Zurück zu Taiwan (Republik China)
  • Bericht
  • |
  • Text und Foto Yen-Ying Wu
  • |
  • 17.08.2009

Gastroenterologische Famulatur inTaiwan

Wer hätte gedacht, dass ich ausgerechnet in Taiwan zum ersten Mal für einen eigenen Patienten verantwortlich sein sollte? Als chinesische Muttersprachlerin, bikulturell Aufgewachsene und Medizinstudentin im 5. klinischen Semester habe ich mir diese Aufgabe zugetraut.

Yen-Ying mit einem Kommilitonen - alle Fotos von Yen-Ying Wu

 

Patientenkontakt auf Chinesisch

 

Begrüßung

Ich laufe ins Krankenzimmer. Der Patient sitzt bereits auf dem Bett. Ich erinnere mich daran, dass in Taiwan ein Händeschütteln nicht zur alltäglichen Begrüßung gehört. Höflichkeit bedeutet zuzulächeln, kurz zu nicken und dann die entsprechende "familiäre" Bezeichnung hinzuzufügen.

Bei älteren Patienten benutzt man "pópo" (Bedeutung: Großtante oder Omi) bzw. "bóbo" (Bedeutung: Opi); Patienten im "mittlerem Alter" können mit Familiennamen + Herr (z.B. Wu xiansheng bedeutet Herr Wu) angeredet werden. Unverheiratete Frauen können jiejie (Bedeutung: große Schwester; natürlich nur verwenden, wenn Patientin wirklich älter als man selbst ist) oder Familienname + xiaojie (z.B. Wu xiaojie bedeutet Fräulein Wu) genannt werden. Verheiratete Frauen werden meistens ayí (Bedeutung: Tante) genannt. Natürlich sollte man insbesondere bei Frauen aufpassen, sie nicht zu alt einzuschätzen. Jemanden im Alter von 25 ayí zu nennen, kann für diejenige unter Umständen beleidigend sein. Bei kleinen Kindern unterscheidet man zwischen männlich ("didi" für kleiner Bruder) und weiblich ("mèimèi" für kleine Schwester).

 

Mein Patient

Ich schaue auf meine Notizen. Mein Patient ist 43 Jahre alt, Familienname Hsu. "Hsu xiansheng, Ni Hao" (Guten Tag, Herr Hsu). Ich stelle mich mit Namen (in Taiwan heiße ich Wu Yen-Ying und nicht Yen-Ying Wu) und Funktion vor. Die Anamnese und die körperliche Untersuchung kann ich wieder so gestalten, wie ich es im Westen gelernt habe.

 

Keine Angst vor Chinesisch! Auch ausländische Studenten kommen im taiwanesischen Krankenhaussystem zurecht.

 

Mein 43 jähriger Patient leidet seit Jahren an Müdigkeit und wird nun zur Abklärung des Hepatozellulären Karzinoms eingewiesen. Seit der Geburt ist er Hepatitis B Virus (HBV) Träger. Seine Mutter und sein älterer Bruder sind in Folge des HCC gestorben. Seit vier Monaten nimmt der Patient das Nukleosidanalogon Entecavir ein. Zuvor wurde er drei Monate lang mit Lamivudine behandelt. Sonstige Vorerkrankungen des Patienten sind Diabetes mellitus und Hypertension, welche er durch geeignete Ernährung kontrolliere.

 

Das Hepatozelluläre Karzinom

Das HCC in Taiwan

Mein Patient gehört zu den 3 Millionen HBV Trägern in Taiwan. Aufgrund des fehlenden Impfschutzes seiner Generation liegt die Prävalenz dieser Altersgruppe bei 15-20%.

Seit 1984 wurden in Taiwan alle Neugeborenen mit HBVsAG positiven Müttern geimpft. 1986 wurde die landesweite Impfpflicht eingeführt. Laut Literatur erhalten heutzutage über 90% der der Neugeborenen den Impfschutz. Die Rate an konnatalen HBV Carriern bei hochinfektiösen Müttern ist dadurch von 86-96% auf 12-14% gesunken.

