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  • Via medici, H. Marcus
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  • 04.08.2006

Medizin in Frage & Antwort: Notfallbehandlung bei Zeugen Jehovas

Frage: Ist es dem Arzt im Notfall erlaubt, einem Zeugen Jehovas Bluttransfusionen zu geben?

Antwort: Grundsätzlich gilt: bei einer Notfallbehandlung wird die erforderliche Einwilligung des Patienten zur Rechtmäßigkeit des ärztlichen Heileingriffes zugunsten des Arztes vermutet. Denn: je dringender der Eingriff ist, desto niedriger sind die Anforderungen an die Aufklärung; im Notfall muss bei der vorgenommenen Behandlung davon ausgegangen werden können, dass der Patient eingewilligt hätte, wenn er zuvor aufgeklärt worden wäre.

 

Frage: Ist man an Patientenverfügungen gebunden, wenn der Patient Zeuge Jehovas ist und Bluttransfusionen ablehnt?

Antwort: Ist ein erwachsener Patient Mitglied der Zeugen Jehovas und trägt dieser eine Patientenverfügung bei sich, die eine Bluttransfusion ablehnt (eine sogenannte "Blutkarte" oder "Dokument zur ärztlichen Versorgung"), weil es dadurch zu einer "Zerstörung der Persönlichkeit" des Patienten aus religiösen Gründen komme, so ist auch diese Verfügung verbindlich, sofern sie ernsthaft ist und keine Zweifel an ihrer Fortgeltung im Augenblick ihrer Behandlung aufkommen lässt. Sofern im Rahmen einer solchen Notfallbehandlung vorab zeitlich die Möglichkeit besteht, sollte unbedingt beim Patienten selbst geprüft werden, ob die Verfügung tatsächlich ernst gemeint und noch verbindlich ist (Aktualität).
Wenn das nicht möglich ist und die Zeit es zulässt, sollten diese Fragen unbedingt bei dem in der Patientenverfügung angegebenen "Bevollmächtigten im Notfall", hilfsweise den nächsten Angehörigen des Patienten (Ehefrau, Kinder) unter Zeugen hinterfragt und dokumentiert werden, um Gewissheit über die beiden Punkte zu erhalten.
Mittlerweile stellt die Wachturm-Gesellschaft ihren Mitgliedern z.B. die Behandlung mit Blutfraktionen, d.h. chemisch gewonnenen Seren (Gerinnungspräparate), Gamma-/Immun-Globuline frei (individuelle Eintragung in dem Leer-Feld der "Blutkarte"), nach wie vor nicht jedoch die (Eigen-)Blutspende. Gerade diesbezüglich muss die Aktualität und Tragweite der Patientenverfügung unbedingt und in besonderem Maße überprüft werden.

 

Frage: Und wie ist es bei Kindern, die dies nicht selber entscheiden können, aber die Eltern dagegen sind?

Antwort: Bei Kindern bis zum 14. Lebensjahr ersetzt die Einwilligung der Eltern in die Krankenbehandlung diejenige der Kinder. Hier kann den Kindern von ernsthaft und nachhaltig überzeugten Eltern, die Zeugen Jehovas sind und eine Bluttransfusion ablehnen, nur geholfen werden, wenn den Eltern über ein Gericht für den Behandlungszeitraum das Sorgerecht entzogen wird.

Bei Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr muss der Arzt ermitteln, wie einsichtsfähig sie sind und inwiefern sie selbst in die Krankenbehandlung einwilligen können – möglichst unter Ausschluss der Eltern. Die Eltern können aber aus dem elterlichen Sorge- und Erziehungsrecht in Verbindung mit dem elterlichen Auskunftsrecht heraus verlangen, bei dem Gespräch anwesend zu sein. Die ärztliche Ermittlung muss ergeben, dass der Jugendliche nicht nur einer jugendlichen "Verführung" (Todesromantik) unterliegt und die Folgenschwere seiner Entscheidung in ihrer Bedeutung und Tragweite ernsthaft erfasst und dass er ebenso eigenständig darüber entscheidet wie ein Erwachsener (nicht nur formelhafte Wiedergabe!). Andernfalls wäre wie bei Kindern bis zum 14. Lebensjahr zu verfahren.

 


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