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  • 08.08.2014

Medizin & Recht (5): Sterbehilfe

Ärzte kämpfen aufopfernd für das Leben ihrer Patienten. Doch was soll man tun, wenn sich ein Patient im Todeskampf nichts sehnlicher wünscht als das Ende? Welche Hilfe kann man in solchen Momenten anbieten – und was ist verboten?

„Herr Doktor, ich mag nicht mehr. Können Sie denn nichts tun, dass es schneller geht …?" Wer oft mit Todkranken zu tun hat, muss sich darauf einstellen, dass Patienten mit solchen Wünschen an einen herantreten. Wie soll man als Arzt darauf reagieren? Ginge es nach der Mehrheit der Deutschen, wäre der Fall klar: Laut einer Forsa-Umfrage möchten 70 Prozent der Bevölkerung die Möglichkeit haben, im Fall einer schweren Krankheit auf Sterbehilfe zurückzugreifen – zum Beispiel durch ihre Ärzte [1]. Für diese ist die Situation aber keineswegs so einfach. Denn die Leit­linien medizinischen Handelns richten sich nicht nach Meinungsumfragen, sondern nach den Grundlagen ärztlicher Kunst und Ethik – und nach dem, was rechtlich zulässig ist.

 

Hilfe zum Sterben? Oder darin?

Um eine Antwort darauf geben zu können, ob und wie man als Arzt in den Sterbeprozess eingreifen kann, muss man zunächst definieren, was mit Sterbehilfe eigentlich gemeint ist. Man kann darunter nämlich einerseits die „Hilfe im Sterben" verstehen – also den Beistand oder die Begleitung des Sterbenden durch Pflege, Palliativmedikation oder Anteilnahme [2]. Andererseits kann darunter auch die „Hilfe zum Sterben" verstanden werden [3] – was am ehesten der in der Bevölkerung verbreiteten Wahrnehmung entspricht. Die „Hilfe im Sterben" ist strafrechtlich irrelevant. Sie ist humanitär geboten und entspricht dem Behandlungsauftrag an den Arzt. Komplizierter ist die Situation bei der „Hilfe zum Sterben", also wenn ein Arzt auf Grundlage eines durch den Patienten geäußerten ausdrücklichen oder auch mutmaßlichen Willens ihn sterben lässt oder sogar tötet.

Dass über diese Form der Sterbehilfe heute so kontrovers diskutiert wird (vgl. [3–6, 8]), hat einen eigentlich erfreulichen Hintergrund: Die Medizin hat auf dem Gebiet der Maximalversorgung in den letzten Jahrzehnten riesige Fortschritte gemacht. Ärzte können deshalb heute den Sterbeprozess eines Menschen so massiv beeinflussen, dass er quasi zum Stillstand kommt. Daraus ergeben sich allerdings Fall­­-kon­stellationen am Grenzbereich zwischen Leben und Tod, die vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wären – und die Patienten, Angehörige, Betreuer, Ärzte und Juristen vor Probleme stellen. Wichtige Orientierungspunkte bieten dabei einige grundlegende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH), die helfen, Unsicherheiten bei diesem Thema auszuräumen (Fallbeispiele, s. u.).

 

Feiner Unterschied: aktiv direkt vs. aktiv indirekt

Die einzige Sterbehilfe-Form, die im deutschen Strafgesetzbuch normiert wurde, ist die aktive direkte Sterbehilfe. Gemeint ist damit die gezielte Tötung von Sterbenden oder Schwerkranken auf deren ausdrückliches und ernstes Verlangen. Sie kann z. B. auf Wunsch des Pa­tienten durch das Setzen einer Giftspritze durch den Arzt erfolgen [3]. Gemäß § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) ist diese Form der Sterbe­hilfe mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht (Fall 1).

Anders liegt der Fall bei aktiver indirekter Sterbehilfe. Hiervon spricht man, wenn bei Sterbenden oder Todkranken schmerzlindernde Mittel eingesetzt werden – unter dem Risiko, dass dadurch der Todeseintritt beschleunigt werden könnte. Wichtig: Hier wird zwar eine Lebensverkürzung mit Zustimmung des Pa­tienten als Nebenfolge der medikamentösen Therapie (z. B. Atemdepression durch Opiate) in Kauf genommen. Die Minderung der Qualen des Patienten durch die Gabe von Schmerzmedikamenten steht als Ziel des Handelns aber im Mittelpunkt [4]. Der BGH hat in seinem Urteil von 1996 erstmals entschieden, dass diese Form der Sterbehilfe zulässig ist (Fall 2).