Die Prävalenz von HBsAg positiven sechsjährigen Kindern ist von 10,5 auf 1,7% gefallen. Bis zum Jahr 2010 soll die Prävalenz der HBV Träger in Taiwan bei weniger als 0,1 % liegen.

Nach Beasley et al. ist das Risiko ein HCC zu entwickeln bei HBV Trägern 100 Mal größer als bei Nichtinfizierten. Besonders asiatische HBV Träger ab dem 40. Lebensjahr und HBV Trägerinnen ab dem 50. Lebensjahr gehören zur Hochrisikogruppe des HCC. Ab diesem Alter überschreitet die jährliche Inzidenz des HCC 0,2%. Sakuma et al. fanden heraus, dass die jährliche Inzidenz des HCC bei japanischen Bahnarbeitern bei 0,4 % liegt.

In Taiwan sieht die Lage seit Einführung der Impfpflicht positiver aus: Huang und Lin bestätigen, dass die jährliche Inzidenz des HCC bei Kindern im Alter von 6-14 Jahren signifikant gesunken ist. Kinder die zwischen 1974-1984 geboren worden sind hatten noch eine jährliche Inzidenz von 0,52/100.000, während die Geburtsjahrgänge 1986-1988 nur noch eine Inzidenz von 0,13/100.000 pro Jahr verzeichnen.

 

Diagnosestellung des HCC

Bei meinem Patienten wurde letztes Jahr eine Leberbiopsie durchgeführt. Dabei sei eine Leberzirrhose festgestellt worden.

Mein "senior" erklärt mir, dass neben den cyto-histologischen Kriterien auch non-invasive Kriterien bestünden, die für die Diagnosestellung des HCC relevant seien: In zwei verschiedenen bildgebenden Verfahren (Sono mit Kontrastmittel, Spiral CT, MRI oder Angiografie) müssen mehr als 2 cm große fokale Läsionen mit einer arteriellen Hypervaskularisation zu entdecken sein.

Im Sono meines Patienten zeigen sich kleine runde Knötchen in beiden Lobuli. Bei dem CT sind sich die Ärzte nicht sicher und können nur einen Verdacht auf das HCC äußern. Zur weiteren Abklärung soll der Patient ein MRI und eine Angiografie erhalten.

Die diagnostische Kriterien für HCC sind auch erfüllt, wenn ein auffälliges bildgebendes Korrelat mit einem Alpha Feto Protein (AFP) >200ng/ml festgestellt wird. Der Tumormarker AFP sei als screening Test ungeeignet (Sherman et al, 2001). Jedoch gehöre das AFP zum Risikofaktor für das HCC (Oka et al, 1994). Bei meinem Patienten liegt das AFP im Normalbereich, bei 3,70 ng/ml.

Um die Leberfunktion meines Patienten einzuschätzen soll ich ihn in die Child-Pugh Klassifikation einordnen. Diese Klassifikation berücksichtigt Bilirubin, Serum Albumin, Prothrombin Zeit, Aszites und hepatische Enzephalopathie. Anhand dieser Kriterien wird eine Gesamtpunktzahl ermittelt, wobei für jedes Kriterium jeweils 1-3 Punkte vergeben werden, so dass ein Score von 5 bis 15 erreicht werden kann.

Mein Patient hat eine Zirrhose im Child Stadium A mit einem Gesamtscore von 6 Punkten: total Bilirubin 0,83 mg/dl (1 Punkt), Serum Albumin 4,7 g/l (2 Punkte), INR 1,01 (1 Punkt). In der klinischen Untersuchung stelle ich keinen Aszites (1 Punkt) und keine hepatische Enzephalopathie (1 Punkt) fest.

