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  • Thomas Krimmer
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  • 14.03.2017

Krank - Ein Drama in und mit 4 Akten

Nach einer wahren Geschichte, im Klinikalltag erlebt.

1. Akt

Wir schreiben das Jahr 2017. Ort der Handlung: ein mittelgroßes Krankenhaus irgendwo in Süddeutschland. Internistische Akutstation. Handelnde Personen: Justus, der Assistenzarzt; Dr. Kardio, der Oberarzt; Sybille, die Krankenschwester.

Auszüge einer Visite. Ein langer Flur, zu dessen Beginn sich die drei handelnden Personen befinden. Ein Visitenwagen. Darauf die Akten der neu aufgenommenen Patienten, die am vergangenen Abend und der vergangenen Nacht in der Notaufnahme vorstellig wurden.

Justus: Patient Warter neu in Zimmer 1, am gestrigen Abend vorstellig geworden mit Husten seit zwei Wochen. Außerdem Patient Unwohl, am späten Abend aufgetaucht, da er sich irgendwie komisch gefühlt habe.

Justus, Dr. Kardio und Sybille betreten Zimmer 1.

Dr. Kardio: Herr Warter, wie fühlen Sie sich?
Hr. Warter: Ich bin wirklich schlapp. Huste jetzt schon seit zwei Wochen und wollte das mal abchecken lassen.
Dr. Kardio: Waren Sie denn schon mal beim Hausarzt?
Hr. Warter: Äh, nein…
Dr. Kardio: Die bisherigen Untersuchungen und Laborwerte waren völlig unauffällig, dann können Sie heute wieder nach Hause. Wenn es nicht besser wird, lassen Sie es ambulant vom Hausarzt abklären.
Hr. Warter: Aber kann man das nicht auch gleich hier machen?
Dr. Kardio: Dies ist eine Station für akute Notfälle, Sie sind kein Notfall.
Herr Warter: zieht eine unzufriedene Miene, murmelt Unverständliches

Justus, Dr. Kardio und Sybille wenden sich Patient Unwohl zu.

Dr. Kardio: Herr Unwohl, können Sie noch einmal schildern, warum Sie gestern in die Notaufnahme kamen?
Hr. Unwohl: Ach, irgendwie war mir so komisch. Weiß auch nicht so recht, aber zur Sicherheit bin ich mal hergekommen. Aber jetzt geht’s mir wieder gut.
Dr. Kardio: Dann können Sie ja heute nach Hause. Wir machen die Papiere fertig.
Hr. Unwohl: Gut, ich sage meiner Frau Bescheid, dass sie mich in einer halben Stunde holen kann. Bis dahin ist der Brief doch fertig oder?
Justus: versucht, seine böse Miene zu zügeln, lächelt dann verkrampft

Justus, Dr. Kardio und Sybille verlassen das Zimmer. Der Aktenwagen wird vor Zimmer 2 geschoben.

Justus: In Zimmer 2 ist Herr Stark, 47 Jahre alt. Gestern Abend erstmaliges Auftreten von Vorhofflimmern, hochsymptomatisch mit Schwindel, Brustschmerz, Luftnot. Ist dann erfolgreich kardiovertiert worden. Patient mit Darmkrebs im Endstadium, multiple Leber-, Lungen- und Hirnmetastasen, palliative Behandlung. Möchte gerne nach Hause.

Sie betreten das Zimmer des Patienten. Im Bett liegt ein magerer Mann von aschfahler Hautfarbe, der haarlose Schädel völlig eingefallen. Er schläft tief. Leise verlassen die drei wieder das Zimmer.

 

2. Akt

Justus schiebt den Aktenwagen zur Stationszentrale und verschwindet im Arztzimmer. Er setzt sich an den Computer und beginnt, den Brief von Patient Unwohl zu schreiben. Es klopft an der Tür. Patient Unwohl kommt herein.

Hr. Unwohl: Ist mein Brief schon fertig? Weil meine Frau ist jetzt da und wir würden dann gerne los.
Justus: Nein, es dauert noch einen Moment.
Hr. Unwohl: Verdreht die Augen und schließt die Tür.

Justus tippt weiter auf dem Computer. Das Telefon klingelt. Justus nimmt ab.