 

Passive Sterbehilfe: Recht auf Nichtbehandlung

Ebenfalls nicht strafbar ist die sogenannte „passive Sterbehilfe" . Darunter versteht man das Sterbenlassen eines Schwerkranken, besonders eines irreversibel Bewusstlosen oder Moribunden, durch Verzicht auf lebensver­längernde bzw. -erhaltende Maßnahmen. Dies kann z. B. geschehen, indem eine Betreuungsperson wie der Arzt oder ein Angehöriger die künstliche Ernährung, die Flüssigkeitszufuhr oder die Medikamentengabe unterbricht. Auch wenn man von der Aufnahme lebensrettender Maßnahmen absieht, kann das eine Form der passiven Sterbehilfe sein. Wichtig ist dabei, dass der Verzicht dem mutmaßlichen oder dem in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Patienten entspricht (s. auch [5-7]). Besonders betont wurde dies nochmals durch ein Urteil des BGH vom 25.6.2010 (Fall 3). Demnach ist der Wille des Patienten bzw. eine Patientenverfügung der zentrale Aspekt der Entscheidungsfindung, wenn es darum geht, ob eine Behandlung im Sinne einer passiven Sterbehilfe abgebrochen werden soll. Die passive Sterbehilfe wird aufgrund des BGH-Urteils auch „Sterbehilfe durch Behandlungsunter­lassung, -begrenzung oder -abbruch" genannt.

 

Sterbehilfe durch Suizidbeihilfe

Besonders kontrovers diskutiert wird die „Beihilfe zur Selbsttötung", die auch als assistierter Suizid bezeichnet wird. Hiervon spricht man, wenn man einem schwer kranken, leidenden Menschen, der aus dem Leben scheiden möchte, den Suizid ermöglicht – z. B. indem man ihm „Hilfsmittel" wie Medikamente bzw. ein Gift zur Verfügung stellt. Die Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid ist in Deutschland straffrei – wobei entscheidend ist, dass der Suizident die unmittelbar zum Tod führende Handlung selbst vollzieht (Fall 4). Achtung: Im ärztlichen Berufsrecht wird ein ärztlich assistierter Suizid dennoch abgelehnt (s. aber auch VG Berlin, Urteil vom 30.3.2012 – VG 9 K 63.09). Im § 16 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte heißt es dazu: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

 

Mehr Leben dem Leben

Aufgrund der BGH-Urteile weist die Rechtsprechung nur noch wenige „weiße Flecken" im Gebiet der Sterbehilfe auf [8] – auch wenn verschiedentlich eine weitere Präzisierung der Rechtslage gefordert wird [5]. Angesichts dieser Diskussion über die rechtliche Ausgestaltung der „Hilfe zum Sterben" sollte man allerdings nicht das Thema der „Hilfe im Sterben" vernachlässigen. Selbst wenn dieses Feld weitgehend frei von rechtlichen Streitfragen ist, darf dies nicht den Blick darauf verstellen, dass auch hier Defizite existieren: Gibt es wirklich genügend Angebote der psychosozialen Sterbebegleitung? Haben wir ausreichend Betreuungsplätze innerhalb der Palliativmedizin? Wenn Sterbende mit dem Wunsch schneller zu sterben an einen herantreten – muss man dann gleich über Möglichkeiten zum assistierten Suizid nachdenken? Letztendlich dürfte es immer segensreicher sein, wenn man sich bemüht, die letzten Lebenstage des Betroffenen so lebenswert wie möglich zu gestalten.

 

Sterbehilfe - von Fall zu Fall

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Oberlandesgerichts (OLG) München, die helfen, Unsicherheiten zur Strafbarkeit auszuräumen 

Fall 1: „Scophedal-Fall"

(BGH, NJW 1987, 1.092 f. Aktive direkte Sterbehilfe)

Ein schwerkranker Arzt wollte sich mit einer Injektion von Scophedal (narkoanalgetisches Kombipräparat aus Scopolamin, Hydroxycodon und Ephedrin) das Leben nehmen und bat seinen Neffen, ihm zu helfen, falls er es nicht aus eigener Kraft schaffe. Nachdem sich der Arzt die Injektion gesetzt hatte und in tiefen Schlaf fiel, kam der Neffe hinzu und setzte ihm noch eine Injektion von Scophedal aus Angst, der Plan des Onkels könnte misslungen sein. Daraufhin verstarb der Onkel. Möglicherweise wäre der Arzt auch ohne die zweite Spritze durch den Neffen verstorben, jedenfalls führte sie zu einer Lebensverkürzung. Der BGH hat entgegen der Vorinstanz den Sachverhalt nicht als Totschlag nach §§ 212, 213 StGB, sondern als § 216 StGB wegen Tötung auf Verlangen gewertet. Aufgrund der Tatherrschaft des Angeklagten kam eine Beihilfe zum Suizid nicht in Frage.