 

Viel Bürokratie bis zur Intervention

Um meinen Patienten zum MRI und zur Angiografie anzumelden weist mein Senior mich in das Computersystem des Krankenhauses ein. Es bedarf viele Klicks bis ich im System eingeben habe, dass ich 400 ml NaCl zur Nierenprotektion vor Kontrastmittelgabe benötige. Die Krankenschwester weiß jedoch sofort Bescheid, da auf ihrem persönlichen Laptop die Anordnung erscheint.

Da seit 1995 das National Health Insurance (NHI) Programm in Taiwan eingeführt wurde, muss bis ins kleinste Detail dokumentiert werden. Mit etwa 600 NTD im Monat erhält jeder taiwanesische Bürger den gesetzlichen Krankenkassenschutz.

Es ist acht Uhr abends. Ich besuche nach dem Unterricht meinen Patienten auf Station. Er ist beunruhigt, weil im MRT ein Knoten von 1 cm im Lebersegment S7 in der Nähe der Vena cava inferior entdeckt wurde. Die Läsion wird von der A. phrenica inferior dextra versorgt. Neben der Leberzirrhose zeigen sich noch kleine arterio-portale Shunts in beiden Leberlobuli. "HCC kann nicht ausgeschlossen werden", steht im Bericht des Radiologen.

"Ich hätte mir gewünscht, dass ich noch bis 60 leben kann", klagt mein Patient, der an Frau und Kinder denkt. Leider sehe ich seinen Krankheitsfall auch zum ersten Mal in meinem Leben und kann deswegen keine beruhigende Erfahrungsberichte meinem Patienten erzählen. Ich kann ihm nur damit trösten, dass er noch über eine gute Leberfunktion verfüge. Schließlich motiviere ich ihn, zu Buddha zu beten. Er bedankt sich mehrmals bei mir.

Am nächsten Tag in der Angiografie bestätigen sich die Befürchtungen zum Glück nicht. Der Patient atmet auf: "Ich habe keinen Leberkrebs!" Über die Angriografie wird ein einziger arterio-portaler Shunt ohne Tumorläsion entdeckt. Auch die A. phrenica inferior dextra wird durchleuchtet ohne Tumorläsionen zu finden. Ich schreibe schnell den Entlassungsbrief meines Patienten, damit er nach Hause gehen kann.

 

Manchmal hilft Beten: Yen-Ying im Kloster Fuguangshan.

 

Behandlung des HCC

In Taiwan wird das HCC nach dem Barcelona Clinic Liver Cancer (BCLC) Algorithmus behandelt. Zuvor wird der Tumor dem BCLC staging System zugeordnet. Dieses berücksichtigt Leberfunktion, Tumorstadium und körperlichen Zustand des Patienten.

In einem frühen HCC Stadium kommen die Patienten für eine Resektion oder Leber-Transplantation in Frage. Die Resektion kann bei Patienten durchgeführt werden, die normale Bilirubinwerte und einen einzigen Tumor (Tumorgröße nicht > 5 cm) besitzen. Auch muss eine portale Hypertension ausgeschlossen werden.

Die Transplantation ist bei Patienten mit 3 Knoten < 3 cm oder mit einem Tumor > 5 cm (Milan Kriterien) und Leberfunktionseinschränkung indiziert. In Taiwan werden sehr oft Lebertransplantationen durchgeführt. Bei kleinen nicht operablem HCC kann auch die perkutane Ablation gewählt werden.

Der Tumor ernährt sich im fortgeschritten Stadium nicht nur von der V. porta, sondern auch von der A. hepatica. Als therapeutische Option kommt deswegen eine Obstruktion der Arterie in Frage, die transarterielle Embolisation (TAE). Sie ist geeignet bei Patienten im Child A Stadium mit multinodulären Tumoren, die noch keine Gefäße befallen haben.

Die TAE kann mit einem Gemisch aus Lipiodol-Chemotherapie kombiniert werden, die als transarterielle Chemoembolization (TACE) bezeichnet wird. Kontraindikation für beide Verfahren ist eine Thrombose der Vena Porta. Durch das Fehlen der portalen Blutzufuhr wird auch der nicht tumoröse Teil der Leber geschädigt. Systemische Chemotherapien können nach neuster Studienlage mit Sorafenib durchgeführt werden.

