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  • 04.12.2017

Junkie-Tag

Heroin scheint aktuell wieder total angesagt zu sein. Jedenfalls bekomme ich diesen Eindruck, als ich am Dienstag auf meinen OP Plan schaue. Ein Spritzenabszess nach dem anderen. Und alle Patientinnen und Patienten kamen auch noch aus der gleichen Gegend. Ein Zufall? Ich werde es wohl niemals erfahren. Auf jeden Fall sind Suchtpatienten gemeinhin mit Ärger verbunden.

Die erste Patientin bestand nur aus Haut und Knochen, kam mit Uhr und Piercings in den OP-Trakt und löcherte mich mit vielen Fragen, die ihre Behandlung betrafen und daher nur von den behandelnden Chirurgen beantwortet werden konnten. Diese Fragen spulte sie dennoch ab wie am Fließband. Es wurde langsam nervig. Nachdem wir Sie und ihre Vakuum-Pumpe, die an einer Wunde in der Leistengegend hing, nach viel gutem Zureden und zahlreichen Unterbrechungen endlich vom Bett auf den OP-Tisch umgelagert hatten, ging die Fragerunde in der Einleitung weiter.

Sogar das Ankleben der EKG-Elektroden bereitete unsagbare Schmerzen, und vom Legen des venösen Zugangs möchte ich gar nicht erst anfangen. Das ist übrigens bei Patienten, die sich gewohnheitsmäßig in alle brauchbaren Venen selbst über geraume Zeit Heroin und andere Drogen gespritzt haben kein leichtes Unterfangen. Vielmehr gleicht es der Suche nach Goldklumpen in einem Flussbett in Alaska. Glücklicherweise hatte mir die Patientin, die wesentlich älter aussah als sie laut Geburtsdatum war, eine Vene übrig gelassen.

Mit einer kleinen Nadel klappte es immerhin beim zweiten Versuch und nach einer riesigen Portion Schmerz- und Schlafmittel war dann auch Ende der Fragestunde. Die Chirurgen machten im OP-Saal nach Entfernung des Vakuum-Verbandes die Wunde – einen Spritzenabszess – sauber und verschlossen sie mit einer sogenannten Sekundärnaht. Die Patientin wurde die Vakuum-Pumpe los, lediglich eine Drainage wurde eingelegt. Vielleicht war das ja erstmal der letzte Eingriff. Da sie Schmerzmittel durch die Heroin-Abhängigkeit gut gewöhnt war, bekam ich sie auch Ruck Zuck wieder wach und brachte sie gemeinsam mit dem OP Team erst ins Bett und dann in den Aufwachraum.

Der nächste Patient hatte ebenfalls einen Spritzenabszess vom Heroin-Missbrauch. Nur an einer anderen Stelle. Auf Station wurde er mit Polamidon substituiert um einen kalten Entzug und Ärger mit den Schwestern zu vermeiden und war demnach die ganze Zeit „auf Droge“. Bei der routinemäßigen Abfrage der Nüchternheit verhaspelte er sich in widersprüchliche Aussagen, sodass wir nicht sicher sein konnten, ob er nicht eben noch vor der geplanten OP Kuchen gegessen hatte. Damit wäre er natürlich nicht nüchtern und hätte ein hohes Risiko, beim Intubieren Magensaft in die Lunge zu aspirieren.

Und diese Risiken gehen wir bei geplanten Eingriffen, die keine ausdrücklichen Notfälle sind, natürlich auch im Interesse des Patienten nicht ein. Mein Oberarzt machte kurzen Prozess. „Glaube niemals einem Junkie!“ waren sinngemäß seine Worte. Der Patient machte zwar einen riesigen Aufstand – er wollte seinen Vakuumverband am Fußrücken dringen loswerden – aber der Oberarzt blieb konsequent. Nicht nüchtern? Keine OP! Also ging der Junkie zurück auf Station und ich hatte ausnahmsweise pünktlich Feierabend.

 

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