 

Fall 2: „Dolantin-Fall"

(BGH, NJW 1997, 807 ff. Aktive indirekte Sterbehilfe)

Eine Ärztin betreute eine befreundete Rentnerin, die im Sterben lag. Als sich ihr Zustand zunehmend verschlechterte, verabreichte sie ihr mittels Tropf eine Überdosis des Mittels Dolantin, woraufhin die Frau verstarb. Der BGH verwies für die rechtliche Bewertung auf die straflose aktive indirekte Sterbehilfe. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte die Sterbende lediglich durch therapeutisch gebotene, schmerzlindernde Medikation begleiten wollte und dabei den beschleunigten Todeseintritt nicht intendiert habe, wohl aber als Nebenfolge der Medikation in Kauf genommen hatte.

 

Fall 3: „Putz-Fall"

(BGH, NJW 2010, 2.963 ff. Passive Sterbehilfe bzw. Abbruch lebenserhaltender Behandlung bei darauf hingerichtetem Patientenwillen)

In diesem Urteil sprach der BGH den Rechtsanwalt Wolfgang Putz von der vorherigen Verurteilung wegen versuchten Totschlags frei. Der Verurteilung vorangegangen war sein Ratschlag an seine Mandantin, den Schlauch der Magensonde bei ihrer Mutter zu durchtrennen. Über diesen wurde die im irreversiblen Wachkomazustand liegende Patientin im Altenheim ernährt. Vor der krankheitsauslösenden Hirnblutung hatte die Mutter gegenüber ihren Kindern erwähnt, dass sie für diese konkrete Situation keine lebens­verlängernden Maßnahmen in Form künstlicher Ernährung und Beatmung wünsche.

 

Fall 4: „Hackethal-Fall"

(OLG München NJW 1987, 2.940 ff. Assistierter Suizid)

Der Arzt Julius Hackethal gab einer unheilbar kranken und unter schweren Schmerzen leidenden Krebspatientin auf ihren ausdrücklichen und mehrfach geäußerten Sterbewunsch hin ein schnell wirkendes Gift (Kaliumcyanid). Die Frau trank das Gift nach genauer Anweisung des Arztes und starb kurz darauf ohne sichtbaren Todeskampf. Sowohl das LG Traunstein als auch das OLG München lehnten die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen den Arzt wegen Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB ab. (Cave: Anders als im Strafrecht kann die berufsrechtliche Bewertung sein.)

 


Autoren

Nina Tolup und Tina Fleuth sind Studierende der Rechtswissenschaft und Duygu Percin, Yasemin Dogru und Maximilian Dobbertin sind Studierende der Medizin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Prof. Dr. med. Markus Parzeller ist Arzt und Jurist am Institut für Rechtsmedizin des Klinikums der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

 

 


 

Literatur

[1] DAK-Gesundheit: Studie, Erhebung: 13 und 14.Januar 2014, Meinungen zum Thema Sterbehilfe.

[2] Bundesärztekammer, Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung. Dt. Ärztebl. 2011, 108: A 346 – A 348.

[3] Laux J, Röbel A, Parzeller M. Rechtsfragen zur ärztlichen Sterbehilfe Teil I – Terminologie und historischer Überblick. Arch Kriminol. 2012; 230: 145 – 165.

[4] Laux J, Röbel A, Parzeller M. Rechtsfragen zur ärztlichen Sterbehilfe Teil II –Hilfe im Sterben, direkte aktive und indirekte aktive Sterbehilfe. Arch Kriminol. 2013; 231: 1 – 32.

[5] Laux J, Röbel A, Parzeller M. Rechtsfragen zur ärztlichen Sterbehilfe Teil III – Passive Sterbehilfe, internationaler Rechtsvergleich, Fazit für die ärztliche Praxis. Arch Kriminol. 2013; 231: 73 – 115.

[6] Wasserburg K. Rechtsprechungsübersicht zum Arztstrafrecht - – Juli 2006 bis Juli 2012 – (Teil 1). NStZ 2013: 147 – 155.

[7] Bundesärztekammer und zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis. Dt. Ärztebl. 2013; 110: A 1580 – A 1585.

[8] Verrel T. Der BGH legt nach: Zulässigkeit der indirekten Sterbehilfe. MedR 1997: 248 –250


* Die Kasuistik ist eine Synthese reeller Fälle. Die Charaktere und Namen sind fiktiv.

Ein Geleitwort und Hintergrundinformationen zu dieser Serie findest du hier

 

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