 

Arbeitsreicher Alltag

Tätigkeiten auf Station

Ich habe in der Famulatur insgesamt drei Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung begleitet. Anamnese und körperliche Untersuchung müssen bei der Aufnahme in der "admission note" dokumentiert werden. Mit dem betreuenden Arzt bespricht man weitere Behandlungsschritte.

Mit der Zeit habe ich mich mit dem Computersystem des Krankenhauses vertraut gemacht, um Anordnungen durchführen zu können. Diese müssen vom Assistenzarzt gegengezeichnet werden. Da auf der Station oftmals die Computerkapazitäten nicht ausreichen, bringen die meisten clerks ihre eigenen Laptops mit. Damit kann im gesamten Krankenhaus auch wireless Internet bezogen werden.

Jeden Tag muss eine "Progress note" geschrieben werden, in der man den Krankheitszustand des Patienten im "SOAP" Schema (subjective, objective, analyse, plan) zusammenfasst. Wöchentlich muss eine "weekly summary" vom Patienten vorliegen. Bei Entlassung fügt man alle Teile zusammen und verfasst noch eine "discharge note". Am Ende meiner Famulatur musste ich noch eine "off service note" zur Übergabe schreiben.

Die täglichen Übergaben finden nicht zu einer bestimmten Zeit statt. Man muss herausfinden, wer den Nachtdienst übernimmt und übergibt ihm die Daten vor Arbeitsende.

Studentenunterricht und Fortbildungen

In der Inneren Medizin fängt der Arbeitstag um 8 Uhr morgens an. Auf meiner Station hat der Chief resident Assistenzärzte und Studenten über ein gastroenterologisches Thema unterrichtet.

Zwischen 13.30 und 17 Uhr findet die Visite statt. Der Chefarzt kommt jede Woche einmal auf Station.

Mit den taiwanesischen Clerks bin ich jeden Tag von 17 bis 18.30 Uhr in den Unterricht gegangen. Ein englischsprachiger MC-Test wird nach jeder Unterrichtsstunde geschrieben.

In Kleingruppen findet einmal pro Woche eine "case discussion" statt. Auch kann am wöchentlichen bedside teaching für Studenten im 4. Studienjahr teilgenommen werden. Zwei Mal pro Monat werden exemplarisch Arztbriefe von Clerks und PJ-lern vor versammelter Studentenmannschaft präsentiert und von den Fachärzten kritisiert.

Für alle Internisten finden mittwochs und freitags die grand round statt, bei der über einen außergewöhnlichen Kolibrifall berichtet wird. Hier führen die Chefärzte der inneren Abteilungen ein ausführliches Streitgespräch. Danach erfolgt noch eine Fallvorstellung, bei der nach Zufallsprinzip PJ-ler vor versammelter Arztmannschaft aufgerufen werden um z.B. ein Röntgenbild, ein EKG oder Laborwerte auszuwerten. Für das ärztliche Personal in der Gastroenterologie gibt es jeden Donnerstag noch die GI conference.

Organistation der Station

Die Station 13 B ist eine gastroenterologische Station mit Schwerpunkt Hepatologie.

Drei Fachärzte (attending physician) sind für jeweils 11 bis 15 Patienten zuständig. Jeder Assistenzarzt (resident) steht unter der Obhut eines Facharztes und hat Verantwortung für 6 bis 11 Patienten. PJ-ler (intern) übernehmen die primary care von drei und clerks (Studierende im 5./6. Studienjahr) von einem Patienten. Der chief resident koordiniert die gesamte Stationsarbeit und teilt die Patienten den Ärzten zu.

Trotz Hierachie habe ich die Arbeitsatmosphäre als angenehm empfunden. Die Kunst beinhaltet in der Regel, "Höherrangigen" Respekt zu zeigen und für "Jüngere" Verantwortung zu übernehmen.

