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Akupunktur "meets" Biomechanik

Schlagworte wie „Biomechanik“ und „funktionelle Bewegungslehre“ werden zurzeit in der „Pferdewelt“ recht häufig bemüht, wenn es darum geht, Reitweisen medizinisch zu erklären, Trainingsmethoden zu be-/verurteilen, manuelle Therapien zu begründen, Sattelanpassung zu revolutionieren oder den Reitersitz zu verbessern. Als Biomechanik versteht sich die interdisziplinäre Wissenschaft, die den Bewegungsapparat bzw. die Bewegung lebender Organismen untersucht. Dabei werden Begriffe und Gesetzmäßigkeiten der Mechanik verwendet. Dem Tierarzt dient die Kenntnis der Biomechanik als Bestandteil der funktionellen Bewegungslehre bei der Einschätzung der Gesundheit des Bewegungsapparates des Pferdes. Gerade die Meridianlehre und ihre enge Verbindung zum Bewegungsapparat und damit zur Biomechanik bieten dem Akupunkteur eine gute Möglichkeit, Lahmheiten und Bewegungsstörungen zu beurteilen und zu behandeln.

Transponierte Meridiane und TCVM

Die klassischen Schriften der TCVM beschreiben keine Meridianverläufe beim Pferd. Daher können wir uns hier leider nicht einfach auf das über Jahrhunderte erprobte Wissen der „alten Chinesen“ verlassen.

In den Texten der TCVM werden die gleichen Prinzipien wie in der Humanakupunktur angesprochen, z. B. zur Theorie der Zang-Fu-Organe oder zu „Übeln und Schädigungen“. Doch es werden auch wesentliche Unterschiede aufgezeigt. Einer dieser Unterschiede ist, dass die traditionellen Akupunkturpunkte für die Behandlung der Pferde nach Körperregionen geordnet sind und nicht nach Meridianzugehörigkeit. Im Pferdeklassiker werden zwar 6 Yin- und 6 Yang-Meridiane erwähnt, doch wird keine Beschreibung von Verläufen gegeben. Zu jedem Meridian wird nur ein einziger Akupunkturpunkt erwähnt, der sich auf ein Organ und weniger auf eine Leitbahn bezieht. Doch kann man daraus nicht die Bedeutungslosigkeit von Meridianen beim Pferd ableiten. Immerhin bewegen sich auch nach TCVM-Vorstellung Qi und Blut beim Pferd in Meridianen, und es dringen pathogene Faktoren in sie ein.

In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem von Tierärzten in den USA und Europa die Meridianverläufe und häufig genutzte Akupunkturpunkte vom Menschen aufs Pferd transponiert (übertragen). Verschiedenste Methoden wurden in der Pferdeakupunktur angewandt, um die Meridianverläufe zu verifizieren und ein anatomisches oder histologisches Korrelat zu finden.

Bei der Transposition (Übertragung) der Meridianverläufe und der Meridianpunkte orientiert man sich vor allem an anatomischen Gegebenheiten wie den Verläufen von Faszien, Muskelketten, Nervenbahnen, Blut- und Lymphgefäßen oder Knochenstrukturen. Auch funktionelle Beziehungen wie neuronale, somatoviszerale Verknüpfungen oder biomechanische Zusammenhänge werden berücksichtigt.

Im "Taschenatlas Akupunktur beim Pferd" werden bei der Transposition der Meridiane auch alle für den Menschen angegebenen Meridianpunkte auf das Pferd übertragen und bildlich dargestellt, was eine genaue Vorstellung der Meridianverläufe beim Pferd ermöglicht.

Die Kenntnis der genauen Meridianverläufe ist nach Meinung der Autorin sehr wichtig für die Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates (= Imbalance der „gesunden Biomechanik“) beim Pferd mit Akupunktur

Biomechanik in den Meridianen des Pferdes

Die Biomechanik-Forschung hat insbesondere bei Pferden und Hunden in den letzten Jahren fantastische Ergebnisse hervorgebracht. Hier ist ein neues Bild von Bewegungslehre entstanden. Leider ist der Weg von der Forschung in die Praxis – wie so oft – sehr weit. Viele Erkenntnisse bahnen sich nur langsam ihren Weg, manche werden dagegen nie umgesetzt.

