalls in eine Klinik transportiert werden, um Verletzungen der Lunge durch eine Röntgenaufnahme des Thorax auszuschließen und gegebenenfalls eine stationäre Überwachung durchzuführen [17,18].

 

Sonderfall ABC-Gefahren

Eine Kontamination mit radioaktiven oder chemischen Stoffen sowie eine potenzielle Kontamination bzw. Infektion mit biologischen Stoffen muss frühzeitig erkannt und bei der Einsatzplanung berücksichtigt werden. Die Dekontamination ist noch am Unfallort durchzuführen, um eine Verschleppung in die aufnehmenden Krankenhäuser zu vermeiden. Da die Dekontamination eine zeitaufwändige Prozedur ist und damit den weiteren Einsatzablauf verzögert, muss die Identifizierung der akut lebensbedrohlich verletzten Patienten noch vor der Dekontamination und dem Ausschleusen aus dem kontaminierten Bereich erfolgen. Diese Gruppe von kritisch Verletzten muss als erste einer Notdekontamination unterzogen werden, um unverzüglich weitere lebensrettende Behandlungen einleiten zu können.

 

Fazit für die Praxis

Ein Massenanfall von Verletzten nach Bombenattentaten ist sowohl in Zeit und Ort nicht vorhersehbar. Die wichtigste Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf ist das Verstehen der unterschiedlichen Verletzungsmuster und die damit verbundenen medizinischen und logistischen Probleme. Essenziell für ein erfolgreiches Management sind eine entsprechende Einsatzplanung in Bezug auf die Sichtung, die Behandlung, den Transport und die Krankenhauszuweisung sowie eine umfassende Schulung des gesamten Einsatzpersonals.

 

Zusammenfassung

Ein Massenanfall von Verletzten nach Bombenattentaten ist sowohl hinsichtlich des Zeitpunktes und auch des Ortes nicht vorhersehbar. Die wichtigste Voraussetzung für einen reibungslosen Einsatzablauf ist das Verstehen der unterschiedlichen Verletzungsmuster und die damit verbundenen medizinischen und logistischen Probleme.

Spezifische Verletzungen, die durch die Schockwelle verursacht werden, wie Zerreißungen der Lungen oder atypische Schockzustände, erfordern eine entsprechende Diagnostik und Therapie. Schwerhörigkeit und Verwirrtheitszustände nach der Detonation erschweren erheblich die Beurteilung des klinischen Zustandes und damit die Sichtung. Entscheidend ist bei einer Vielzahl von meist leicht verletzten Opfern die möglichst schnelle Identifikation der akut lebensbedrohlich verletzten Patienten, die eine sofortige lebensrettende Behandlung oder einen unverzüglichen Transport in die Klinik benötigen. Der möglichst frühe Einsatz des Mehrschicht-Computertomographen (MSCT) im Rahmen der Schockraumversorgung (radiologische Triage) gestattet bei relevanten Bewusstseinsstörungen und bei nicht therapierbaren Schockzuständen eine schnelle Identifikation von intrakraniellen Läsionen sowie eine kausale Zuordnung einer Hypotension und damit eine unverzügliche Indikationsstellung für Interventionen oder Notfalloperationen. Essenziell für ein erfolgreiches Management sind eine entsprechende Einsatzplanung in Bezug auf Sichtung, Behandlung, Transport und Krankenhauszuweisung sowie eine umfassende Schulung des gesamten Einsatzpersonals des Rettungsdienstes, des Sanitätsdienstes und der Feuerwehr.

 

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24 Stein M, Hirshberg A, Gerich T. Der Massenanfall an Verletzten nach Explosion. Unfallchirurg 2003; 106: 802-810

 

Dieser Artikel ist ein Auszug aus Der Notarzt (2006; 22: 7-11)

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