• IHA Immunhämolytische Anämie Enke Verlag Tiermedizin

     

Immunbedingte hämolytische Anämie

Im Gegensatz zum Hund, bei dem die IHA häufigster Grund einer Hämolyse ist, wird sie bei der Katze seltener diagnostiziert bzw. beschrieben. Eine Geschlechts- oder Rasseprädisposition ist nicht bekannt; 12 von 19 Katzen waren in einer Studie unter 3 Jahre alt.

Pathogenese

Bei der IHA verkürzen Antikörper gegen die eigenen Erythrozyten deren Lebensdauer ( Hypersensitivitätsreaktion Typ II, antikörpervermittelter zytotoxischer Typ). Die Antikörper entstehen aufgrund einer Immundysregulation oder Kreuzreaktivität und können gegen unveränderte (primäre IHA) oder veränderte Erythrozytenmembranen (sekundäre IHA) gerichtet sein. Bei der primären oder idiopathischen IHA (autoimmunhämolytischen Anämie , AIHA) werden Autoantikörper ohne bekannten Grund gegen unveränderte Erythrozytenmembranen gebildet (Ausschlussdiagnose!).
Bei einer sekundären IHA liegt ein Stimulus für die Antikörperproduktion vor. Mögliche zugrunde liegende Ursachen sind infektiöse Erkrankungen (z.B. FeLV/FIV, FIP, Hämoplasmose, bakterielle Infektionen), lympho- und myeloproliferative Neoplasien (z.B. Lymphom, Leukämie), Medikamente (z.B. Methimazol), entzündliche Erkrankungen (z.B. sterile Abszesse, Cholangiohepatitis, Pyothorax, Polyarthritis, Nephritis, lymphozytäre Enteritis, Vakzinierung, inkompatible Bluttransfusionen). Die IHA kann auch im Rahmen eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) auftreten. Tritt gleichzeitig eine immunbedingte Thrombozytopenie auf, so spricht man vom Evans-Syndrom.

An der Zerstörung der Erythrozyten bei IHA können beteiligt sein:
Autoagglutinine ( IgM oder IgG in hoher Zahl; agglutinieren Erythrozyten in physiol. NaCl-Lösung)
Hämolysine ( IgM , IgG )
sog. inkomplette Wärmeantikörper ( IgG , seltener IgM , Komplement), die nur nach Zugabe von Coombs-Reagenz agglutinieren.
Eine massive Komplementaktivierung bewirkt intravaskuläre Hämolyse (sehr selten), geringere Mengen an erythrozytär gebundenem Komplement verursachen eine extravaskuläre Hämolyse. IgG-beladene Erythrozyten können auch ohne Komplementaktivierung zerstört werden, da Gewebsmakrophagen Rezeptoren exprimieren, welche den Fc-Anteil des IgG-Moleküls erkennen. Dabei können die Erythrozyten entweder vollständig oder teilweise (Teile der Membran) phagozytiert werden, was zur Sphärozytenbildung führt.

Neben den bei 37 °C reagierenden Wärmeantikörpern kommen sog. Kälteantikörper (Reaktion bei 4 °C) vor. Sie sind sehr selten und wurden bei der Katze im Zusammenhang mit Hämoplasmose beschrieben.

 

Klinik

Die Symptome variieren je nach involvierter Antikörperklasse und Schweregrad der Hämolyse. Typisch sind Apathie, Inappetenz, blasse Schleimhäute, systolisches Herzgeräusch , Tachykardie, seltener Tachypnoe, Ikterus , Hypothermie / Fieber , Pica (z.B. Fressen von Katzenstreu) und Erbrechen . Hinzukommen können Symptome der Grundkrankheit, ggf. auch Symptome einer sekundären Kardiomyopathie (aufgrund der chronischen Anämie ).

 

Laborbefunde

Meist hochgradige Anämie (Hämatokrit bei 19 Katzen 0,06–0,22 l/l, Median 0,12 l/l). Der Mikro-Hämatokrit sollte bestimmt werden, da der maschinell ermittelte Hämatokrit (ebenso wie die Erythrozytenzahl) bei Agglutination falsch niedrig sein kann ( MCV falsch hoch).