Sybille: Du hast gerade noch einen neuen Patienten bekommen. Herr Dünn, hat Abführmittel genommen und kommt jetzt mit Durchfall. Sei heute schon viermal auf Toilette gewesen.

Justus bedankt sich und legt auf. Er tippt weiter den Brief.

 

3. Akt

Justus tippt noch immer. Das Telefon klingelt erneut. Justus nimmt ab.

Sybille: Herr Stark ist jetzt wach, wenn du ihn nochmal anschauen möchtest. Seine Frau ist auch da. Und Herr Dünn fragt, wann endlich ein Arzt nach ihm sieht.
Justus: Danke, ich sehe zuerst nach Herr Stark.

Justus geht zu Zimmer 2, klopft und tritt ein. Patient Stark liegt mit nacktem Oberkörper im Bett. Jeder einzelne Knochen seines Brustkorbs zeichnet sich deutlich unter der Haut ab. Auf dem Bauch klebt ein Stomabeutel. Er lächelt breit und schaut Justus mit freundlichen Augen an.

Justus: Herr Stark, wie geht es Ihnen? Wir hatten geplant, Sie heute nach Hause zu lassen.
Stark: Heute geht’s mir wirklich super. Wenn es so bleibt, bin ich zufrieden. Dann zu Hause noch mein eigenes weiches Bett und alles ist gut. Wenn Sie mir nur vielleicht noch ein wenig Schmerzmittel geben könnten, damit ich schlafen kann?
Justus: Natürlich, kein Problem. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?
Stark: Danke. Wie gesagt, mir geht es gut. Viele Leute verstehen das nicht, wenn sie mich so sehen, aber glauben Sie mir, ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein. Ich konnte in letzter Zeit schlecht essen, weil ich überhaupt keinen Appetit hatte, aber das Frühstück heute Morgen: ein Gedicht. Hoffentlich klappt es jetzt wieder besser mit dem Essen, damit ich bald wieder Kraft habe zum Laufen. Gutes Essen und ein weiches Bett, mehr brauche ich wirklich nicht. Anderen fällt es häufig schwer, das zu akzeptieren. Aber ich sage immer: Leben und Sterben, was heißt das schon? Im Moment lebe ich und das ist gut. Vielleicht hab ich noch ein paar Monate, vielleicht nicht. Ich mache das Beste draus und denke nicht zu viel nach über das, was kommen wird. Wenn es kommt, kann ich mir auch dann noch Gedanken machen. Und sonst bin ich absolut glücklich und zufrieden mit meinem Leben. Wirklich, es geht mir gut.
Justus: Mit Tränen in den Augen Ich wünsche Ihnen wirklich alles erdenklich Gute und dass Sie weiterhin so zufrieden bleiben. Ich kümmere mich dann noch um das Schmerzmittel und mache Ihre Papiere fertig.
Stark: Vielen lieben Dank. Aber hetzen Sie sich nicht so mit den Papieren, ich hab ja Zeit.

 

4. Akt

Justus verlässt ganz gerührt das Zimmer. Vor Zimmer 3 steht Patient Dünn, macht eine ungeduldige Miene und diskutiert mit Sybille. Satzfetzen wie „immer noch kein Arzt da gewesen“ und „außerdem funktioniert der Fernseher nicht“ dringen an Justus‘ Ohr. Justus macht sich auf den Weg zurück ins Arztzimmer. Er wird von Patient Warter aufgehalten. Ein Schwall von Zigarettenduft umgibt Warter, die Schachtel hält er noch in seiner Hand.

Hr. Warter: Also Herr Doktor, eigentlich fühle ich mich zu schlapp zum Heimgehen. Warum kann man das denn nicht hier abchecken, wo ich schon mal da bin? Im Krankenhaus gibt’s da doch viel mehr Möglichkeiten.
Justus: Wie gesagt, ihre Untersuchungen waren völlig in Ordnung. Es gibt im Moment nichts, was wir hier für Sie tun könnten. Sie müssen sich dann zu Hause ein wenig ausruhen.
Hr. Warter: Ich bin total schlapp. Unglaublich, dass man mich in so einem schlechten Zustand heimschickt. Wer weiß, ob ich es überhaupt nach Hause schaffe, so schlecht wie es mir geht. Dreht sich um und verschwindet.

 

 

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