Alle Studenten, die im Studienabschnitt fortgeschrittener sind als ich muss ich aus Höflichkeit "xué zhang" (Bedeutung: "Senior"; "Xue" bedeutet Schule/Lehre und "Zhang" bezeichnet jemanden vom höhrem Rang) nennen. Zu den Ärzten muss ich "laoshi" (Bedeutung: Lehrer/in; alle Ärzte, die zwangsweise für jeden Studenten eine Lehrfunktion darstellen) sagen. Gleichzeitig fühlen sie sich verpflichtet, mir etwas beizubringen und sich um mich zu kümmern. Die Kommilitonen bezeichnet man als "Ton-Xue", kann sie jedoch auch beim Namen rufen.

Für die Pflege der Patienten sind die Familienmitglieder zuständig. Deswegen steht neben jedem Krankenbett auch eine Liege für die Famlienangehörigen. Falls diese keine Zeit haben, stellen sie meist Pflegerinnen aus dem "armen" asiatischen Ausland wie Vietnam oder Indonesien ein.

Die taiwanesische Krankenschwester übernimmt deswegen eher die Rolle eines amerikanischen physician assistant, nimmt Blut ab und wechselt auch Verbände. Diese Arbeit wird auch vom PJ-ler erledigt.

Zu jedem Monatsanfang wechselt die gesamte Mannschaft inklusive Assistenzärzte und Schwestern auf andere Stationen. So mussten ich und die Patienten der Station mich nach meiner zweiten Famulaturwoche an ein neues Team gewöhnen.

Das National Taiwan University Hospital (NTUH) ist ein Haus der Maximalversorgung mit mehr als 1.900 Betten, 27 Abteilungen, etwa 800 ärztliche Mitarbeiter und 1700 Krankenschwestern. Mehr Informationen findet ihr unter:

National Taiwan University Hospital Website in Englisch

 

Yen-Ying und ihre Kommilitonen freuen sich auf den Arbeitsschluss im Stationszimmer

 

Kleiderordnung

An der NTUH wird keine Arbeitskleidung zur Verfügung gestellt. Ich habe mir bei meiner Kommilitonin einen kurzen Kittel ausgeliehen. Lange Kittel, wie wir sie in Deutschland kennen, dürfen erst ab Facharzt getragen werden. Jedoch werden lange Kittel bei ausländischen Famulanten toleriert.

Insgesamt muss man etwas feiner gekleidet sein als in Deutschland. Krawatte und Anzug sind zwar nicht nötig, aber Hemd und ordentliche Hose bzw. Rock sollten angezogen werden. Ein absolutes no go ist die Jeans.

Von Taiwanesisch bis Englisch

Sprachen

"Meine Patientin will kein Chinesisch mit mir sprechen", verzweifelt wendet sich mein taiwanesischer Kommilitone an mich, "kannst du Taiwanesisch?" Verwundert bin ich nicht über seine Anfrage. Die offizielle Amtssprache in Taiwan ist, wie auf dem Festland China, Mandarin (Hochchinesisch).

Dennoch sprechen Patienten vom Land oder aus der älteren Generation zum Teil nur den taiwanesischen Dialekt (Min-Dialekt, wird auch im Süden von Festland China gesprochen).

Lustigerweise beherrschen einige Medizinstudenten, die in der Großstadt Taipei aufgewachsen sind, kein Taiwanesisch. Dies traf auch auf meinen Kommilitonen zu. Ich hatte mit fünf Jahren ein Jahr im Süden Taiwans verbracht und konnte ihm deswegen in diesem Anliegen weiterhelfen.

Im Gegensatz zum Festland China wird im taiwanesischen Krankenhaussystem ausschließlich Englisch als Fachsprache benutzt. Alle Krankenakten, Konsile oder Arztbriefe werden auf Englisch verfasst. Benutzt wird die anglo-amerikanische Nomenklatur. Gerne wird mit Abkürzungen gearbeitet. Selbst wenn eine Präsentation auf Chinesisch gehalten wird, werden die Folien auf Englisch verfasst.

