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  • Björn-Ole Bast
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  • 04.05.2016

350 Jahre Medizinstudium in Kiel - eine Zeitreise

Zum 350. Jubiläum der Universität organisierte die Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung der Universität eine beeindruckende Ausstellung über Kieler Innovationen, Entdeckungen und Erfindungen in der Medizin. Als Kieler Lokalredakteur durfte ich das natürlich keinesfalls verpassen.

Eine Übersicht; Kieler Köpfe und allerhand Innovationen und Errungenschaften auf einen Blick. 


Gründung einer Fakultät

Wir schreiben den 05. Oktober 1665, als der Rektor der Universität, Christian-Albrecht Fürst zu Gottorf die Professoren Johann Daniel Major und Caspar March, feierlich zu den ersten beiden Medizindozenten in Kiel beruft. Es ist die Geburtsstunde der medizinischen Fakultät an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Grundstein für unzählige Innovationen, die zum Teil noch heute Anwendung finden.

Ein neues Leben

Die Ursprünge der Geburtshilfe gehen auf Gustav Adolf Michaelis zurück, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Untersuchung von 1000 Becken feststellte, dass man von der Form auf eventuelle Geburtskomplikationen schließen könne. Er bewies jedoch auch, dass ein enges Becken nicht automatisch ein Hindernis für eine Geburt ist. Die Ausstellung zeigt hierzu ergänzend den „Kieler Beckenschrank“ der viele deformierte Becken zur Ansicht beinhaltet.

Bei seinen Entdeckungen formte Michaelis den Begriff der „Michaelis-Raute“ bei der Frau. Bei dieser Raute handelt es sich um ein auffälliges Oberflächenrelief in Form eines gleichschenkligen Quadrates am unteren Rücken jeder Frau. Ist diese Raute verformt, spricht das für eine Deformität des Beckens und mögliche Geburtskomplikationen.

Die Feuchtpräparate der pathologischen Sammlung sind pünktlich zum internationalen Museumstag ab dem 22.05. wieder zu sehen. 


Soldat, Samariter, Chirurg

Johann Friedrich August von Esmarch revolutionierte nicht nur die medizinische Notfallversorgung, sondern entwickelte chirurgische Techniken, die noch heute verwendet werden. Als Sanitätsoffizier und späterer Generalarzt entwickelte von Esmarch zum Beispiel die Kombination von Verbänden am Arm, zu denen unter anderem das Dreieckstuch zählt – eine Tafel in der Ausstellung zeigt die unterschiedlichen Verbandtechniken.

Außerdem legte von Esmarch einen Grundstein für die „Erste-Hilfe“. Er gründete Samaritervereine und Rettungssysteme, doch damit nicht genug: der sogenannte von-Esmarch-Handgriff zum Freihalten der Atemwege wird immer noch angewendet, genauso wie die Extremitäten-Chirurgie unter Blutleere.

Aus 1 mach 2

Der Name Walther Flemming sollte jedem Studenten ein Begriff sein. Dass Flemming als Leiter des Anatomischen Institutes in Kiel die Mitose beschrieb, wissen vermutlich die wenigsten.

Flemming publizierte seine Entdeckungen zur Zellteilung im Jahre 1882 mittels Zeichnungen, die die einzelnen Stadien der Mitose aufzeigen. Das dabei entstehende besonders gefärbte Fadengerüst nannte er Chromatin.

Histologie – die Lehre von der Mikroskopie in groß. Von Färbetechniken bis zur Präparat-Anfertigung.


Dem Nobelpreis so nahe

Heute forschen die meisten Mediziner auf ein und demselben Gebiet einer bestimmten Fachrichtung. Zu Zeiten von Heinrich Irenäus Quincke war das noch ganz anders. So forschte der Direktor für Innere Medizin in Kiel auf dem Gebiet der HNO, Inneren Medizin und Neurologie.

1882 beschrieb Quincke erstmalig ein akutes umschriebenes Haut- und Schleimhautödem, das seit 1900 als Quincke-Ödem bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um eine Wasserumlagerung in tieferen Schichten des Gewebes, durch eine krankhafte Veränderung von Blutgefäßen. Eine Rolle spielen dabei unter Umständen Histamin und/oder Bradikinin.

In der Neurologie entwickelte Quincke die Lumbalpunktion für die Diagnose und Therapie des erhöhten Hirndrucks – eine Nobelpreiswürdige Entwicklung. Den Preis hat Quincke trotz fünfmaliger Nominierung jedoch nicht erhalten.

