Diagnostischer Leitfaden und Therapie
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Wohl kaum jemand kann sich ihrem Charme erwehren: Kaninchen sind kuschelig und putzig anzusehen und stehen bei vielen Kindern ganz oben auf der Wunschliste. Tatsächlich verschenken jedes Jahr zur Osterzeit viele Menschen die süßen Langohren an Familienmitglieder oder Freunde. Viele halten dabei die Tiere für relativ anspruchslos – mit fatalen Folgen. Denn aus der mangelnden Kenntnis über die Haltung und Fütterung von Kaninchen resultiert ein großer Teil der Krankheiten, die in jeder Tierarztpraxis zum Alltag gehören. Eine entsprechende Aufklärung könnte Kaninchen viel Leid ersparen.
Viele unerfahrene Kaninchenhalter unterschätzen die Haltungsanforderungen von Kaninchen. Nicht selten orientieren sich Halter beim Kauf eines Käfigs an der Größe des Tieres, sodass ihnen die tatsächlich erforderliche Größe überdimensioniert erscheint. Doch aus einem zu kleinen Käfig, beziehungsweise fehlender Freilaufmöglichkeit, können verschiedene Störungen hervorgehen. Ein zu kleiner Käfig wird dem Bewegungsdrang von Kaninchen nicht gerecht – mit der möglichen Folge von Verhaltensstörungen. Diese können sich zum Beispiel manifestieren in einer gesteigerten Aggressivität Menschen oder Artgenossen gegenüber, stereotypen Bewegungsmustern oder auffälligen haarlosen Stellen infolge einer Trichophagie.
Verschärfen kann sich die Problematik, wenn sich zudem mehrere Individuen eine knappe Fläche teilen müssen. Dem gegenüber steht die Einzelhaltung: Dass diese nicht artgerecht ist, wissen viele Besitzer nicht. Auch hält sich mitunter hartnäckig der Irrglaube, Einzeltiere entwickelten eine engere Bindung zum Menschen und intensives Spielen oder Kuscheln könne den fehlenden Artgenossen ersetzen. Reagiert ein vereinsamtes Tier schließlich mit Bissigkeit, endet dieses nicht selten im Tierheim. Damit es nicht so weit kommt, sollten zwei Kaninchen – je nach Größe der Individuen – etwa 4 m2 zur Verfügung stehen. Die Fläche vergrößert sich entsprechend der Anzahl weiterer Tiere.
Zusätzlich sollten Kaninchenhalter für täglichen Freilauf und ausreichend Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten sorgen. Ist dies nicht gegeben, leidet nicht nur das Wohlbefinden der Tiere; auch körperliche Störungen können auftreten: Die Muskulatur entwickelt sich zurück und auch Schäden des Bewegungsapparates, wie Knochenhypoplasien oder Wirbelsäulenverkrümmungen, gehen im Extremfall aus dem Platzmangel hervor.
Tiere, die sich kaum bewegen können und energiereich gefüttert werden, legen Fettpolster an. Adipöse Kaninchen sind kardial wenig belastbar, häufig entwickeln sich Komorbiditäten und die Lebenserwartung ist verkürzt. Ein weiteres, von Laien oft vernachlässigtes Thema, ist die Qualität der Einstreu: Wunde Läufe sind ein häufiger Befund in der Sprechstunde, der fast immer auf ungeeigneten Untergrund zurückzuführen ist. Auch mangelnde Hygiene, etwa durch eine zu selten gewechselte, dauerfeuchte Einstreu, kann dabei eine Rolle spielen.
Verunfallte Wohnungskaninchen gehören zu den Top Ten der Notfallsprechstunde. Zu den häufigsten Unfällen zählen Stromschläge durch angeknabberte Kabel sowie Verletzungen, zum Beispiel durch Treppenstürze, oder an Türen oder Fenstern eingeklemmte Tiere. Weitere Notfall-Klassiker bei ungesicherter Umgebung sind Vergiftungen, etwa durch Zimmer- oder Gartenpflanzen. Es lohnt sich, Kaninchenhalter intensiv über die lauernden Gefahren beim Freilauf aufzuklären, denn fast alle der genannten Notfälle sind vermeidbar.
