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- Claudia Ley
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- 17.06.2015
Mediquiz: Gefährliches Urlaubsmitbringsel?
Eine junge Frau stellt sich nach einem Auslandsaufenthalt mit Brechdurchfall und körperlicher Schwäche vor. Finde heraus, an was die Frau leidet!
Foto: Alexander Raths – Fotolia.com
Liebe Kolleginnen und Kollegen im Studium,
auch wenn der erste Hype um die Vampirfilme „Biss zum …“ bereits wieder abklingt, möchte ich heute etwas näher auf das Thema Blutarmut eingehen. Ein solcher Befund ist nämlich nur ganz ganz selten auf einen blutdürstigen Flattermann (oder –frau) zurückzuführen, umso breiter ist die restliche differenzialdiagnostische Palette, die wir als behandelnde Ärzte im Hinterkopf behalten müssen.
Als Fallbeispiel darf ich euch heute Fräulein P., eine 23-jährige schlanke Patientin vorstellen, die sich nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in den Vereinigten Arabischen Emiraten in meiner Sprechstunde präsentierte. Sie habe dort im Ausland eine kurze Episode mit Brechdurchfall erlitten und sei danach einfach nicht mehr auf die Beine gekommen, bedingt durch Kurzatmigkeit und körperliche Schwäche.
Fieber oder massive Bauchschmerzen seien nicht aufgetreten, bezüglich des Trinkwassers habe sie darauf geachtet, nur käuflich erworbenes Mineralwasser zu verwenden. Über die Basisregel zur Nahrungsmittelhygiene (cook it, peel it, boil it or forget it) wusste sie bestens Bescheid und beteuerte glaubhaft, diese auch angewendet zu haben. Sie habe sich dann in ein lokales medizinisches Zentrum begeben, wo eine erste Laboranalyse mit folgendem Ergebnis erfolgte:
Hb | 5,4 g/dl | (12-18) |
MCV | 69,2 fl | (80-100) |
MCH | 17,3 pg | (24-32) |
Thrombozyten | 927 Tsd/µl | (150-400) |
Leukozyten | 11,69 Tsd/µl | (4-11) |
Neutrophile | 75% | (40-70) |
Lymphozyten | 15% | (15-40) |
Eosinophile | 2% | (1-6) |
Basophile | 1% | (0-1) |
Monozyten | 7% | (1-8) |
Glucose i.S. | 96mg/dl | (76-150) |
*Normwerte von dortigem Labor übernommen
Was fällt auf? Welche weiteren Laborparameter würdest du erheben?
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Antwort
Es zeigt sich eine ausgeprägte mikrozytäre hypochrome Anämie bei diskreter Leukozytose und begleitender Thrombozytose. Angesichts des geschilderten Brechdurchfalls sollte in jedem Fall nach dem Impfstatus gefragt und Entzündungs-, Retentionsparameter als auch Transaminasen kontrolliert werden. Frau P. war vor ihrer Reise vorbildlicherweise vollständig gegen Hepatitis A und B geimpft worden, ebenso gegen Typhus.
Die restlichen Grundimpfungen entsprechen den STIKO-Empfehlungen. Auch an Darmparasiten wie Amöben muss natürlich gedacht werden, laut Aussage der Patientin sei die diesbezüglich erfolgte Stuhluntersuchung aber unauffällig gewesen, wofür auch der normwertige Anteil der Eosinophilen im Blut spricht, der ansonsten tendenziell eher höher ausfallen würde.
Die Leukozytose erklärt sich vermutlich durch den Magendarminfekt, die Thrombozytose kann als Versuch des Körpers, die Anämie durch eine vermehrte Blutbildung zu kompensieren, interpretiert werden. Wobei auch eine chronische Entzündung zu einer ähnlichen Konstellation führen würde.
Kreatinin 0,67 mg/dl (0,57-1,11)
AST 9 U/l (5-34)
APT 6 U/l (6-55)
GGT 7 U/l (9-36)
Bei uns in Deutschland nachbestimmt wurden noch CRP und BSG, die beide normwertig ausfielen, sodass eine chronische Entzündung als Ursache weitgehend auszuschließen war.
Eine akute Hepatitis scheint angesichts dieser Blutwerte unwahrscheinlich, auch für ein HUS (hämolytisches urämisches Syndrom), an das gerade bei erhöhten Retentionsparametern zu denken wäre, findet sich kein Anhalt.
Welche weiteren Laborparameter könnten ansonsten zum Ausschluss einer hämolytischen Anämie erhoben werden?