Dem Gedanken folgend, einen Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis herzustellen, neue Erkenntnisse und Interpretationen der Bewegungslehre in die Praxis umzusetzen, hat die GerVAS (German Veterinary Acupuncture Society) eine Seminarreihe (Akupunktur „meets“ Biomechanik) aufgesetzt. Den Anfang der Reihe hat im Frühjahr 2013 Prof. Fischer mit seinem Vortrag über die Ergebnisse der Jenaer Studie gemacht, fortgesetzt wurde sie im April 2014 in einem Seminar mit Rikke Schultz, die hier die Ergebnisse zu ihren Untersuchungen der „myofaszialen Linien“ bei Pferden vorgestellt hat. Eine Fortsetzung dieser Seminarreihe ist in Planung. Was die Autorin an diesen Kursen so sehr schätzt, ist nicht nur der „Wissensgewinn“, sondern auch der intensive Gedankenaustausch und die Diskussion mit Kollegen.

Beispiel: Blasenmeridian
Wie man das in den Kursen „Gelernte“ in Bezug auf die Akupunktur der Pferde interpretieren und umsetzen kann, soll an einem Beispiel aufgezeigt werden:

Der äußere Verlauf des Blasenmeridians tritt mit dem Punkt Bl 1 im Bereich des medialen Augenwinkels an die Oberfläche, zieht parallel der Mittellinie über Stirn, Genick, Hals und Rücken, dann weiter im kaudolateralen Bereich des Hinterbeines nach distal zum kaudolateralen Aspekt des Kronsaumes.

Innerhalb des Konzeptes myofaszialer, kinetischer Linien besteht beim Menschen eine weitgehende Übereinstimmung zwischen der oberflächlichen Rückenlinie und dem Blasenmeridian. Diese konnte auch für das Pferd nachgewiesen werden. Die Hauptaufgabe der oberflächlichen Rückenlinie besteht darin, Extension zu erzeugen. Dies kann man auch als „motorische“ Funktion des Blasenmeridians annehmen.

Dabei überzieht und beeinflusst der Blasenmeridian Muskulatur, wie z. B. den M. longissimus dorsi und den M. semitendinosus. Beide Muskeln haben ein Aktivitätsmaximum im Trab am Ende der Stemmphase und zu Beginn der Vorschwingphase des gleichseitigen Hinterbeines. Bei einem Pferd mit einer ausgeprägten motorischen Dominanz der linken Hirnhälfte ist mit einer motorischen Dominanz der Muskeln zu rechnen, die auf der rechten Körperseite überwiegend beugende Funktion haben. Daher findet man in solch einem Falle oft eine Schwäche der Extension (und Extensoren) auf dieser (rechten) Körperseite. In der Folge kann dies dazu führen, dass die Mm. longissimus und semitendinosus der rechten Körperseite schwächer ausgeprägt sind als die der linken Körperhälfte. Dies gilt ebenso für den Blasenmeridian der rechten Körperhälfte, der energetisch schwächer ist als der der linken Seite.

Beobachtet man den Bewegungsablauf eines solchen Pferdes im Trab, so stellt man fest, dass die Trittlänge der rechten Hintergliedmaße am Ende der Stemmphase verkürzt wird. Da der Blasenmeridian im vorderen Meridianverlauf auch über das Genick zieht, wundert es nicht, dass sich solch ein Pferd gerne bei zu starker Handeinwirkung des Reiters im Genick verwirft (sodass seine rechte Ohrbasis tiefer erscheint). Auch hier ist der (rechte) Blasenmeridian „zu schwach“, das Genick (rechts) zu heben. Das Verwerfen hat fatale Folgen u. a. für die Koordinationsfähigkeit des Pferdes. Hieraus lassen sich Ableitungen für die Behandlung dieser Gangstörung mit Akupunktur treffen: Es könnte z. B. der Blasenmeridian der rechten Seite gestärkt oder mit dem der linken Seite ausbalanciert werden. Aus dieser Art der Betrachtung ergibt sich nach Meinung der Autorin ein interessanter Zusammenhang zwischen der Biomechanik der Pferde und der transponierten Meridianlehre.

Sicher lassen sich noch viele weitere Verbindungen zwischen Akupunktur und Biomechanik finden. Ein interessanter Aspekt dabei ist auch, dass sich damit ganz besonders auch das gute Zusammenwirken von Akupunktur mit den manuellen Therapien erklären lässt.

Aus Zeitschrift für Ganzheitliche Tiermedizin 2/2014; Akupunktur „meets“ Biomechanik der Pferde; Martina Steinmetz

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