Beispiele für stark toxische Gartenpflanzen |
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Kaninchen leben häufig in Haushalten mit Kindern – auch aus diesem Grund sollten Tierhalter über Giftpflanzen gut informiert sein, denn die aufgezählten Pflanzen sind auch für Menschen stark toxisch.
Nicht jeder Kaninchenliebhaber möchte mit seinen Tieren Haus oder Wohnung teilen – ein Außenstall ist dann die Alternative. Bei unzureichender Gewöhnung der Kaninchen an das Klima droht jedoch eine erhöhte Infektanfälligkeit der Tiere. Ganz besonders gilt dies beim Wechsel der Jahreszeiten, da die großen Schwankungen zwischen milden Tages- und frostigen Nachttemperaturen oft nicht berücksichtigt werden. Grundsätzlich, das heißt zu jeder Jahreszeit, ist ein angemessener Witterungsschutz, insbesondere vor Kälte, Zugluft und Nässe, wichtig. Erkrankungen wie Augenentzündungen oder Infektionen der Atemwege sind sonst vorprogrammiert.
Ein schattenspendendes Domizil für Kaninchen während heißer Tage ist längst nicht für jeden Tierbesitzer eine Selbstverständlichkeit, denn Kaninchen mit Hitzschlag gehören zum Standard eines jeden Sommer-Notdienstes. Auch der Sonnenlauf wird bei der Platzwahl des Außenstalls nicht immer bedacht.
Die richtige Fütterung von Kaninchen ist eine essenzielle Grundlage zu Gesunderhaltung der Tiere. Nicht zuletzt sind Kaninchen gerade in Familienhaushalten beliebt, weil ihr Futter als vergleichsweise preiswert gilt. Unerfahrene Kaninchenbesitzer unterschätzen jedoch die massiven Auswirkungen einer falschen Fütterung. Gerade Kindern macht das Füttern der Tiere besonders Spaß und sie achten in der Regel wenig darauf, was sie füttern. Zu den häufigsten Resultaten der Fehlfütterung zählen Anorexie, Passagestörungen wie Tympanien, Obstipation und Diarrhoen. In der Praxis werden Kaninchen mit gastrointestinalen Störungen häufig als Notfall vorgestellt, nicht selten mit letalem Ausgang.
Ganz oben auf der Ursachen-Liste von Verdauungsstörungen stehen Zahnfehlstellungen und überlange Zähne. Zwar können diese auch genetisch bedingt sein, häufig treten sie jedoch infolge eines mangelnden Abriebs auf. Vielen neuen Kaninchenbesitzern ist weder diese Ursache für die plötzliche Fressunlust ihres Tiers bewusst, noch besteht Klarheit über die gesundheitliche Bedrohung durch die Anorexie selbst.
Zu den häufigsten Fütterungsfehlern zählt der Rohfasermangel bei gleichzeitigem Überangebot an Kohlenhydraten. Nicht nur kommerziell erhältliche Leckerlis tragen zu Letzterem bei, besonders Kinder teilen zuweilen gerne ihr Naschwerk wie Kekse und Schokolade mit ihrem Kaninchen. Störungen des Verdauungstrakts und Adipositas, einschließlich der zugehörigen Begleiterkrankungen, sind die Folgen. Es ist daher wichtig, dem Kaninchenbesitzer die Bedeutung von rohfaserreichem Futter, wie qualitativ hochwertigem Heu, zu erläutern.
Auch obliegt es dem Tierarzt, auf eine adäquate Stallhygiene hinzuweisen, da der mikrobielle Besatz zum Quell schwerwiegender Dysbiosen werden kann. Dass ausreichende Mengen Raufutter nicht nur die Basis eines gesunden Verdauungstrakts darstellen, sondern auch Verhaltensstörungen vorbeugen können, ist ein ebenso wichtiger Punkt bei der Beratung von Kaninchenbesitzern. Frisches Heu und ständiges Kauen tragen auch maßgeblich zur Beschäftigung der Tiere bei – fehlt ihnen diese, versuchen Kaninchen den Mangel durch Fellfressen zu kompensieren. Dabei muss die Trichophagie nicht zwangsläufig durch kahle Stellen ins Auge fallen. Spätestens jedoch, wenn Trichobezoare zum Passagehindernis werden, kommt es zu Problemen. Die Ursache zu finden kann schwierig sein, da Symptome wie Anorexie und Gewichtsverlust, aber auch kompensatorische Polydipsie diagnostisch in die Irre führen können.
