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  • Silja Schwencke
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  • 19.12.2014

Alltagsleiden Alopezie - Ein haariges Problem

Kopfhaare wärmen ein bisschen, liegen ansonsten aber eher sinnlos auf unserer Schädel­decke herum. Wenn sie verloren gehen, brechen viele Menschen dennoch in ­Panik aus. Volles, schönes Haar gilt als Zeichen für jugendliche Kraft und Gesundheit. Lesen Sie, ­warum Haarausfall in der Regel trotzdem keine Angst auslösen sollte.

 

Illustration, Foto: Kirsten Oborny

 

Von der Kraft männlicher Haare erzählt schon die Bibel: Die Philisterin Delila schert ihrem Geliebten Samson eines Nachts eine Glatze – und seine Macht ist gebrochen. Das Kopfhaar verlieh ihm unbezwingbare Stärke. Doch kahl geschoren überwältigen ihn seine Feinde mit links. Angefangen mit dieser Geschichte bis heute steht volles Haar bei Männern wie bei Frauen für Kraft, Gesundheit und Erotik.

 

Studien zufolge werden Männer mit Glatze von ihren Mitmenschen durchschnittlich zwar als intelligenter, aber auch als älter und sexuell weniger attraktiv eingeschätzt als Männer mit üppigem Haar. Zwar sagen Durchschnittswerte nichts über den Sexappeal Einzelner aus. Trotzdem lässt es kaum jemanden kalt, wenn der „Kopfpelz“ sich lichtet. Dabei gilt ein Verlust von 60 bis 100 Haaren am Tag als normal, solange genauso viele nachwachsen. Erst wenn mehr in der Bürste, der Dusche oder auf dem Kopfkissen bleiben, spricht man von Haarausfall.

  

Der Klassiker: Stirnverlängerung mit Tonsur

Die Gründe für Haarausfall sind fast so zahlreich wie die Haare selbst. Diäten und Essstörungen können genauso dahinterstecken wie Medikamente oder Vergiftungen. Die mit Abstand häufigste Ursache bei Männern und Frauen ist aber die androgenetische Alopezie, der anlagebedingte Haarausfall. In mehr als neun von zehn Fällen steckt er hinter dem Verlust.

 

Eine große Rolle spielt dabei das Hormon Dihydrotestosteron (DHT). Es entsteht durch die 5-alpha-Reduktase aus Testosteron. DHT verkleinert die Haarfollikel und verkürzt die Wachstumsphase der Haare. Diese werden dadurch früher abgestoßen und wachsen dünner und zarter nach, bis sie fast gänzlich verschwinden.

 

Wie empfindlich Haarwurzeln auf DHT reagieren, ist genetisch vorbestimmt. Je älter Betroffene werden, umso stärker wird die Alopezie normalerweise. Beim Mann verläuft die androgenetische Alopezie oft gemäß dem sogenannten „Hamilton-Norwood-Schema“: Zuerst erscheinen an den Schläfen und der Stirn „Geheimratsecken“. Dann lichtet sich der obere Hinterkopf, eine „Tonsur“ entsteht.

 

Zum Schluss bleibt nur ein Haarkranz erhalten, der von den Ohren um den Hinterkopf herum zieht. Bei Frauen dünnt sich meist der Mittelscheitel aus, während Hinterkopf und Schläfen behaart bleiben. Warum manche Haarpartien reagieren, andere kaum, später oder gar nicht, ist unbekannt.

 

Bei Frauen tritt die androgenetische Alopezie sehr viel seltener auf als bei Männern. Für beide Geschlechter gilt aber: Fallen die Haare nach einem anderen Muster aus, also etwa in kreisrunden Arealen oder diffus, steckt wahrscheinlich etwas anderes, möglicherweise ernsthaftes dahinter. Dann sollte man nach der Ursache forschen. Ist diese beseitigt, wachsen die Haare normalerweise bald wieder nach.

 

Auch die Herkunft spielt eine Rolle: Chinesen und Indianer werden sehr spät kahl, und afrikanische Männer oft später als europäische. Hierzulande haben im 70. Lebensjahr etwa acht von zehn Männern zumindest eine leichte Alopezie. Bei fünf Prozent setzt sie vor dem 20. Lebensjahr ein.