Von anderen Famulaturberichten habe ich auch erfahren, dass manchmal für den ausländischen Studenten die morning meetings auf Englisch abgehalten werden.

Dies gilt jedoch nur für Ärzte in der westlichen Medizin, die in Taiwan auch die Primärmedizin darstellt. In Abteilungen für traditionelle Chinesische Medizin wird meist nur Chinesisch verwendet.

Besonderheiten

Eine Besonderheit ist das Datum in den Krankenakten, welches sich im Jahr nach dem chinesischem Mondkalender richtet. Dazu muss man vom christlichen Jahr 11 Jahre abziehen. Zum Beispiel ist das Jahr 2009 das chinesische Mondjahr '98 (immer in dieser Abkürzung). Um Verwirrungen auszuschließen wird das christliche Jahr meist nicht abgekürzt (also nicht '09).

Das Erdgeschoss ist in Taiwan der erste Stock. In vielen Krankenhäusern gibt es keinen vierten Stock, da auf Chinesisch die Zahl vier ähnlich ausgesprochen wird wie das Wort Tod. In buddhistischen Krankenhäusern findet man dort deswegen meist einen Tempel, am NTUH meist Funktionsbereiche.

 

Taiwanesischer Clerk und Yen-Ying vor Taipei 101 im NTUH

 

Hut ab vor Medizinstudenten und Ärzten

Hohes Ansehen

In Deutschland wird frau als Medizinstudentin oft mit "Schwester" angeredet. In Taiwan dagegen versuchte ich anfangs meinem Patienten zu erklären, dass ich noch längst nicht "Doktor Wu" bin. Doch hier wird jeder Mediziner mit "Doktor" angesprochen sobald im Krankenhaus gearbeitet wird.

Da naturwissenschaftliche Fächer für den Zugang zum Medizinstudium verlangt werden, gibt es in Taiwan mehr Medizinstudenten als Medizinstudentinnen. Der Frau in der Medizin wird deswegen noch mehr Achtung eingeräumt.

Interessant sieht auch der Heiratsmarkt aus: Während Ärzte zwangsweise mit anderen Berufsgruppen liiert sind (klassisch z.B. mit Schwestern oder Lehrerinnen), sind Ärztinnen fast ausschließlich mit Ärzten verheiratet.

Insgesamt genießt man in Taiwan bereits als Medizinstudent sehr hohen Respekt. Das liegt daran, dass nur die Besten der Besten in Taiwan Medizin studieren können. Neben einem sehr guten Abitur zählen hervorragende Noten in allen naturwissenschaftlichen Fächern. Jedes Jahr werden 1200 Medizinstudenten von hunderttausenden Bewerbern ausgewählt.

In Taiwan gibt es wie in den Vereinigten Staaten ein Ranking der Universitäten. Die National Taiwan University steht dabei an erster Stelle. 120 Medizinstudenten werden jedes Jahr für diese Uni zugelassen, die eine besondere Eliteschicht des Landes bildet.

Das Medizinstudium in Taiwan

Das taiwanesische Medizinstudium dauert 7 Jahre lang. In den ersten beiden Jahren befassen sich die Studenten mit den naturwissenschaftlichen Grundlagen und allgemeinbildenden Fächern (wie im amerikanischen College). Für die meisten Studenten erscheinen diese beiden Jahre wie eine Pause ihres bisherigen Lebens.

Der anstrengendste Studienabschnitt stellt das 3. und 4. Studienjahr dar, in denen im Schnelldurchlauf die medizinischen Grundlagenfächer wie Anatomie, Physiologie, Pathologie und Mikrobiologie behandelt werden. Darauf folgt der erste Abschnitt der ärztlichen Prüfung.

Studenten im 5. und 6. Studienjahr werden als clerk bezeichnet und arbeiten neben dem Unterricht zum großen Teil im Krankenhaus. Studenten im letzten Jahr nennen sich interns (PJ-ler) und müssen durch die Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Pädiatrie und drei weitere Wahlfächer rotieren. Wie in Deutschland muss zuletzt ein 2. Abschnitt der ärztlichen Prüfung absolviert werden.