Anaerobe Glykolyse

Otto Fritz Meyerhof war von 1912 bis 1924 am physiologischen Institut in Kiel tätig. Er erforschte die Energietransformation in lebenden Zellen, Stoffwechselprozesse der Muskelkontraktion und analysierte den Glykogen-Milchsäurezyklus. Für die Beschreibung der anaeroben Glykolyse des Muskels erhielt Meyerhof 1922 den Nobelpreis und schrieb somit Kieler Medizingeschichte.

350 Jahre Medizinstudium in Kiel; Interaktiv und modern präsentiert sich die Sonderausstellung zum Universitätsjubiläum. Plakate und historische Stücke und Präparate prägen das Bild der Ausstellung.


Ein Name, eine Krankheit

Der spätere Direktor der Kieler Psychiatrie beschäftigte sich im Rahmen seiner Habilitation in Kiel (1920-1924) mit einem zuvor unentdeckten Erkrankungsmechanismus des Gehirns. Seine Entdeckung, eine neurodegenerative schwammartige Veränderung, wird seit 1922 als Creutzfeldt-Jakob Erkrankung bezeichnet. Der Infektions- und Pathomechanismus der Krankheit durch Prionen im Gehirn wurde erst später mit technischem Fortschritt beschrieben.

Weltweiter Ruhm

Karl Lennert evolutionierte das Gebiet der Lymphome, indem er 1963 als Leiter der Kieler Pathologie das weltweit anerkannte Kieler Lymphknotenregister gründete und 1974 die sogenannte Kiel Klassifikation zur Einteilung maligner Lymphome (Non-Hodgkin Lymphome) entwickelte. Heute lagern in diesem „Schatz für die Forschung“ über 300.000 Proben von Lymphomen, wodurch die Erforschung dieser Erkrankung weltweit profitiert.
Zur Würdigung seiner Verdienste erhielt der Neubau des Krebszentrums am UKSH Campus Kiel mit der Eröffnung den Namen Karl-Lennert-Krebszentrum.

Ein Blick durchs Schlüsselloch

Sie ist heute nicht mehr wegzudenken: die sogenannte Schlüssellochchirurgie - also minimal invasive Eingriffe. Pro Jahr finden allein in Deutschland ca. ein Viertel aller Operationen auf diesem eleganten Wege statt (Stand 2010). Doch wer die Methode entwickelt hat, ist den meisten nicht bekannt. Als einer der Pioniere gilt der Feinmechaniker und Mediziner Kurt Semm, der die Entwicklung der winzigen Instrumente Ende des 20. Jahrhunderts sehr weit vorantrieb.

Zudem erschuf Semm den Pelvitrainer, eine Apparatur mit der man die neuen Operationstechniken erlenen kann, ohne einen Patienten zu gefährden. Wer schon einmal bei einem solchen Eingriff dabei war, weiß, wie einfach das ganze auf dem Monitor aussieht.
In der Ausstellung hatte ich die Möglichkeit, den Pelvitrainer selbst auszuprobieren. Mittels zweier Instrumente, den Blick auf den Monitor gerichtet, sollte ich einen Pfeifenputzer durch Metallringe fädeln. Ich muss sagen, trotz meines guten räumlichen Vorstellungsvermögens, war das eine ziemliche Herausforderung.

Medizin im Alltag – im „Denkraum“ finden die Perspektiven der Medizin einen Platz.


Epilog – Termine und Meer

Beim Betreten der Sammlung hätte ich nicht gedacht, dass so viele Namen die Kieler Medizingeschichte prägen. Überflutet von Eindrücken einer liebevoll und modern gestalteten Ausstellung konnte ich hier nur auf eine kleine Auswahl eingehen. Ebenso bedeutsame Namen, wie Carl von Kupffer (Kupffer-Zellen und Sternzellen der Leber), Gerhard Küntscher (Erfindung des Marknagels), Hans Meyer (Pionier der Strahlentherapie) und Hans-Rudolf Wiedemann (Erstbeschreiber des Wiedemann-Beckwith-Syndroms) möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen.

Die Ausstellung wird noch einmal am 28.05. und 29.05.2016 (jeweils um 12:00 und um 14:00) im Rahmen von Führungen durch das Museum zu sehen sein. Einen Besuch kann ich jedem Mediziner und Nicht-Mediziner aus Kiel nur ans Herz legen.

Ab dem 22.05. wird pünktlich zum internationalen Museumstag wieder die pathologische Feuchtpräparate-Sammlung zu sehen sein. Am Museumstag selbst ist der Eintritt kostenfrei und es gibt spezielle Führungen durch Dozenten der Anatomie und Pathologie – Alle weiteren Infos dazu findest du hier.

Zum Schluss möchte ich mich noch bei der Museumsleiterin Frau Fuhry für die Kooperation und das Bildmaterial bedanken (alle Fotos: © Birgit Rautenberg/Lorenz Oberdörster - Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung Kiel)

 

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