 

Historische Gegenmittel: von Knoblauch bis Botox

Obgleich die Alopezie per se im Prinzip völlig harmlos ist, spüren die Betroffenen mitunter einen extremen Leidensdruck. Kein Wunder also, dass Menschen schon lange nach einem Mittel gegen Haarausfall fahnden. Vor 4.000 Jahren benutzen die Ägypter eine Tinktur aus gemahlenen Hundepfoten und Eselshufen. Im Mittelalter sollte es helfen, den Kopf mit Pferdeurin einzureiben. Daneben kamen und kommen bis heute immer wieder pflanzliche Stoffe zum Einsatz, etwa Bockshornklee oder Sanddorn. Kahle Stellen mit zerriebenem Knoblauch zu behandeln, soll ebenfalls nützen.

 

Ende des 19. Jahrhunderts meinten Forscher, dass die Haare vor allem dort ausfallen, wo die Muskulatur der Kopfhaut besonders stark verspannt ist. Nach dieser Theorie versuchten Ärzte vor gut dreißig Jahren, die Spannungen und damit den Haarausfall zu lindern, indem sie die Kopfhautmuskulatur von der Kopfschwarte trennten. Heute sollen Injektionen mit Botulinumtoxin A die Muskeln entspannen. Und anstelle der Hundepfoten sind moderne Mittel wie „Mikronährstoffe“ oder „Thymus-Peptide“ getreten. Gemeinsam ist allen: Dass sie wirklich helfen, ist nicht bewiesen.

 

Wirksam! Blutdrucksenker und Prostatamedikament

Ein paar Mittel, die Haarausfall verlangsamen können, gibt es. Bis sie wirken, dauert es allerdings oft Monate. Und setzt man sie ab, fallen die Haare meist schnell wieder aus. Für Männer und Frauen sind verschiedene Stoffe geeignet. Minoxidil bildet eine Ausnahme. Wie dieser ­Blutdrucksenker gegen Haarausfall wirkt, ist nicht genau geklärt. Man vermutet, dass die Haarfollikel von den erweiterten Kapillaren profitieren. Vor allem Männern unter 30 Jahren soll Minoxidil helfen. Dafür sollten sie das Mittel zweimal täglich auftragen – ein Leben lang.

 

Auch der zweite wirksame Stoff ist eigentlich für etwas anderes gedacht: Finasterid hilft bei gutartig vergrößerter Prostata. Es hemmt die 5-alpha-Reduktase, sodass weniger DHT entsteht und die Wachstumsphase der Haare sich verlängert. Finasterid wirkt ebenfalls nur, solange man es einnimmt. Schwangere Frauen sollten um das Mittel ­einen Bogen machen, da es die Geschlechtsentwicklung des Kindes stören kann. Für Frauen mit androgenetischem Haarausfall kommen etwa hormonelle Verhütungsmittel in Frage, in schweren Fällen auch der Testosteron-Antagonist ­Cyproteron. Auch östrogenhaltige Haartinkturen bieten sich an, ihre Wirksamkeit ist allerdings nicht gut belegt.

 

In Zukunft: Augentropfen gegen Haarausfall?

Manche Männer versuchen es auch mit einer Transplantation. Früher entnahm man dafür Hautstreifen aus dem Haarkranz am Hinterkopf. Heute heißen die Zauberworte „Follicular Unit Extraction/Insertion“ (FUE/FUI). Dabei transplantieren die Operateure winzige Bündel aus ein bis vier Haaren, sogenannte follikulare Einheiten. Diese gewinnen sie mit einer Mikrohohlnadel aus dem Hinterkopf und setzen sie mit dem Mikroskalpell an kahlen Stellen in winzige Kanäle. So entstehen keine Narben. Die OP dauert aber Stunden, und mehr als 4.000 FUs pro Tag sind nicht möglich. Die Kosten belaufen sich auf mehrere tausend Euro.

 

Überflüssig könnte manche Transplantation werden, wenn Studien von Dermatologen aus den USA halten, was sie versprechen. Die Forscher wiesen nach, dass auch in kahlen Stellen noch intakte Haarfollikel-Stammzellen sitzen, die bloß nicht mehr wachsen. Den Stoff, der die Stammzellen wahrscheinlich hemmt, entdeckten sie kürzlich: Prosta­glandin D2.

 

Durch einen Gegenspieler von PGD2 könnten also neue Haare sprießen. Dafür haben die Dermatologen schon einen Kandidaten ausgemacht: Latanoprost, ein Analogon von Prostaglandin F2 alpha. Als Augentropfen senkt es den Augen­innendruck. Aufgefallen ist der Stoff bereits durch eine bemerkenswerte Nebenwirkung: Die Wimpern wachsen.

 

Typische Formen und Ursachen von Haarausfall

Ausfall an Schläfen,Stirn und am Hinterkopf:

 

Kreisrunder Haarausfall:

 

Mottenfraßähnlicher Haarausfall:

 

Diffuser Haarausfall:

 

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