Verdienst

Noch scheinen Ärzte in Taiwan im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gut zu verdienen. Der Assistenzarzt erhält ein Anfangsgehalt von 80.000 New Taiwan Dollars (NTD; 1 Euro = 45 NTD; Stand März 2009). Später könne man in einer höheren Position bis zu 300.000 NTD verdienen.

Als selbstständiger Praxisarzt sei auch ein Einkommen von 500.000 NTD möglich. Doch seit der Einführung der gesetzlichen Krankenkasse befürchten die Ärzte Lohnkürzungen und klagen über die vermehrte Bürokratie.

Freizeit und Sehenswürdigkeiten in Taipei

Da ich bei dieser Famulatur sehr beschäftigt war, hatte ich unter der Woche wenig Freizeit. An den Wochenenden habe ich meistens im Süden Taiwans meine Verwandten besucht.

Famuliert man über die bvmd wird einem eine contact person zugeteilt, die sich um den ausländischen Famulanten kümmert. Da die meisten NTU Studenten ihrem Studium recht gewissenhaft gegenüber stehen, haben die wenigsten Zeit, mit ausländischen Famulanten viel zu unternehmen.

Taipei ist die Hauptstadt Taiwans mit dem höchsten Wolkenkratzer der Welt, "Taipei 101". Nicht weit von der NTUH befindet sich die Gedächtnishalle für Taiwans Demokratie und der Präsidentenpalast. Etwas westlich davon könnt ihr euch das Einkaufs- und Kinoviertel Ximen-Ding anschauen. Eine Station weiter findet sich eine Tempel Atmosphäre wie aus dem Bilderbuch im Longshan-si. Im Nordwesten von Taipei lohnt sich ein Besuch der ehemaligen Residenz von Mme Chiang Kai-Shek, ein Park im chinesichen und westlichen Stil.

Das Nationale Palastmuseum umfasst eine Ausstellung von chinesischen Kunstwerken aus dem Kaiserpalast in Peking. Falls ihr der Hektik der Großstadt entkommen möchtet, bietet sich der Fischerhafen Danshuei an. Auf dem Rückweg könnt ihr noch in Beitou die heißen Quellen genießen.

Tolle Shopping-Gelegenheiten bieten die night markets in Taipei, wo man günstig Essen und Klamotten kaufen kann. Ich bin wie immer mit zwei leeren Koffern nach Taiwan gereist und mit vier übergewichtigen Gepäcken nach Hause gekommen.

 

Eine Famulantin aus Thailand und Yen-Ying in Mme Chiangs ehemaliger Residenz

 

Bewerbungsprozess

Bewerbung über die BVMD

Deutsche Studenten können über die bvmd (in Taiwan SCOPE) am NTUH famulieren. Bewerbungsschluss ist immer der 15. Juli und der 15. Dezember für das kommende halbe Jahr.

Famuliert man zwei Monate lang an einem Krankenhaus kann auch ein Reisekostenzuschuss von etwa 300 Euro bei der bvmd beantragt werden. Die Kosten für das Flugticket nach Taiwan liegen bei 800 bis 900 Euro. Hochsaison sind Ostern, Sommerferien, Weihnachten und chinesisches Neujahr (richtet sich nach dem chinesischen Mondkalender. Meist zwischen Januar und Februar).