Ein weiterer häufiger Auslöser von Verdauungsstörungen ist ein plötzlicher Futterwechsel. Vor allem ein abruptes Angebot von frischem Gras und Gemüse, wie Salat oder Kohlblättern, kann heftige Verdauungsprobleme wie Trommelsucht oder Durchfälle auslösen. Dies gilt es auch zu beachten, wenn Kaninchen im Frühling zum Freilauf auf Wiesen gelassen werden. In den Sommermonaten besteht bei Durchfall zudem stets die Gefahr einer Myiasis. Es ist daher zwingend erforderlich, Besitzer von Kaninchen mit Diarrhoe auf das Risiko eines Fliegenlarvenbefalls aufmerksam zu machen und zu peniblen Hygienemaßnahmen anzuhalten.
Erkrankungen des Urogenitaltrakts sind ebenfalls häufige Gründe, weshalb Kaninchen in der Praxis vorgestellt werden. Symptome wie häufiges Absetzten kleiner, oft blutiger Urinmengen sind meist wegweisend. Mitunter stehen aber auch Apathie und Fressunlust zunächst im Vordergrund. Auch hier gilt es, in der Anamnese eingehend die Fütterung der Tiere zu begutachten. Dabei ist einerseits ein permanenter Zugang zu frischem Trinkwasser zu gewährleisten, zum anderen sollte der Tierarzt ungünstige Futtermittel mit hohem Kalziumgehalt wie Luzerne-Heu, Wiesenheu, Löwenzahn oder Luzerne-Snacks abfragen.
Gemüsesorten wie Gurke, Möhre und Paprika sowie Obst können hingegen therapeutisch von Nutzen sein, um die Wasseraufnahme zu steigern und eine ausreichende Spülung der harnableitenden Wege zu gewährleisten. Ein aufmerksamer Blick in den Käfig kann zusätzlich Aufschluss über ein Überangebot an Mineralien geben, etwa wenn Nagematerial wie Sepia oder Salzlecksteine zur Ausstattung gehören. Über den Unsinn und die potenzielle Gesundheitsgefährdung solcher Futterergänzungen sollten Halter stets aufgeklärt werden.
Häufige Fütterungsfehler bei Kaninchen |
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Schlussendlich kommt dem Tierarzt in der Beratung von Kaninchenhaltern eine maßgebliche Rolle zu, wenn es um die Vermeidung häufiger Kaninchenkrankheiten geht. Grundsätzlich ist Erstbesitzern bewusst zu machen, welchen Platz- und Zeitaufwand sie für Kaninchen planen müssen, denn in der Regel fehlen Grundkenntnisse und Erfahrung, vor allem in punkto Haltung und Ernährung. Ausführliche Informationsgespräche während der Sprechstunde sind zeitintensiv und nicht immer leicht zu integrieren, besonders wenn bereits erkrankte Tiere ohne Termin vorgestellt werden. Dennoch lohnt es sich langfristig betrachtet, Kaninchenhaltern mindestens die Grundpfeiler einer tierartgerechten Haltung und Fütterung zu erläutern. Auch Kinder sollten in solche Gespräche mit einbezogen werden, um ihnen ihre Verantwortung für ihr Tier bewusst zu machen.
Die gesunde Ernährung von Kaninchen ist kein Hexenwerk und dennoch für Einsteiger zunächst komplex. Hinzu kommt, dass Patientenbesitzer nicht alles Besprochene zu Hause noch rekapitulieren können. Das Überangebot von Tierhandlungen tut sein Übriges: Geeignetes von Überflüssigem zu unterschieden, ist für Laien oft überfordernd. Eine mögliche Lösung für die Praxis besteht zum Beispiel darin, einen schriftlichen Ernährungsplan zu verfassen, der die verschiedenen Futtersorten und ihre erforderlichen Mengenanteile beinhaltet. Dies erfordert nur einen mäßigen Aufwand, als Dokument ausgedruckt ist es jedoch ein nützlicher Praxisservice, den der Halter stets zu Hand hat. Werden Tierbesitzer zusätzlich für typische Warnsignale von Gesundheitsstörungen sensibilisiert, erhöhen sich die Chancen, rechtzeitig therapeutisch intervenieren zu können.
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