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Menschen lesen
In der Psycho-Physiognomik nach Carl Huter betrachtet man Körperbau, Gesicht und Kopf, um etwas über die Grundkraft eines Menschen, seinen Willen und seine körperliche Einsatzbereitschaft zu erfahren.
Ein erfahrener Naturheilkundiger und Menschenkenner hat einmal gesagt: „Bis der Patient sitzt, steht die Diagnose“. Wie wichtig die Deutung der Körpersprache und das Lesen in Gesichtern für die tägliche Arbeit in der naturheilkundlichen Praxis sind, wird in diesem klugen Satz deutlich. Denn je geübter ein Behandelnder darin ist, umso besser kann er die tiefen charakterlichen Grundstrukturen seiner Patienten, deren organische Stärken aber auch Schwachstellen und Belastungen erkennen und mit der Kenntnis darum individuell begleiten und beraten.
Ein geeignetes Verfahren für das Deuten der Körpersprache und Lesen in Gesichtern ist die Psycho-Physiognomik nach Carl Huter. Es ist ein strukturiertes System, das ein tiefes Verständnis der Charakteranlagen vermittelt. Man betrachtet dabei zunächst die großen Strukturen, den Körperbau, und anschließend die feinen Formstrukturen von Kopf und Gesicht. Der Körperbau sagt dabei etwas über die Grundkraft aus, die zur Verwirklichung drängt. Die Nase eines Menschen spiegelt seinen Willen und sein Kinn die körperliche Einsatzbereitschaft. Diese Formelemente verbindet man schließlich mit einer Ausstrahlungskraft, die Carl Huter sehr differenziert aufgefächert hat. Denn neben der Beobachtung der Form und ihrer Proportion kommt es in der Psycho- Physiognomik v. a. auf die aktuelle Ausstrahlung dieser Form an. Ein freudiges Ereignis lässt einen Menschen beispielsweise erstrahlen. Das Strahlen ist wörtlich zu nehmen und nicht nur als Synonym für heitere Mimik. Die Leuchtkraft und Lebendigkeit besonders in den Augen, aber auch die Hautstrahlung ist bei einem fröhlichen Menschen klar zu sehen.
Entsprechen die Anlagen von Körper, Kopf und Gesicht alle demselben Naturell, ist die Analyse einfach. Komplexer wird es, wenn beispielsweise ein Mensch mit dem Körperbau eines Ruhenaturells den Kopf eines Bewegungsnaturells trägt und zarte Ohren hat. Dann möchte der Körper Ruhe leben, aber eine andere Seite in diesem Menschen treibt ihn ständig an, treibt ihn zu Bewegung, Veränderung und aufgrund der verfeinerten Ohren auch noch zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit dem Leben. Es entsteht dadurch eine Innenspannung, die vom Behandelnden wahrgenommen und individuell begleitet werden muss.
Eine solche differenzierte Auffächerung zu jedem Naturell würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, weshalb die Beschreibung der Naturelle sich rein auf die Körperbauform bezieht.
Huter hat empirisch erforscht, welche Beschwerdebilder bzw. Schwachstellen für die jeweiligen Naturelle typisch sind und auf welche Therapien sie besonders gut ansprechen. Therapien bzw. ihre Wirkungen lassen sich schon vorab einschätzen, was die Psycho-Physiognomik zu einem wichtigen Instrument für die Behandlung macht. Allein die Betrachtung des Körperbaus lässt daher wichtige und nützliche Rückschlüsse für die Behandlung zu.
Körperbau der Naturelle in der Psycho-Physiognomik
Wer mit der Psycho-Physiognomik nach Carl Huter arbeitet, beginnt also zunächst damit, den Menschen vor sich einem Naturell- Typ zuzuordnen – ein Begriff, den Carl Huter geprägt hat. Huter unterschied 3 Grundnaturelle, die er anhand der Keimblattentwicklung wissenschaftlich beschrieb. Je nach Körperbau (groß, zierlich oder rundlich) haben Menschen ein unterschiedliches Bedürfnis danach, sich zu verwirklichen. Diese Grundnaturelle können auch variieren und sog. Misch- oder Dualnaturelle bilden. Und dann gibt es da noch die polaren Naturelle: das integrative und das desintegrative Naturell. Das integrative Naturell ist in sich harmonisch geformt und das desintegrative weist schon im Körperbau viele Ungleichmäßigkeiten auf.
Das Bewegungsnaturell
Stärken: Bewegungsnaturelle sind große, athletische, schlanke und sehnige Menschen, es dominiert der Bewegungsapparat. Sie wollen sich bewegen, sind schnell, praktisch veranlagt, packen an und setzen festgesetzte Ziele auch mit Wagemut in die Tat um. Es sind realistisch und sachlich denkende Menschen. Nervliche Empfindsamkeit und Ruhebedürfnis sind nur gering ausgeprägt. Sie wirken immer angespannt, strahlen dabei aber auch Dynamik aus. Diese Menschen wollen vom Leben gefordert sein, je mehr desto besser. Einfache Aufgaben langweilen sie schnell. Dominiert in ihrem Beruf die Routine, suchen sie Herausforderung in ihrer Freizeit, mitunter in Extremsportarten. Bewegung ist etwas, das sie nach einem langen Arbeitstag unbedingt benötigen.
Das Essen spielt für diese Menschen eine untergeordnete Rolle, sodass sie öfter Mahlzeiten auslassen, auch wenn die Energiereserven aufgebraucht sind. Ihr schlanker und sehniger Körper verfügt nicht über Fettdepots, weshalb kontinuierlich die Gefahr besteht, dass sie abmagern. Bewegungsnaturelle achten auch nicht auf Warnzeichen des Körpers. Sie ignorieren Symptome und warten erst einmal ab.
Krank zu sein ist für Bewegungsnaturelle ein massiver Eingriff in die eigene Freiheit. Sie sind undankbare Patienten, die z. B. Bettruhe nur selten einhalten. Sie fügen sich nur ungern Anweisungen und neigen als Kranke zu starkem Zynismus.
Wichtig für die Praxis: Bewegungsnaturellen stellt man in der Anamnese am besten nüchterne Fragen, die sie knapp beantworten können. Sie schätzen es nicht, psychologisch hinterfragt zu werden, denn das ist nicht ihre Welt. Konkrete Untersuchungen schaffen Vertrauen.
In der Behandlung ist es wichtig, ihnen Therapiepläne verständlich zu erläutern, Prognosen zu nennen, Anleitungen zum Nachlesen an die Hand zu geben. Sie vertrauen entschlossenen Behandelnden, die klare Ansagen formulieren. Weichheit deuten sie als Schwäche, weshalb der Behandelnde konsequent und streng sein muss. Wenn es sein muss, sind sie hart im Nehmen und schlucken auch die sprichwörtliche bittere Medizin.
Sind Bewegungsnaturelle krank, benötigen sie regelmäßig frische Luft, Wind und Sonne für die Regeneration. Anspruchslos und einseitig kann ihre Ernährung sein, hoch kalorisch muss sie aber sein, da Bewegungsnaturelle viel Energie verbrauchen. Auf Fleisch verzichten sie ungern.
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Aus der Zeitschrift DHZ-Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift 6/2015
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