Die Anämie ist bei über der Hälfte der Fälle initial nichtregenerativ, was die Diagnose erschwert. Mögliche Ursachen sind Vorliegen der Akutphase der Erkrankung, verminderte Erythropoese aufgrund von Entzündung und Antikörperbildung gegen Erythrozytenvorläuferzellen. Der letztgenannte Mechanismus kann mit einer nichtregenerativen IHA oder einer Pure Red Cell Aplasia (PRCA) einhergehen s. Literatur , s. Literatur . In einer Studie mit 19 Katzen mit primärer IHA hatten 11 Normoblasten, allerdings nur 3 davon bereits aggregierte Retikulozyten s. Literatur ( s. Abb. ).

Typische Befunde für eine IHA, die jedoch nicht alle gleichzeitig und bei allen Fällen vorkommen, sind folgende:

  • Makroskopische oder mikroskopische Erythrozytenagglutination, die nach dreimaligem Waschen der Erythrozyten in physiol. NaCl-Lösung persistiert = Autoagglutination (Erythrozytenagglutination kommt fast immer vor, ein Persistieren nach Waschen ist selten).
  • Zahlreiche Sphärozyten (Kugelzellen) im Ausstrich, die beim Hund ein wichtiges Diagnostikum darstellen, sind bei der Katze aufgrund des Fehlens einer zentralen Aufhellung kaum zu erkennen.
  • Im Allgemeinen positiver direkter Coombs-Test zum Nachweis Erythrozyten-gebundener Antikörper bzw. Komplement. Falsch negative Testresultate kommen vor, z.B. bedingt durch technische Fehler oder eine längere Glukokortikoidvorbehandlung. Positive Testergebnisse treten auch bei sekundärer IHA auf (z.B. Hämoplasmose oder FeLV-Infektion).
  • Die osmotische Fragilität (OF) der Erythrozyten ist bei IHA erhöht, allerdings auch bei anderen hämolytischen Anämien (nicht spezifisch).

Leukozytose (mit Linksverschiebung) ist im Vergleich zum Hund selten. Bei etwa einem Drittel bis der Hälfte der Katzen kommt eine Lymphozytose vor; die Lymphozyten können reaktiv sein (nicht mit Blasten verwechseln!). Lymphopenie und Monozytose sind selten. Etwa ein Drittel der Katzen weisen eine Thrombozytopenie auf (aufgrund von DIC, Sequestration in der Milz, Knochenmarksuppression oder immunbedingt). Hyperbilirubinämie kommt bei etwa zwei Drittel der Katzen vor, ein normaler Wert lässt auf eine chronische, kompensierte Hämolyse schließen. Selten sind Hämoglobinämie und -urie (intravaskuläre Hämolyse). Das Plasmaprotein ist meist normal oder erhöht. Eine Hyperglobulinämie ist häufig (evtl. chronische Stimulation des Immunsystems). Etwa 50% der Katzen haben erhöhte Leberenzyme (evtl. hypoxisch bedingt). Der ANA-Test ist sehr selten positiv (bei SLE). Veränderungen der Gerinnungstests (u.a. verlängerte PT, aPTT) initial oder im Verlauf deuten auf eine (selten vorkommende) DIC hin.

 

Bildgebende Befunde

Bei etwa 50% der Katzen mit primärer IHA liegt eine Splenomegalie vor. Eine vergrößerte Milz kann auch Hinweis auf eine sekundäre Ursache der IHA sein, z.B. eine Entzündung, Infektion oder Neoplasie.

 

Diagnose

Sie stützt sich auf Anamnese, typische klinische und Laborbefunde und den Ausschluss anderer Erkrankungen bzw. auslösender Faktoren bei primärer IHA. Kein Labortest vermag zwischen primärer und sekundärer IHA zu unterscheiden. Weiterführende Untersuchungen dienen der Abklärung möglicher Grundursachen: Durchmustern von Blutausstrichen (z.B. auf Hämoplasmen, Heinz-Körper, Blasten), Serumuntersuchungen (z.B. auf FeLV, FIV, FIP), Hämoplasmen-PCR, Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen, ggf. Punktion vergrößerter Lymphknoten oder Organe (z.B. bei Lymphomverdacht). Insbesondere bei anhaltenden nichtregenerativen Anämien oder weiteren Zytopenien ist eine Knochenmarkuntersuchung indiziert.

 

Differenzialdiagnose

Andere Ursachen von hämolytischen Anämien , akute und chronische Blutungsanämien; in der Akutphase auch Anämien aufgrund ungenügender Erythropoese . Bei Ikterus und erhöhten Leberenzymen auch Hepatopathien.

