Mädchen & Frauen mit Asperger
Als Minderheit einer Minderheit sind Mädchen und Frauen mit Autismus doppelt benachteiligt. Da Jungen und Männer häufiger betroffen sind, beziehen sich viele Diagnosekriterien auf die männliche Ausprägung des Autismus. Bei Mädchen wird das Asperger-Syndrom oft erst sehr spät erkannt –wichtige Fördermaßnahmen bleiben aus.
Asperger-Mädchen und -Frauen sind anders
Nach wie vor geht die Fachwelt von einem Geschlechterverhältnis von einem Mädchen auf 6–8 Jungen aus; inzwischen diskutiert man jedoch zunehmend, ob die »wahre Verteilung« nicht eher bei ca. 1 : 4 oder gar bei 1 : 2,5 liegt (Jenny 2011, Hubbard 2010). In vielen europäischen Ländern wird von einer steigenden Anzahl von Mädchen und Frauen mit einer Diagnose aus dem autistischen Spektrum berichtet (Gould 2011), die sich anders als die Jungen nicht selten erst als Jugendliche zur diagnostischen Einschätzung vorstellen. Die betroffenen Mädchen und Frauen unterscheiden sich vom männlichen Geschlecht in der Ausprägung der autistischen Symptomatik. Außerdem sind sie anderen gesellschaftlichen Erwartungen ausgesetzt. Oft erhalten sie daher erst sehr spät die richtige Diagnose und eine effektive Förderung, nicht selten erst im Jugend- oder Erwachsenenalter. Die geltenden Diagnosekriterien beschreiben nämlich eher die männliche Ausprägung des Autismus. Mädchen, die sich davon unterscheiden, werden mit diesen Kriterien häufig gar nicht erfasst.
Typische Unterschiede
Die Symptome sind, insbesondere im Fall von High-Functioning Autismus und Asperger-Syndrom, häufig subtiler und weniger stark ausgeprägt als bei Jungen. Die betroffenen Mädchen werden daher oft lediglich als »seltsam« wahrgenommen, nicht jedoch als umfassend beeinträchtigt. Autistische Mädchen sind in der Regel ruhiger und können ihr Verhalten besser kontrollieren. Bei ihnen stehen daher seltener die Aggression und das Stören des Unterrichts, sondern vielmehr passives Verhalten und der Rückzug im Vordergrund. Dies entspricht dem gesellschaftlichen Rollenbild von Frauen (still, schüchtern, unschuldig, bescheiden), was auf andere Menschen weit weniger störend wirkt und daher nicht nach sofortiger Intervention verlangt. Während Jungen mit Autismus daher in der Regel bereits im Kindesalter schwerwiegende soziale und kommunikative Probleme aufweisen, fallen diese Schwierigkeiten bei autistischen Mädchen oft erst im Jugend- und jungen Erwachsenenalter auf (McLennanet al. 1993). Auch der mangelnde Blickkontakt wird bei Frauen eher auf eine Schüchternheit geschoben, die für das weibliche Geschlecht nicht ungewöhnlich erscheint und daher nicht zu der Annahme einer autistischen Störung führt.
Autistische Mädchen können ihre Schwierigkeiten oft »tarnen«
Betroffene Mädchen können soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten meist schneller erlernen als Knaben. Außerdem gelingt es ihnen besser, ihre Schwierigkeiten zu »tarnen«. Sie beobachten aufmerksam und versuchen, andere Mädchen nachzuahmen oder sogar zu kopieren (z. B. deren Mimik und Gestik, aber auch soziale Verhaltensweisen), um nicht aufzufallen und »unsichtbar« in der Gruppe mitlaufen zu können. Oder sie versuchen, die Dinge auswendig zu lernen, die ihnen im sozialen Kontakt schwerfallen. Wenn sie an sozialen Spielen beteiligt sind, werden sie oft von Gleichaltrigen »geführt«, so dass sie bei der Kontaktaufnahme nicht selbst aktiv werden müssen. In der Grundschule werden sie häufig von anderen Mädchen »bemuttert«, in der weiterführenden Schule von diesen jedoch eher geärgert und gehänselt. Mädchen und Frauen mit Autismus sind häufiger sozial veranlagt als Knaben und können durchaus eine beste Freundin haben. Insgesamt zeigen sie oft ein größeres Interesse an Freundschaften und Beziehungen als Jungen und können soziale Situationen, soziale Kommunikation oder Freundschaft häufig gut reflektieren, was Männer auf dem gleichen Level in der Regel überfordert.