Zur Bewerbung über die bvmd

Homepage der bvmd

In dem Artikel "Zur Famulatur in die weite Welt" findet Ihr Tipps zur Organisation von Auslandsfamulaturen

Direktbewerbung

Ich habe eine direkte Bewerbung geschickt. Die Bewerbungsgebühr liegt bei 75 US$, die man jedoch erst bei Antritt der Famulatur zahlen muss. Für jede Famulaturwoche werden 75 US$ Spenden verlangt. Die Bewerbung soll zwei bis sechs Monate vorher an Miss I-Wen Chang geschickt werden.

cs@med.ntu.edu.tw

Ausführliche Informationen über den Bewerbungsprozess und weitere Bewerbungsunterlagen sowie ein Formular für das Visum finden sich unter:

Bewerbungsinfos für NTUH auf Englisch

Für die National Taiwan University zuständiger SCOPE Beauftragter ist der Medizinstudent Heng-Hao (Leo) Chang. Falls ihr Fragen habt, findet ihr ihn bei Facebook. Vor Beginn meiner Famulatur hat er mir eine E-Mail auf Deutsch geschickt. Übrigens kann man davon ausgehen, dass National Taiwan University Studenten sehr ehrgeizig und zielstrebig sind und evtl. eine Fremdsprache perfekt sprechen.

Wohnen und Verpflegung

Wohnen kann man in der Jin Fu Alumni Hall. Für einen Monat zahlt man 12.000 NTD (Einzelzimmer) oder 17.000 NTD (Doppelzimmer). Die Zimmer sind mit WC, Dusche/Bad, TV und wireless internet ausgestattet. Da das Wohnheim direkt am Krankenhaus liegt, habe ich mich auch für diese Variante entschieden. Die Metro Station und der Hauptbahnhof Taipei liegen drei Minuten zu Fuß weit entfernt.

Es ist nicht notwendig, selbst zu kochen. In der Umgebung des Krankenhauses finden sich zahlreiche Restaurants. Im Untergeschoss des NTUH befindet sich ein Food Court, wo man für 50 bis 100 NTD eine vielfältige Auswahl (auch für Vegetarier) erhält. Die studentische Mensa "Pan Mama" (Bedeutung: dicke Mama) ist ein weiterer Geheimtipp.

Im Krankenhaus gibt es jeden Tag zur Mittagszeit von Pharmafirmen sogenanntes "Propaganda"-Essen (kurz: "propa"). Man muss dafür beim Essen eine Stunde lang die Werbung von dem Pharma Vertreter anhören. Natürlich muss man herausfinden, auf welcher Station die Veranstaltung stattfindet. Deswegen laufen ab der Mittagszeit alle clerks mit Handy herum und suchen nach dem "Propa"-Essen.

Vom Froschschenkel bis zu Bubble Tea. Taiwan zählt zu den kulinarischen Paradiesen dieser Welt

 

Hilfreiche Links

Im folgendem Wörterbuch finden sich die traditional Chinese characters in Klammern. Diese Schriftzeichen Form wird in Taiwan und zur Zeit noch in Hong Kong angewendet. Auf Festland China werden seit der Kulturrevolution die simplified Chinese characters benutzt. Normalerweise lernt man als Ausländer in den gängigen Chinesisch Sprachkursen die simplified Chinese characters.

Leo Deutsch-Chinesisches Wörterbuch

Von Taipei 101 bis zum Sun Moon Lake. Nicht umsonst wurde Taiwan "Ilha Formosa" (die schöne Insel) während der portugisischen Kolonialzeit genannt. Taiwan will touch your heart:

Taiwan Tourism Bureau

Regional gegliedertes Online Magazin mit Tipps zum Essen, Einkaufen, Nachtleben usw. auf Englisch:

Taiwan Fun

Website der Taipei Metro mit Infos zu Fahrkarten und zum Netz auf Englisch:

Taipei Metro

Die Hochgeschwindigkeitsbahn in Taiwan (HSR) bringt dich von einer Inselspitze zur nächsten: Von Taipei nach Kaoshiung (ca. 345 km) braucht man lediglich 90 Minuten für 1400 NTD. Fahrpläne, Preise und telefonische Buchung auf Englisch:

Taiwan high speed rail (HSR)

Fragen zum Visum und Co über die Taipeh Vertretung in Berlin, Hamburg, Frankfurt und München:

Taipeh Vertretung in Deutschland

 

Schlagworte

Mehr zum Thema

Bericht: Famulatur TCM im Tzu Chi Hospital