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Antwort
Richtig, ein erhöhtes LDH und erniedrigtes Haptoglobin können Hinweis auf eine intravasale Hämolyse sein. Eine extravasale Hämolyse hätte allerdings wenig Auswirkung auf diese Parameter und würde allenfalls durch eine milde Bilirubinerhöhung (Abbauprodukt des Hämoglobins) auffallen.
Welche weiteren Untersuchungen wären bei Verdacht auf eine hämolytische Anämie zur weiteren Differenzierung zudem sinnvoll?
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Antwort
Zum einen würde man in der körperlichen Untersuchung auf einen Ikterus von Haut oder Skleren achten bzw. nach Juckreiz fragen. Auch Milz- und Lebergröße sollten grob bestimmt werden, da diese beiden Organe im Rahmen einer extravasalen Hämolyse, also vermehrtem Abbau von Erythrozyten entsprechend vergrößert wären.
Ebenfalls wichtige Hinweise liefert der U-Status. Bei massiver intravasaler Hämolyse ist der Urin durch das freie Hämoglobin rot gefärbt, bei extravasaler Hämolyse würde eher erhöhtes Bilirubin und Urobilinogen im Teststreifen auffallen. Laborchemisch kann noch ein Coombs-Test erhoben werden, bei dem zum einen nach antikörperbesetzten Erythrozyten (meist IgM, direkter Coombstest) bzw. freien (inkompletten) gegen Erythrozyten gerichteten Antikörpern (meist IgG, indirekter Coombstest) gefahndet wird.
Autoimmunhämolytische Anämien werden übrigens gehäuft bei einer Hepatitis B oder C-Infektion beobachtet, die im Fall unserer Patientin, bei der zusätzlich noch eine Hepatitisserologie erfolgte, aber nicht vorlag.
Bei Aufenthalten im Ausland denkt man auch an eine mögliche Malariainfektion, für die eine hämolytische Anämie ebenfalls typisch ist, erfreulicherweise gehören die Vereinigten Arabischen Emirate aber nicht zu den Risikogebieten.
Damit dürfen wir das Kapitel hämolytische Anämien im Fall von Frau P. vorerst abschließen. Bevor wir uns ihrer weiteren Diagnostik widmen, sollte die Anamnese zur weiteren Eingrenzung der Anämie noch vervollständigt werden.
Welche Fragen würdest du der Patientin noch stellen?
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Antwort
Gerade bei Frauen mit einer mikrozytären hypochromen Anämie interessiert die Regelmäßigkeit und das Ausmaß der Regelblutung. Die bisherigen Blutwerte deuten am ehesten auf eine Eisenmangelanämie hin, die entweder durch einen erhöhten Blutverlust oder eine mangelnde Eisenzufuhr erklärt werden. Entsprechend sollte man auch nach Blut im Stuhl bzw. Schwarzfärbung des Stuhls fragen, auch Resorptionsstörungen im Rahmen einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung oder einer Zöliakie könnten eine Rolle spielen, sodass Auskünfte bezüglich von Durchfall oder Gewichtsverlust bzw. Bauchschmerzen weiterhelfen.
Auch chronische Entzündungszustände wie etwa bei rheumatoider Arthritis oder Kollagenosen können zu einer Anämie führen. Frau P. hatte aber weder bezüglich ihrer Regelblutung, noch des Stuhlverhaltens oder –farbe Änderungen bemerkt, chronische Krankheiten oder regelmäßige Medikamenteneinnahme wurden verneint und auch Appetit und Gewicht seien durchweg konstant gewesen.
Allerdings fiel auf, dass sich die Patientin seit ihrer Kindheit rein vegetarisch ernährt, ohne dass es ihr hierunter jemals subjektiv schlecht gegangen wäre. Tumorerkrankungen in der Familie seien ihr nicht bekannt. Der Hämocculttest in der initialen Abklärung fiel negativ aus, sodass ein akuter gastrointestinaler Blutverlust als Ursache der ausgeprägten Anämie weitgehend ausgeschlossen werden konnte.
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Antwort
Wie bereits beschrieben deutet bisher alles auf eine Eisenmangelanämie hin, sodass zur Diagnosesicherung in jedem Fall der Ferritinspiegel bestimmt werden sollte. Angesichts der vegetarischen Ernährung empfiehlt sich jedoch auch eine Bestimmung von Vitamin B12, auch wenn diese Form der Anämie sich eher makrozytär hyperchrom äußert. Grundsätzlich sollte bei einer Anämie immer zunächst ein Blutbild zur Einschätzung von Größe und Hb-Gehalt der Erythrozyten erfolgen, je nach Resultat dann die weiterführende Labordiagnostik.
