DMW Walter Siegenthaler Preis 2015

Weggegangen - Platz vergangen?

Im Jahr 2016 honoriert die Deutsche Medizinische Wochenschrift Dr. med. Dr. rer. nat.Carsten Engelmann und Kollegen von der Medizinischen Hochschule Hannover sowie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich mit dem Walter Siegenthaler Preis. Die 2015 publizierte Originalarbeit weist darauf hin, dass bei den Arbeitsbedingungen im Krankenhaus in Sachen „Familienfreundlichkeit“ noch Verbesserungen erforderlich sind.

Der Erstautor Dr. med. Dr. rer. nat. Carsten Engelmann (Klinikum Brandenburg, vorm. Medizinische Hochschule Hannover) und die Koautoren Prof. Dr. Gudela Grote (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich), Dr. phil. Bärbel Miemietz, Bernhard Vaske und Prof. Dr. Siegfried Geyer (Medizinische Hochschule Hannover) thematisierten in ihrer Arbeit „Weggegangen – Platz vergangen?“ einen Aspekt, der nicht nur die Universitätsmedizin betrifft.


Das Arbeitsumfeld deutscher Kliniken ist geprägt von einer Konkurrenz um Handlungsspielräume und Entscheidungsfreiheit. Viele Beschäftigte befürchten daher, dass sich die Annahme von Elternzeitangeboten negativ auf ihre Karriere auswirken könnte. Bisher wurde jedoch noch nicht systematisch untersucht, inwiefern eine Elternzeit die anschließende berufliche Situation von Gesundheitspersonal tatsächlich beeinflusst.


Um die berufliche Situation von Eltern im Gesundheitswesen darzustellen, führten die Autoren Befragungen mit Angestellten und Interviews mit Personalchefs. Zudem extrahierten sie epidemiologische Kennzahlen aus den Personaldaten der Universitätsklinika Hannover, Bergen und Zürich.


Der sozialwissenschaftlich erarbeitete Fragebogen wurde von 709 Klinik-Angestellten nach der Elternzeit sowie 88 Abteilungsleitern der Medizinischen Hochschule Hannover beantwortet. Die Befragten empfanden nach der Elternzeit eine signifikante Abnahme von „Macht“ und „Einfluss“, während die Arbeitsbelastung signifikant anstieg. Viele der Befragten schilderten, dass sich ihr Aufgabenprofil in unerwünschter Form veränderte. Vor allem bei Frauen minderten negative Erfahrungen den Wunsch, ein weiteres Mal in die Elternzeit zu gehen. Auch unter den Führungskräften gaben überwiegend die Frauen an, dass sich ihre Karrierechancen verschlechterten.


Innerhalb eines Jahres wechselten 39 % der Ärzte nach der Elternzeit die Arbeitsstelle – unter den Kollegen ohne Elternzeit waren es nur halb so viele. Unter den Führungskräften verloren 17 % ihre leitende Position. Der Einstieg in die Teilzeitarbeit war für Ärzte und Führungskräfte schwieriger als für Nicht-Mediziner und Mitarbeiter ohne Personal- und Budgetverantwortung. Die Abteilungsleiter nahmen die beruflichen Änderungen hingegen positiver wahr als die Angestellten. Aus den Interviews mit den Personalchefs der Universitätsklinika Hannover, Bergen und Zürich ging hervor, dass die Vertretungs- und Teilzeitordnungen in der Schweiz und in Norwegen liberaler sind als in Deutschland.


Die Autoren empfehlen, vor der Elternzeit schriftliche Vereinbarungen zu treffen. Diese wurden nur bei 7 % der Studienteilnehmer vorgenommen. Außerdem sollten Vertretungskräfte eingestellt werden. Gemeinsam mit wirksamen Anti-Diskriminierungsregeln und Teilzeitmodellen könnten Arbeitsplatz-Fluktuationen gesenkt und die Familie gefördert werden.


Als Stärken der Studie hoben die Gutachter insbesondere folgende Punkte hervor:

  • die hochrelevante Thematik
  • das fundierte Studiendesign
  • die solide Durchführung der Studie
  • die Relevanz der Ergebnisse

Die preisgekrönte Studie von Engelmann und Kollegen deutet an, dass eine Elternzeit bei Mitarbeitern deutscher Kliniken ein Risiko für die berufliche Karriere birgt. Die von den Befragten empfundene Verringerung der Karriereaussichten übertraf dabei die bisherigen Angaben in der Literatur – und das obwohl sich die untersuchte Institution „Familienfreundlichkeit“ als Ziel gesetzt hatte.
Herzlichen Glückwunsch an die diesjährigen Preisträger des DMW Walter Siegenthaler Preises! Wir wünschen ihnen weiterhin viel Erfolg bei ihrer Arbeit!

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