 

Therapie

Wenn möglich, Behandlung der Grundkrankheit oder das Absetzen von evtl. ursächlichen Medikamenten. Die Gabe von Vollblut (oder Erythrozytenkonzentrat) oder bovinem Hämoglobin (Oxyglobin) kann indiziert sein; siehe hierzu Transfusionsmedizin . Eine Infusionstherapie zur Rehydrierung und Vorbeugung von Komplikationen (z.B. DIC) darf bei kritisch niedrigem Hämatokrit erst nach der Erythrozytentransfusion erfolgen. Ansonsten besteht die Gefahr einer weiteren Hämatokritabsenkung mit Dekompensation und Tod.

Eine Antibiotikagabe (z.B. Enrofloxacin , Doxycyclin ) kann wegen Hämoplasmoseverdacht, Immundysregulation und therapeutischer Immunsuppression indiziert sein. H2-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Ranitidin 1 mg/kg KM 2×/d) oder Protonenpumpenhemmer ( Omeprazol 1 mg/kg 1–2×/d) evtl. in Kombination mit Sucralfat ( 20 mg/kg KM 2×/d) sollten bei Erbrechen und wegen der Gefahr von gastrointestinalen Blutungen bei hoher Glukokortikoiddosis gegeben werden.

Als Immunsuppressivum wird Prednisolon (initial 1,5–2 mg/kg 2×/d für ca. 3 d, dann Senken auf 1 mg/kg KM 2×/d; evtl. Dexamethason 0,15 mg/kg KM 2×/d) verabreicht. Je nach Zustand ist eine tägliche Hämatokritkontrolle indiziert, da der Hämatokrit rasch abfallen und die Katze transfusionspflichtig werden kann. Glukokortikoide interferieren mit der Expression und Funktion der Fc-Rezeptoren auf den Makrophagen und vermindern dadurch die Phagozytose antikörperbeladener Erythrozyten. Zusätzlich können sie die Antikörperbindung und Komplementaktivierung, die Zytokinproduktion und evtl. nach Wochen auch die Produktion von Autoantikörpern hemmen. Bis zur Kontrolle der Hämolyse – das heißt, der Hämatokrit bleibt stabil bzw. steigt – können bis zu 6 Wochen vergehen. Wirkt die konventionelle Therapie nicht, können versuchsweise humane Immunglobuline (0,5–1 g/kg KM i.v. über 4–6 h) eingesetzt werden.

In schweren Fällen mit mangelhaftem Ansprechen auf Prednisolon , bei nichtregenerativen Formen oder Rezidiven kann zusätzlich Ciclosporin (initial 5–10 mg/kg KM/d p.o.), Chlorambucil (initial 0,2 mg/kg KM, dann 0,1 mg/kg KM 1×/d p.o.), Leflunomid (initial 3–4 mg/kg KM 1×/d p.o.) oder Mycophenolatmofetil (initial 5–10 mg/kg 2×/d p.o.) eingesetzt werden. Generell gilt, dass prospektive Studien zu all diesen Medikamenten fehlen. Wegen der myelosuppressiven Wirkung ist eine Kontrolle der Neutrophilenzahlen alle 1–2 Wochen durchzuführen und die Dosis anzupassen.

Nach Ansprechen auf die Therapie (stabiler Hämatokrit) wird die Prednisolondosis (und ggf. die Dosen weiterer immunsuppressiver Medikamente) um ca. ¼–⅕ alle 2–3 Wochen gesenkt. Bei primärer IHA muss das Ausschleichen sehr langsam über Monate durchgeführt werden. Tritt ein Hämatokritabfall auf, sollte man sich vergewissern, dass dieser durch IHA und nicht andere Ursachen wie eine gastrointestinale Blutung oder Hämoplasmose bedingt ist. Rezidive können mit Therapieresistenz einhergehen. Manche Katzen benötigen eine möglichst niedrig dosierte Dauertherapie.

Komplikationen der Glukokortikoidtherapie können u.a. Entwicklung von Diabetes mellitus, iatrogenem Morbus Cushing oder Infektionen sein. Schwerwiegende und beim Hund gefürchtete Komplikationen wie DIC und insbesondere Thromboembolien scheinen bei der Katze selten (oder unterdiagnostiziert) zu sein.

 

Prognose

Sie ist bei primärer IHA vorsichtig zu stellen. Sowohl Rezidiv- als auch Letalitätsrate liegen bei etwa 25–30%.

Aus Lutz 2014, Krankheiten der Katze: 21.2.5.1 Immunbedingte hämolytische Anämie (IHA); Barbara Kohn und Christiane Weingart

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