Bei Frau P. hatte sich nun bei einem Ferritin von 2,5 ng/ml (Norm 12-150) tatsächlich eine Eisenmangelanämie bestätigt, das Vitamin B12 lag noch im unteren Normbereich. Anhalt für einen übermäßigen Blutverlust durch die Regelblutung gab es nicht, auch eine Malresorption bzw. gastrointestinale Blutung oder Tumor (bei blander Familienanamnese) schienen unwahrscheinlich, sodass am ehesten von einem nutritiv bedingten Mangel, an den die Patientin offensichtlich schon gut adaptiert war, auszugehen war.Die passagere akute Gastroenteritis hatte vermutlich das Fass zum Überlaufen bzw. die typischen Anämiesymptome zum Vorschein gebracht. Unter oraler Eisensubstitution über mehrere Monate besserten sich Hb- und Ferritinwert signifikant, während Kurzatmigkeit und Müdigkeit deutlich abnahmen. Um einen sekundären Vitamin B12- Mangel durch den erhöhten Bedarf während der vermehrten Blutbildung zu vermeiden, erhielt Frau P. zusätzlich über 2 Monate eine orale Vitamin B12-Substitution.
Warum erfolgt diese bei Patienten mit typischer Vitamin-B12-Mangel-Anämie eher primär intramuskulär und nicht oral?
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Antwort
Die sogenannte perniziöse Anämie ist in den meisten Fällen durch einen Mangel an Intrinsic Factor, der im Magenantrum produziert wird, bedingt. Dieser wiederum ist oftmals Folge einer chronischen atrophen Gastritis (Typ A Gastritis). Ohne Intrinsic Factor kann Vitamin B12 im Ileum jedoch nicht resorbiert werden, sodass eine orale Substitution nicht zielführend wäre.
Desweiteren kommen häufig Malresorptionssyndrome im Rahmen chronischer Darmerkrankungen vor, bei denen eine vermehrte orale Zufuhr von Vitamin B12 auch nur einen begrenzten Effekt hätte, sodass die intramuskuläre oder subkutane Gabe auch hier vorzuziehen ist.
Frau P. erhielt abschließend zudem eine Ernährungsempfehlung, um auch als Vegetarierin nach Abschluss der Eisensubstitution eine ausreichende Zufuhr aufrechterhalten zu können.
Welche Lebensmittel mit höherem Eisengehalt würden dir spontan einfallen?
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Antwort
Klar, den höchsten Eisengehalt bieten Fleischprodukte, wobei Rindfleisch nochmals mehr Eisen als beispielsweise Geflügelfleisch enthält. Dennoch müssen Vegetarier deshalb nicht zu Fleischessern werden, allerdings kann es durchaus hilfreich für sie sein, die Ernährung zumindest durch Fisch zu erweitern, der ebenfalls etwas mehr Eisen liefert, als pflanzliche Nahrungsmittel.
Ansonsten empfiehlt sich die Zufuhr von Eiern, Milch und Getreideprodukten, wobei Milch und Eier am besten separat zugeführt werden sollten, da sie ansonsten die Eisenresorption im Darm eher hemmen. Verbessert wird die Eisenaufnahme wiederum durch Oxidanzien wie Vitamin C, sodass die Patienten ihr Essen am besten mit einem Glas Orangensaft kombinieren, aber auch der Zusatz von Zitronen oder Tomaten kann bereits helfen. Desweiteren wäre Kohlgemüse wie Brokkoli oder Blumenkohl, aber auch Rüben und Kürbis eine gute Wahl.
Zu vermeiden ist hingegen Tee, Kaffee, Zink- oder Phosphatzusätze, aber auch Protonenpumpenhemmer, die die Resorption verschlechtern. Während ein kleines Glas Weißwein durchaus einen förderlichen Beitrag leisten kann (und von den Patienten meist als Alternative gerne akzeptiert wird).
Trotzdem wird sich Frau P. ca. 6-12 Monate nach Absetzen der Eisensubstitution zu einer erneuten Kontrolle von Blutbild und Ferritin vorstellen, denn einige Vegetarier benötigen in der Tat eine dauerhafte, dann meist im Intervall durchgeführte zusätzliche Substitution, um nicht wieder in die Anämie abzurutschen.
In der Hoffnung, dir hiermit etwas Motivation und Interesse an der Vertiefung des Themas geliefert zu haben (vielleicht werdet ihr die kommenden Vampirfilme nun mit einem etwas anderen Auge betrachten …)
grüßt dich ganz herzlich aus der hausärztlichen Praxis,
deine Claudia